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Holocaust-Gedenken: Götz Alys Rede zum 74. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Wir haben uns versammelt, um an den 27. Januar 1945 zu erinnern – den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Erst in der Nacht zuvor hatten SS-Truppen das letzte der vier aus Erfurt gelieferten Großkrematorien gesprengt; eines war im Oktober 1944 bei einem Aufstand des „Sonderkommandos“ zur Leichenverbrennung zerstört, die beiden anderen waren bereits im Dezember zerlegt und Richtung Mauthausen verfrachtet worden. Dort, am Rand der geplanten Alpenfestung, sollte unter dem Codewort „Neu-Auschwitz“ ein gleichwertiges Vernichtungslager entstehen. Bis Ende 1944 waren in Auschwitz eine Million Menschen ermordet worden, die allermeisten, weil sie Juden waren. Am 27. Januar vor 74 Jahren verharrten noch etwa 7000 von den geflüchteten Wachmannschaften zurückgelassene, extrem geschwächte Häftlinge im Lager. Nach Gefechten mit Wehrmachtsverbänden erreichten zwei vermummte Soldaten das Tor von Auschwitz-Birkenau um 15.00 Uhr. 213 ihrer Kameraden waren bei den Kämpfen um Auschwitz gefallen. Ihr Maschinengewehr zogen die beiden Soldaten per Schlitten hinter sich her. Ein Freudenschrei erhob sich aus der Menge der Gefangenen: „Die Russen sind da!“ Am 15. April rückten britische Truppen auf das Konzentrationslager Bergen-Belsen vor. Auch dort waren die deutschen Bewacher jäh verschwunden. Wie die ungarische Jüdin Lilly Weiss bezeugte, die als Einzige ihrer großen Familie überlebte, herrschte unter den Häftlingen äußerste Spannung. Man hörte Schüsse und Kanonendonner – bis plötzlich aus einem Lautsprecher diese Sätze erschollen: „Hier sind die Soldaten der Britischen Armee! Ihr seid frei! Ab morgen gibt es Lebensmittel. Die Kranken werden versorgt, die Gesunden kommen in Quarantäne. Sie können nach Hause. Keine Panik! Jeder bleibt an seinem Platz! Bergen-Belsen ist befreit!“ Die Deutschen mussten mit Gewalt befreit werden Einige Tage später erreichten sowjetische Truppen den Osten Berlins. Dort, auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee, hielten sich einige Dutzend Juden versteckt, unter ihnen Rabbiner Martin Riesenburger. Er berichtete: „Man schrieb Montag, den 23. April 1945. Als es 15 Uhr war, durchschritt das Tor unseres Friedhofs der erste sowjetische Soldat! Aufrecht und gerade war sein Gang. Ich hatte das Gefühl, dass er mit jedem Schritt bei seinem Kommen zu uns ein Stück des verruchten Hakenkreuzes zertrat. Wir umarmten diesen Boten der Freiheit, wir küssten ihn – und wir weinten!“ „Für mich“, so notierte der Philosoph Rudolf Schottlaender, der dank seiner „arischen“ Ehefrau in Berlin-Heiligensee überlebt hatte, „war eben Befreiung, was ringsum nur Niederlage und Schrecken bedeutete.“ Sowjetische Soldaten mussten die mit Abstand schwersten Opfer auf sich nehmen. Sofern sie den Krieg lebend überstanden hatten, kehrten sie in eine zerstörte, ausgeplünderte und ausgeblutete Heimat zurück; mehr als zwei Millionen von ihnen wurden in deutscher Gefangenschaft vorsätzlich ermordet, zumeist mit dem Mittel des Hungers. Zu den Gefallenen oder von Deutschen als Gefangene ermordeten sowjetischen Soldaten zählen auch 200 000 der insgesamt 500 000 jüdischen Rotarmisten. Mit harter militärischer Gewalt mussten im Mai 1945 viele Zehnmillionen Deutsche dazu gezwungen werden, ihr Werk des Hasses, der Zerstörung und Selbstzerstörung zu beenden. Sie hatten Hitler gewählt, bejubelt oder geduldet und für ihn gekämpft. Insgesamt mobilisierte die Wehrmacht von 1939 an 18 Millionen deutsche Männer – fast alle, die laufen konnten –, um zerstörend, raubend und mordend über Europa herzufallen: vom Nordkap bis zum Kaukasus, von Marseille bis Leningrad. Weit überwiegend fühlten sich die Landser als Herrenmenschen, zumal im Osten Europas. Angetrieben hatte sie nazistische Überzeugung, vaterländisches Pflichtgefühl, nationaler Dünkel, Abenteuerlust oder Gleichgültigkeit – die Verrohung erzeugte die Art der Kriegsführung, verstärkt von der begleitenden Propaganda vom „Untermenschen“. Die Kriegsverbrechen der Wehrmacht Mir bleibt rätselhaft, wie der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland zu folgender Forderung fand: Auch „wir haben das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Ich verspüre kein solches Bedürfnis. Warum das so ist, erkläre ich Ihnen am Beispiel des Feldwebels Werner Viehweg. Er wurde 1912 geboren und wuchs in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf. Sein Vater verlor 1933 sofort seine Stellung als Bezirksoberschulrat im sächsischen Löbau; 1945 wurde er als Ministerialrat in Dresden reaktiviert. Doch dokumentiert das Kriegstagebuch, das Werner Viehweg 1941/42 in Polen und Russland führte, wie regimekon-form er und auch seine beiden Brüder waren – trotz sozialistischer Erziehung. Auf dem Marsch Richtung Ukraine notierte Viehweg: „Auffallend die vielen Juden in Polen. Ich lernte sie in ihrem Dreck so richtig kennen, als ich unverhofft ins Judenviertel kam. Überall saßen die ekelhaften Gestalten vor ihren vor Dreck starrenden Läden und mauschelten jiddisch.“ Aus der Ukraine berichtete er: „In der Nähe hatte vor einigen Stunden ein Überfall versprengter Russen auf einen Trupp Flaksoldaten stattgefunden; sechs Mann waren dabei ermordet worden. Bei der Gegenaktion schnappte man an die 100 Russen, die größtenteils erschossen wurden. Nur einige hatten eine Gnadenfrist erhalten, um verhört zu werden.“ Am 13. August 1941 notierte er: „Dann bummelte ich durch die trostlose Stadt, als dauerndes Schießen verriet, dass eine Erschießung im Gange war. Ich kam gerade hin, als die letzten beiden Raten dran kamen. Jedes Mal wurden sechs Mann an die Grube geführt. Ein Ukrainer gab ihnen Anweisungen ,Kopf hoch! Mehr links! Mehr rechts!‘ – dann kommandierte ein SS-Mann, und die Schüsse knallten. Lautlos sackten die Leute zusammen und fielen in die Grube. Wer sich noch regte, bekam einige Schüsse mit der MP. Die Leichen lagen wie Heringe in dem Loch. Ein ekelhafter Blutgeruch drang von dort heraus.“ Auch Viehweg muss gedacht werden Neben der beifällig-passiven Teilnahme an weiteren Massenmorden notierte unser sächsischer Infanterist, wie er das Abbrennen halber Dörfer bewerkstelligte, wie „das Organisationskommando“ Schweine und Hühner einfing, Honig, Getreide und Gemüse requirierte, oder wie man sich in einer kühlen Oktobernacht in der Nähe von Kiew behalf: „Schnell wurden die Schulbänke zerkloppt und in den Ofen gesteckt, so...Lesen Sie den ganzen Artikel bei berliner-zeitung