Bei Hochwasser - „Es war gespenstisch“: Bastian erzählt, wie er schwangerer Frau das Leben rettete

Der Retter und Bilder vom Unwetter im Kreis Karlsruhe.
Der Retter und Bilder vom Unwetter im Kreis Karlsruhe.

13. August 20.27 Uhr: Bastian Schweikert von der DLRG Bruchsal wird über seinen Piepser alarmiert: Hochwasser im Regierungsbezirk Karlsruhe. Rund zwei Stunden später watet der 24-Jährige Fahrzeuglackierer in einer Küche durch brusttiefes Wasser – einer hochschwangeren Frau entgegen.

FOCUS online: Sie haben vor Kurzem einer hochschwangeren Frau möglicherweise das Leben gerettet. Wie kam es dazu? 

Bastian Schweikert: An dem Abend hat es extrem geregnet. So wie ich es vorher noch nie erlebt habe. Starkregen kennt man ja. Aber dass das Wasser so sturzflutartig durch die Straßen schießt… Das war, ehrlich gesagt, auch für mich erschreckend. Obwohl ich eigentlich auf solche Situationen vorbereitet bin.

Sie engagieren sich ehrenamtlich bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) Bruchsal. Konkret: als stellvertretender Leiter Einsatz… 

Ja, und ich bin Strömungsretter.

„Hochwasserlagen lassen sich schwierig simulieren“

Was bedeutet das? 

Dass ich eine mehrteilige Ausbildung gemacht habe, die speziell auf Gefahrenlagen in strömenden Gewässern und bei Hochwasser vorbereitet.

Wie kann man sich auf so etwas vorbereiten? 

Die Ausbildung beinhaltet mehrere Teile Theorie, aber auch Praxis. Erst im vergangenen Herbst waren wir in Traunstein und sind dort in einer Klamm schwimmen gegangen. Wie ist das, wenn man in einen Strudel gerät, wie verhält man sich richtig? Das kann man ganz gut üben. Hochwasserlagen allerdings lassen sich schwierig simulieren…

Aber genau die hatten Sie an diesem Abend. 

Ja, schon die Anfahrt zum Katastrophenort war schwierig. Der erste Alarmierung führte uns durch ländliches Gebiet zum Ort Gondelsheim. Wir sind mit zwei Einsatzfahrzeugen unserer Ortsgruppe ausgerückt, zwei Fahrzeuge einer anderen Ortsgruppe sind zu uns gestoßen. Es gab zwei mögliche Anfahrtswege. Aber beide funktionierte nicht, denn schon bald schossen links und rechts Wassermassen an uns vorbei. Erdrutschgefahr! Nach kurzer Beratung war klar: Das könnte bald schon lebensgefährlich werden. Also drehten wir um, um das Dorf über einen großen Umweg anzusteuern. Unterwegs dorthin kam dann allerdings ein neuer Einsatzalarm. Es hieß, wir sollten nach Heidelsheim fahren, in ein anderes Dorf. Gondelsheim wurde inzwischen von Kollegen abgedeckt, die von der anderen Seite gekommen waren.

Das letzte Telefonat mit der Freundin

Was hat Sie in Heidelsheim erwartet? 

Ich habe das Dorf nicht wiedererkannt. Die Saalbach, eigentlich ein kleiner Bach, war über die Ufer getreten. Normal hat sie einen Pegel von 30 Zentimetern. Jetzt stand er bei 2,50 Metern. Daher die Sturzfluten in mehreren umliegenden Straßen, schon mehrere Fahrzeuge – teilweise mit Insassen waren - weggespült worden. Wir mussten das Einsatzfahrzeug stehen lassen. Ich schnappte mir mein Funkgerät und bin raus aus dem Auto. Ein besonderer Moment.

Warum? 

Man lässt alles hinter sich. Kurz vorher war ich noch mit meiner Familie und meiner Freundin per Handy in Kontakt gewesen. Ich hatte ein paar Filme von den Wassermassen und den angeschwemmten Baumstämmen gemacht und verschickt. Im Einsatz selbst bleibt das Handy natürlich im Auto – im konkreten Fall wäre es hinterher sicher kaputt gewesen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht angespannt war, als mir meine Freundin mir ein letztes Mal schrieb, ich solle gut auf mich aufpassen. Man weiß nicht, was kommt und hofft natürlich, dass man das Gelernte gut anwenden kann.

„Gespenstisch. Es war absolut still“

Wie sind Sie durch das Dorf gekommen? 

Glücklicherweise gehörte unser Bootsgruppenfahrzeug zur Kolonne. Zuerst haben wir das Boot abgelassen und fahrtüchtig gemacht: Den Bootstrailer senkrecht stellen, das Boot, das Rollen am Grund hat, runterlassen. Erst mal ist nur der Bootsführer aufs Boot. Ein Kollege, der ebenfalls Strömungsretter ist und ich sind seitlich mitgelaufen, haben das Boot geschoben und gezogen. Den Motor konnten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht runterlassen, dazu war der Wasserstand zu flach.

Wie kann man sich die Atmosphäre im Dorf vorstellen? 

Gespenstisch. Es war absolut still. Dann gingen auch noch die Straßenlaternen aus und es war stockdunkel - das einzige Licht kam aus unseren Stirnlampen. Hier und da sah man Menschen aus den Fenstern schauen – Menschen, die sich in die oberen Stockwerke geflüchtet hatten. Eine wichtige Frage ist die nach der medizinischen Versorgung: Geht es allen so weit gut? Fehlen Medikamente? Man versucht zu kommunizieren…

Die Leute kamen nicht mehr aus ihren Häusern raus, richtig?    

Genau. Erste Evakuierungen durch die Fenster liefen – auch die Kollegen von der Feuerwehr und vom Technischen Hilfswerk (THW) waren vor Ort. Dann kam ein neuer Funkspruch unseres Einsatzleiters: Da würde jemand auf sich aufmerksam machen… Im selben Moment sahen wir auch schon eine ältere Dame an einem Fenster stehen und winken und rufen. Wir sind sofort zu ihr hingefahren.

Die gefährlichen Kanaldeckel

Gefahren? 

Ja, das Boot fuhr inzwischen mit Motor. Seitwärts mitlaufen wäre nicht mehr gegangen, dafür stand das Wasser zu hoch.

Sie hätten also schwimmen müssen? 

Das ist viel zu gefährlich. Eine besonders große Gefahr geht von den offenen Kanaldeckeln aus. Der Kanal ist ja voll mit Wasser, das eine extreme Zugkraft hat. Wenn man auch nur mit einem Fuß in die Nähe des offenen Gullis hineingerät, kann es passieren, dass man innerhalb von Sekunden in den Kanal gezogen wird – das überlebt niemand. Daher war ich auch ziemlich erschüttert, als ich einen Mann mit Kind an einer Hausecke stehen sah. Im reißenden, inzwischen hüfthohen Wasser! Ich rief ihm zu, er solle da sofort verschwinden.

Was hatte es nun mit der winkenden Dame auf sich? 

Sie hat uns durchs Fenster ins Haus gelotst. Mein Kollege und ich sind rein, das Wasser stand uns bis zur Brust. Wir konnten nur ganz langsam voran waten. Schritt für Schritt.

Die Rettung der hochschwangeren Frau

Wieso haben Sie die Frau nicht einfach rausgeholt? 

Weil noch eine weitere Person im Haus war, um die ging es der Dame. Eine hochschwangere junge Frau, im neunten Monat. Die musste dann natürlich ganz dringend raus. Schon allein wegen der Infektionsgefahr.

Was meinen Sie? 

Naja, wir wateten durch ein Gemisch aus Regenwasser, Abwasser, Benzin und Heizöl. Ein unvorstellbarer, beißender Gestank. Vor allem aber: eine eklatante Infektionsquelle. Die Schwangere hatte genau richtig reagiert und sich im Flur auf eine Erhöhung geflüchtet, sodass sie zunächst noch einigermaßen trocken blieb. Um zu ihr zu gelangen, mussten wir einmal quer durch die Küche wo uns als erstes ein querliegender Kühlschrank entgegenschwamm. Dann Stühle, eine Tür, jede Menge Hausrat.

War das nicht eine ziemlich gefährliche Situation für Sie? 

Einsturzgefahr besteht normalerweise erst, wenn das Wasser zwei Tage und länger im Haus steht. Eine andere Gefahr ist natürlich, dass man wegen des strömenden Wassers eine Tür nicht mehr aufbekommt und dann festsitzt. In dem Punkt hatten wir Glück: Die Strömung war schwach, die Küchentür ging einigermaßen gut auf, wir konnten uns in Richtung Flur durchquetschen. Auch der Stromverteilerkasten schien nicht in der Nähe zu sein – damit schien die Gefahr von Kurzschlüssen und dergleichen gebannt.

Nach Rettung reagiert jeder Mensch anders

Aber das sind ja zumindest teilweise Dinge, wie man von draußen nicht sieht?    

Für mich war direkt klar gewesen: Ich mach' das, ich geh' da rein. Für den Kollegen, mit dem ich im Team gearbeitet habe, war es genauso. Der Bootsführer hat draußen gewartet.

Was, wenn der Kollege, der mit Ihnen kam, die Situation für sich anders eingeschätzt hätte? 

Das hätte ich verstanden. Ich hätte bestimmt nicht versucht, ihn zu überreden. Nicht in so einer Situation!

Wie hat die schwangere Frau reagiert, als Sie zu ihr kamen? 

Die Ausstrahlung, die Menschen in diesem Moment haben, ist schwer zu beschreiben. Irgendwas zwischen schockiert und erleichtert.

Dankbar? 

Das wäre zu viel gesagt, es war eigentlich viel weniger emotional, als manche vielleicht denken. Wir mussten uns schließlich besprechen, wie wir weiter machen, als wir bei der Frau waren.

Was meinen Sie? 

Nun, wir hatten ja denselben beschwerlichen Weg noch mal vor uns - und diesmal noch eine weitere Herausforderung obendrauf. Wortwörtlich übrigens. Es war absolut klar, dass versucht werden musste, die Schwangere mit möglichst trockenen Unterleib nach draußen zu bringen.

„Das Ganze war unvorstellbar anstrengend“

Ist Ihnen das gelungen? 

Mehr oder weniger. Mein Kollege und ich haben uns gegenübergestellt und sie hochgehoben. Wir haben sie quasi über uns durchs Wasser getragen. Zum Schluss haben wir die Frau mit den Füßen nach vorne durchs Fenster gehievt. Das Ganze war unvorstellbar anstrengend. Als wir alle wieder im Boot waren, auch die ältere Dame, war ich fix und fertig.

Und dann? 

Wir fuhren ein Stück die Straße entlang und bogen dann in eine Parallelstraße ein, an deren Ende mehrere Rettungswagen warteten. Wir haben die beiden Frauen an die Kollegen übergeben.

Haben sich die Geretteten bedankt? 

Ich meine, mich zu erinnern, dass während der Bootsfahrt etwas gesagt wurde. Ehrlich gesagt: Ich war in dem Moment mehr mit etwas anderem beschäftigt.

Womit denn? 

Der Einsatz war ja noch nicht zu Ende. Wir sind zurück zum abgestellten Fahrzeug, haben kurz was getrunken und dann mit den Kollegen besprochen, wie es weitergeht. Die meisten gefährdeten Personen im Ort waren bereits evakuiert und es waren noch weitere Einheiten von Helfern von der Feuerwehr und vom THW vor Ort  - der Grundschutz war also sichergestellt. So konnten wir schließlich unsere Sachen packen und zurück zum Bereitstellungsraum fahren. Eventuell würden wir ja noch an einen anderen Einsatzort gerufen?

„Ich bin froh, dass uns eine Entbindung im Boot erspart geblieben ist“

Und? Wurden Sie? 

Nein, alles war abgedeckt. Um 3 Uhr morgens bin ich nach Hause gekommen, nach sechseinhalb Stunden Einsatz. Ich habe geduscht und bin ins Bett gefallen. Auch in den zwei Tagen danach war ich noch ziemlich kaputt. Dazu kam dieser Heizölgestank, den meine Freundin noch drei Tage später bemerkt haben will.

Was geht einem nach so einem Einsatz durch den Kopf? 

Ich habe mich natürlich gefragt, ob das Kind inzwischen geboren ist. Die Frau war wirklich sehr schwanger und Aufregung kann bekanntlich Wehen auslösen. Sagen wir so: Ich bin froh, dass uns eine Entbindung im Boot erspart geblieben ist…

Wissen Sie inzwischen irgendetwas über die Gerettete und das Kind? 

Tatsächlich nicht. Kürzlich war ich mal im Ort, habe Freunde besucht, bin in dem Zuge kurz am Einsatzort vorbei. Die Wände des Hauses waren braun, drinnen konnte man Bautrockner stehen sehen. Von der Schwangeren keine Spur. Vielleicht war sie zu dem Zeitpunkt ja im Krankenhaus?

Klingt da die heimliche Hoffnung auf ein persönliches Dankeschön mit? Immerhin haben Sie möglicherweise zwei bis sogar drei Menschen das Leben gerettet… 

Ich erwarte gar nichts, ich fühle mich auch nicht als Held oder so. Ich habe einfach meinen Job gemacht. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es eher, dass das Ehrenamt generell mehr wertgeschätzt wird. Nicht von Einzelnen, sondern von der ganzen Gesellschaft. Wir hören in diesen Tagen so viel Negatives über unser Land. Dabei gibt es unglaublich viele Menschen, die bereit sind, alles zu geben – und das, ohne einen einzigen Cent dafür haben zu wollen.