Hormone und Psyche - Internist warnt: Vorsicht vor Ärzten, die jede Hormonveränderung als Krankheit sehen
Hormone steuern in unserem Körper wesentliche Vorgänge und jede Veränderung kann auf unterschiedlichste Weise spürbar sein. Internist Peter Paul Nawroth erklärt, wie Hormonstörungen die Psyche beeinflussen, ob es wirklich die Wechseljahre beim Mann gibt und was die Wechseljahre mit Frauen machen.
Welche Rolle spielen Hormonstörungen bei der Entstehung von Depressionen?
Hormone sind Botenstoffe, die auf eine oder mehrere Zellen Signale aussenden. Es gibt viele verschiedene Hormone, die auf unterschiedliche Weise wirken. Manche Wissenschaftler denken, dass es 1000 oder mehr Hormone gibt, biologisch aktive Hormonvorstufen und Abbauprodukte zusammengezählt. Da Hormone wesentliche Vorgänge im Körper steuern, viele sind sogar lebensnotwendig, ist jede Veränderung auf vielfältige Weise spürbar.
Eines von vielen Symptomen können Veränderungen der Psyche sein. Doch wie ein Mensch auf eine Hormonveränderung reagiert, wie stark und mit welchen Symptomen, ist individuell sehr verschieden. Gerade bei Depressionen im Rahmen von Hormonstörungen kommt es auf die Persönlichkeit an. Einige Menschen neigen zu Depressionen, andere nicht.
Viele Symptome einer Hormonveränderung sind unspezifisch, denn sie können bei davon unabhängigen Erkrankungen genauso auftreten. Daher steht am Anfang immer eine präzise Diagnose. Die Hormonbestimmung im Blut ist dabei unumgänglich.
Wie wirken sich die Wechseljahre auf die psychische Gesundheit von Männern aus?
Bis heute ist es umstritten, ob es die Wechseljahre des Mannes überhaupt gibt. Dafür gibt es viele Gründe: Ein leichter Hormonabfall im Alter (meist innerhalb des Normbereiches) ist normal und keine Erkrankung. Das erklärt, warum mehrere Studien zeigten, dass weder Knochenbrüche durch Osteoporose, Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen durch Testosteron-Ersatz verhindert werden. Ein veränderter Laborwert ist eben keine Erkrankung.
Fazit: Vorsicht vor Ärzten, die Hormonveränderungen, die ein normaler Teil des Alterns sind, als Krankheit definieren, ohne dass ein Hormonersatz bewiesenermaßen Erkrankungen verhindern kann. Die meisten Ärzte, die über den Erfolg der Therapie der „Wechseljahre des Mannes sprechen“, können als Beleg der Wirkung nur Surrogate (Ersatzparameter) anführen, also eine Verbesserung der Knochendichte, aber keine Verhinderung der Krankheit (das wäre der Knochenbruch durch Osteoporose).
Etwas ganz anderes ist der Hypogonadismus: Eine angeborene oder erworbene, eindeutig pathologische Verringerung der Hormonsynthese. Hier muss eine Therapie erfolgen.
Welche Auswirkungen haben die Wechseljahre auf die psychische Gesundheit von Frauen?
Anders als beim Mann gibt es keinen Zweifel, dass es die Wechseljahre der Frau tatsächlich gibt. Es gibt auch viele Studien, die belegen, dass schwere Symptome der Wechseljahre, dazu zählt bei einigen Frauen auch die Depression, durch einen Hormonersatz gemildert werden können. Aber: Nicht bei allen Frauen. Es sind Moleküle entdeckt worden, die als Mittler zwischen dem Hormon und den Symptomen stehen. Deren fehlendes Ansprechen könnte erklären, warum die eine Frau von einer Hormonersatztherapie profitiert, die andere nicht.
Aber die beweisenden Therapiestudien haben erst begonnen und dies ist noch nicht praxisreif. Daher gilt: Wenn eine Hormonersatztherapie keinen Nutzen bringt, dann sollten Sie mit Ihrem Arzt ein Absetzen besprechen! Das gilt für psychische Symptome genauso wie für körperliche.
Und für Frauen gilt wie für Männer: Lassen sie sich nicht durch falsche Argumente beeindrucken: Falsche Argumente sind Surrogatparameter (also Knochendichte statt Knochenbruch, oder Blutdruck statt Schlaganfall). Fragen Sie Ihren Arzt immer, ob er über eine Studie spricht, in der eine Therapie an durch Zufall in Plazebo (also keine Therapie) und Verum (die erhalten das Hormon) eingeteilte Probanden getestet wurde. Nur diese Therapiestudien sind beweisend.
Wie kann eine Schilddrüsenunterfunktion das psychische Wohlbefinden beeinflussen?
Grundsätzlich gilt: Patienten mit einer Schilddrüsenunterfunktion sind unter anderem eher müde, apathisch, manchmal depressiv, nehmen ein klein wenig Gewicht zu (aber Adipositas ist fast nie allein durch eine Schilddrüsenunterfunktion verursacht).
Patienten mit einer Überfunktion sind eher unruhig, leiden oft unter anderem unter Herzrasen und Schwitzen. Die Vielfalt der Symptome ist dadurch erklärt, dass fast jede Zelle unseres Körpers Schilddrüsenhormone binden kann und deswegen darauf reagiert.
Aber - um vereinfachenden Erklärungen vorzubeugen: Viele Menschen (vor allem im Alter) reagieren genau umgekehrt. Sie sind bei einer Unterfunktion nervös und überdreht, bei einer Überfunktion müde und depressiv. Deswegen reicht die Beschreibung von Symptomen nicht aus, um eine korrekte Diagnose zu stellen. Oft lohnt es, einen Spezialisten hinzuzuziehen, denn nach Normalisierung der Hormonwerte können Symptome, wie Depression, Müdigkeit etc. anhalten.
Es gibt viele Ideen, warum das so sein könnte, zum Beispiel könnten die bei Schilddrüsenerkrankungen oft erhöhten Schilddrüsen-Antikörper dafür verantwortlich sein. Aber richtig gut bewiesen, im Sinne einer Ursache-Wirkungsbeziehung, ist leider nichts. Daher gibt es auch kaum gesicherte Therapien (und etliche Therapieangebote, wie eine andere Zusammensetzung der Schilddrüsenhormone einzunehmen, sind eher Werbung, da unser Körper individuell die verschiedenen Schilddrüsenhormone ineinander umwandeln kann).