Werbung

"Ich hoffe, dass der Mundschutz nicht zum Maulkorb wird"

Es bringe nichts, "in Agonie zu verweilen", findet Peter Maffay. Deshalb macht er das Beste aus der Corona-Situation und ist jetzt auch gleich auf zwei neuen Alben zu hören. Trotzdem: Der 71-Jährige blickt mit großer Sorge auf die aktuellen Entwicklungen, wie er im Interview verrät.

Für 2020 hatte Peter Maffay große Pläne: Unter dem Motto "50 Jahre Peter Maffay" wollte er eigentlich auf große Jubiläumstour gehen, doch Corona machte ihm wie so vielen Künstlern einen Strich durch die Rechnung. Auf der faulen Haut lag der 71-Jährige trotzdem nicht. Er veröffentlichte das Album "Erinnerungen 2", das seine stärksten Balladen enthält, und startete für Magenta TV ein Talkformat, das auf seiner "Peter Maffay Radio Show" basiert. Nun legt er mit zwei weiteren Projekten nach: Zeitgleich erscheinen eine Kollaboration mit dem Dresdner Kreuzchor und das Duette-Album "Peter Maffay und ..." (jeweils ab sofort erhältlich). Im Interview spricht Maffay über Gesang unterm Weihnachtsbaum, Kultur in Zeiten von Corona und Begegnungen, die ihn nachhaltig beeindruckt haben.

teleschau: Das Fest der Liebe steht vor der Tür, auch 2020. Wie sieht Weihnachten im Hause Maffay aus?

Peter Maffay: Mit Tannenbaum, Plätzchen und Kindern. Also eigentlich ganz konventionell, wie bei anderen auch. Wir kommen zusammen im Kreis der Familie und versuchen, es ruhig angehen zu lassen, ohne Hektik. Es wird natürlich spannend, was sich dieses Jahr unter den aktuellen Umständen ergibt. Aber sofern das möglich ist, haben wir vor, im Kreis der Familie zu feiern.

teleschau: Wird bei Ihnen auch gesungen?

Maffay: Dass ich unterm Tannenbaum stehe und "Oh Tannenbaum" singe, wird man bei mir nicht erleben (lacht). Aber ich bin gerne Zuhörer und Zuschauer. Wenn jemand singen möchte, dann herzlich gerne. Und natürlich gibt es bei uns Weihnachtsmusik. Der Grund ist naheliegend: Unsere Tochter ist im November zwei geworden und für sie ist das ein toller Augenblick.

teleschau: Letztes Jahr traten Sie beim großen Adventskonzert des Dresdener Kreuzchors auf, das jährlich 25.000 Besucher anlockt. Weil es aufgrund der Corona-Pandemie 2020 Jahr nicht stattfinden kann, gibt es nun das Album "Das große Adventskonzert", auf dem auch Sie mit zwei Songs vertreten sind.

Maffay: Mir war der Kreuzchor schon länger ein Begriff, ich hatte zuvor aber noch nie das Vergnügen und die Ehre gehabt, mit so einem Klangkörper auf der Bühne zu stehen. Letztes Jahr passierte es dann und das hat mich wirklich sehr beeindruckt. Als mich wenige Monate später die Anfrage erreichte, ob ich mir vorstellen könnte, auf einem Tonträger mitzumachen, habe ich natürlich sofort zugesagt. Das ist ein beeindruckender Chor mit enormem Potenzial.

teleschau: Neben "Leise rieselt der Schnee" beteiligten Sie sich mit dem Tabaluga-Hit "Nessaja". Die Aufnahmen mussten unter strengen Hygienebedingungen stattfinden. Haben Sie den Chor überhaupt gesehen?

Maffay: Nein, im Augenblick passiert das alles aus der Entfernung. Dank der Technologien, die wir inzwischen zur Verfügung haben, ist das zum Glück kein Problem. Auch vor Corona wurden schon viele Aufnahmen so erzeugt. Man schickt sich halt die Files, das geht ohne Weiteres.

"... denn dann haben wir wirklich ein Problem"

teleschau: Was derzeit nicht geht, ist vor einem großen Publikum auf der Bühne zu stehen. Sie wären dieses Jahr eigentlich auf "50 Jahre Peter Maffay"-Jubiläumstour gewesen, mussten diese dann aber absagen. Wie haben Sie 2020 vor diesem Hintergrund erlebt?

Maffay: Die Absage der Tour war wie eine Amputation. 1996 gab es mal eine ausgelegte Gitarre als Bühnenform, das griffen wir auf und brachten es auf den heutigen Stand. Eine wirklich schöne Produktion! Wir fingen in Kiel und Hamburg an, nach Berlin mussten wir die Tour dann wegen eines Unfalls unterbrechen und in den Sommer verlegen. Dann kam Corona dazwischen und nun liegen wir wie alle anderen auch seit acht Monaten an der Kette. Das ist enorm frustrierend, aber ich werde mit Hoffnung auf das nächste Jahr zugehen. Den Glauben, dass irgendwann wieder eine gewisse Normalität einzieht und wir die Konzerte dann nachholen können, haben wir nicht verloren.

teleschau: Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung in Deutschland, die Stimmung in der Gesellschaft und die Situation in der Kulturlandschaft?

Maffay: Die Schere geht immer weiter auseinander. Es gibt Wirtschaftszweige, die mit den Umständen gut zurechtkommen und geradezu boomen, während andere - und dazu gehört die Unterhaltungsbranche - am Boden liegen. Dazu erschweren die Einschränkungen, mit denen wir leben müssen, das Miteinander. All das verschärft die Stimmung, treibt die Temperatur in der Gesellschaft hoch. Es kommt zu Eskalationen, einer gewissen Radikalisierung und auch zu einer gefühlten Entmündigung aufgrund der vielen Reglementierungen.

teleschau: Halten Sie diese Reglementierungen für gerechtfertigt?

Maffay: Corona gibt es und dem muss mit Maßnahmen begegnet werden. Diese Maßnahmen - und das kann man denen, die sie getroffen haben, nicht anlasten, weil so eine Situation noch nie da war - müssen ständig hinterfragt und angepasst werden. Aber oft sind sie nicht mehr so transparent, dass die Leute sie akzeptieren. Es gab ja Phasen, in denen die Kinder nicht in den Kindergarten oder die Schule durften. Da fragt man sich, ob das nicht Auswirkungen hat, die wir gar nicht erahnen können. Und ich hoffe einfach, dass der Mundschutz nicht zum Maulkorb wird.

teleschau: Auch Ihre Tochter durfte nicht in die Kita, weil Ihr Beruf nicht als systemrelevant eingestuft ist. Als Musiker, der zweimal das Bundesverdienstkreuz bekommen hat und sich seit Jahren gegen Rassismus, für die Umwelt und das Wohl der Kinder engagiert - fanden Sie das ungerecht?

Maffay: Wissen Sie, es geht da absolut nicht um mich, aber das Wort "systemrelevant" erschließt sich mir nicht in einer Gesellschaft, in der das oberste Prinzip die Gleichheit ist. Wie kann es angehen, dass man mit einem Wort einen solchen Keil in die Gesellschaft treibt und sagt "du gehörst dazu, du nicht"? Das ist diskriminierend. "Systemrelevant" ist ein Unwort und ich hoffe, dass sich daraus nicht ein Verhalten ableitet, das sich in Zukunft in unserer Gesellschaft fest verankert, denn dann haben wir wirklich ein Problem.

Heute Sänger, morgen Moderator?

teleschau: Trotz allem haben Sie sich nicht entmutigen lassen und dieses Jahr viele neue Projekte auf den Weg gebracht - darunter ein Talkformat auf Magenta TV, das auf ihrer "Radio Show" basiert.

Maffay: Man muss diese konzertfreie Zeit ja irgendwie überbrücken! Und ich war schon immer der Meinung, dass es nichts bringt, in Agonie zu verweilen. Ob meine Band oder Kollegen, in meiner Umgebung versuchen alle, Alternativen zu erzeugen, welcher Art auch immer. Durch einen Freund stieg ich letztes Jahr ins Radio ein und das hat mir enorm viel Spaß gemacht. Für Magenta TV wandelten wir das Konzept ab und luden interessante Gäste zu uns nach Hause ins Studio ein, um sie auszuquetschen und etwas über ihr Leben herauszufinden, was anhand einer mitgebrachten Songliste ganz gut klappt. Ob die Sendung jetzt der große Hit wird, keine Ahnung. Aber es macht Spaß, das mal auszuprobieren.

teleschau: Könnten Sie sich vorstellen, dauerhaft die Seiten zu wechseln und beispielsweise Moderator zu werden?

Maffay: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Wenn wir wieder auf die Bühne dürfen, ist das natürlich meine oberste Priorität. Da können noch so viele Radio- oder Fernseh-Shows kommen. An die Konzerte kommt das nicht ran. Aber die Chance zu haben, sich in einer ausführlichen und sehr offenen Form über interessante Themen zu unterhalten, finde ich schon sehr attraktiv, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass dafür auch dann Zeit da sein wird, wenn wir irgendwann wieder touren können.

teleschau: Ganz groß geträumt: Wen würden Sie gerne mal zum Gespräch einladen und warum?

Maffay: Mich faszinierten immer Menschen, die aufgrund ihrer Haltung und ihres Willens scheinbar unmögliche Dinge zuwegegebracht haben. Jemand, den ich gerne schon jetzt dabeigehabt hätte, ist Reinhold Messner. Für diejenigen, die sich nicht so sehr für Alpinismus interessieren: Messner ist Bergsteiger und hat ohne Sauerstoff den höchsten Berg der Welt bestiegen, was einfach unglaublich ist. Dahinter stecken so viel Wissen, Erfahrung und Weisheit. Er wollte eigentlich auch kommen, aber durch Corona war das leider nicht machbar. Ich hoffe, dass wir es irgendwann nachholen können.

"Ein ziemlich glücklicher Umstand": Der Popo bewegt sich noch

teleschau: Auf außergewöhnlichen Begegnungen basiert auch Ihr neues Album "Peter Maffay und ...", das 17 Duette versammelt. In Zeiten von Corona ein bewusstes Zeichen gegen Einsamkeit?

Maffay: Das Album war eine ganz spontane Idee. Es gibt um die 70 Begegnungen dieser Art und wir fragten uns, welche davon für die Hörer interessant oder neu sein könnten. Es sind einige Stücke dabei, die ich für meine Alben "Begegnungen" und Begegnungen 2" aufgenommen habe. Damals fuhren wir rund um den Globus und musizierten mit Menschen anderer Kulturen. Es gibt aber auch unveröffentlichte Songs wie ein Duett mit Zucchero und als Schlusspunkt ein Duett mit meinen Fans.

teleschau: Johannes Oerding, Udo Lindenberg, Katie Melua - die Liste ist wirklich bunt. Gibt es ein Duett, mit dem Sie eine ganz besondere Erinnerung verbinden?

Maffay: Das ist, als würde man fragen, welches Kind man in einer Familie am liebsten hat (lacht). Schwer zu sagen. Die Begegnungen waren alle auf ihre Art sehr besonders. Dass Katie Melua, die ich sehr bewundere, mir die Ehre erwies, bei meinem Unplugged-Konzert mitzuwirken, freute mich sehr. Das gleiche gilt für das Duett mit Johannes Oerding - ein enormer Künstler und total offener und geerdeter Typ.

teleschau: Sowohl Ihr Duett-Album als auch die Platte "Erinnerungen 2", die ebenfalls dieses Jahr erschien, blicken zurück. Sind Sie gerade in einer Phase, in der Sie viel reflektieren?

Maffay: Naja, ich hatte dieses Jahr ja auch mehr Zeit ... Und wahrscheinlich triggert diese aktuelle Zeit solche Aktivitäten.

teleschau: Was empfinden Sie, wenn Sie auf die zurückliegenden Jahrzehnte blicken?

Maffay: Ich freue mich! Ich freue mich, weil sie bewegt waren, es Gott sei Dank auch noch so ist und vermutlich auch bleiben wird. Es war ein rasanter Trip mit vielen Nebenstrecken. Zum Teil ist man auf der Autobahn gerast, aber es gab auch immer wieder Experimente, was bei mir ja auch in eine völlig andere Ecke führte, nämlich Stiftungswesen und Arbeit mit Kindern. Ich bin dankbar, dass ich das alles machen konnte, und es erfüllt mich mit Zufriedenheit. Ich marschiere jetzt ja auf die 72 zu. Das ist ein Alter, in dem einiges für viele nicht mehr machbar ist. Dass ich meinen Popo noch ziemlich zügig von rechts nach links bewegen kann, ist ein ziemlich glücklicher Umstand.