"Ist Ihnen klar, was das bedeutet?" Lauterbachs düstere Prognose bei "Hart aber fair"

Verfolgt uns die Corona-Krise bis ins Jahr 2022? Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zitierte bei "Hart aber fair" eine Studie, die Frank Plasberg fassungslos machte. Auch andere Gäste rechnen mit einem langen Lockdown - und forderten Geld und Konzepte.

Deutschland ist müde. Katstrophenmüde. Vielleicht liegt es ja daran, dass man ein Virus nicht riechen, hören oder mit bloßem Auge sehen kann wie einen Meteoriteneinschlag oder ein Feuerinferno. Nach vier Wochen Anspannungszustand scheint sich die kollektive Geduld im Land dem Ende zuzuneigen. Sprechen Menschen öffentlich über mögliche Lockerungen bei den Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung, kippt der Diskurs immer öfter ins Fleischthekenhafte: Darf's ein bisschen mehr sein? "Öffnungsdiskussionsorgien", hat die Bundeskanzlerin das Aufbrausen des Lockerungsdiskurses genannt. Was einen Frank Plasberg naturgemäß nicht davon abhält, seinen "Hart aber fair"-Talk wundenbohrend zu überschreiben: "Freiheit nur in kleinen Schritten: Wie schädlich wird die Dauer-Quarantäne?"

Lesen Sie auch: Koalition plant nächstes Anti-Corona-Gesetzespaket

Einen Spaziergang aus der Coronakrise erwartet naturgemäß keiner der Gäste, die der Moderator am Montagabend im Ersten im Studio-Halbrund Platz nehmen ließ. Und natürlich war es eine aussichtslose Hoffnung, die Sendung mit einem optimistischen Schlusswort enden zu lassen, wenn Karl Lauterbach zu den Anwesenden zählt. Dass der epidemiologisch wohl bewandertste aller Berliner Parlamentarier verlauten ließ, man werde den nächsten Karneval "nicht erleben", war zwar nur ein Versprecher. Ein bisschen nach Weltuntergang klang es aber bisweilen trotzdem, was der SPD-Gesundheitsexperte zu sagen hatte. Lauterbach, der in den letzten Wochen einen wahren Talkshow-Marathon zurückgelegt hat, ist unterwegs nicht konzilianter geworden.

Könne man nicht wenigstens die Spielplätze wieder aufmachen, damit beengt lebenden Stadtkindern nicht die Decke auf den Kopf fällt, verlas Plasberg ein Zuschauer-Gesuch? Keine Chance, so Lauterbach. Zwar sei es noch nicht hieb- und stichfest bewiesen, dass Kinder Coronavirenschleudern sind, aber eben sehr wahrscheinlich. Wie wäre es denn, die Fußball-Bundesliga wieder starten zu lassen, um - wie Lauterbachs Sitznachbar, der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans von der CDU, anregte - den Sportfreunden Zerstreuung in ernster Lage zu gewähren? "Das völlig falsche Signal", wischte Lauterbach auch diesen Vorschlag weg. Und wenn doch die DFL just vorrechnete, dass die dann fälligen Corona-Tests für die Profispieler "keine Verknappung" bei den eh schon engen Testkapazitäten im Land verursachen? "Was soll der Lobbyist auch sagen? Das ist nicht nachvollziehbar."

"Wir müssen damit rechnen, dass es möglicherweise bis 2022 geht"

Nicht mehr Lockerungen, sondern mehr Durchhaltevermögen hätte der Epidemiologe Lauterbach sich gewünscht. Hätte man sich entschlossen, die strengen Kontaktbeschränkungen nur noch wenige Wochen länger durchzuhalten, glaubt der SPD-Politiker, wären danach viel weitreichendere Lockerungen nach dem Vorbild Südkoreas möglich gewesen. Zumindest vielleicht. "Wir hätten es in Deutschland als einziges europäisches Land schaffen können", so Lauterbach mit Blick auf die - mutmaßlich - niedrigeren Fallzahlen im Vergleich zu den Nachbarstaaten. "Wir sind zu früh von der Bremse gegangen. Es war politisch nicht gewollt."

Lesen Sie auch: Vorsichtige Lockerungen: Ein Überblick

Ja, kann man es denn politisch und menschlich und überhaupt wollen, die Menschen im Land noch weiter über die Belastungsgrenze zu treiben? Eine sichtlich verzweifelte Mutter wurde mit ihrem Anliegen per Videobotschaft eingespielt. Nach vier Wochen ohne Kinder-Betreuung sei sie "am Ende meiner Kräfte", so die junge Frau glaubhaft. Ihre Frage: "Ist den Politikern der Gedanke gekommen, dass wir Eltern das über so lange Zeit gar nicht schaffen?"

"Völlig überfordert" seien Eltern, unterstrich Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband den Eindruck mit Blick auf das gut gemeinte, aber schwer umzusetzende Prinzip Home Schooling. Sein Vorschlag: "Mal einfach den Ball flach halten an der Stelle." Und aufrüsten in Sachen digitales Lernen, mit Plattformen und Laptops und allem Kostspieligen, das dazugehört. Dass Home Schooling derzeit nicht funktioniere, wusste Karl Lauterbach "aus eigener Anschauung" bei seiner Tochter zu bestätigen. Um zu erläutern, warum es auch aus seiner Sicht ein "völlig neues Schulkonzept" brauche, holte er kurz aus - und im Studio wurde es still. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir auch an den Schulen zu einer Normalität erst 2021 zurückkehren - vielleicht sogar nach den neuesten Studien der Harvard Universität erst 2022 ..." - "Herr Lauterbach!" fiel ihm Frank Plasberg ins Wort. "Ist Ihnen klar, was das bedeutet?!"

"Man muss doch die Wahrheit sagen - ich bitte Sie, was soll das?", verbat sich Lauterbach den Einwand. Die beste Studie, die es zum Langzeitverlauf gebe, sei die in der letzten Woche erschienene Studie aus Harvard, und die besage: "Wir müssen damit rechnen, dass es möglicherweise bis 2022 geht." Lauterbach weiter: "Wir hoffen noch immer, dass wir durch eine Wunderheilung das Ding zum Ende des Jahres gelöst haben. Das wird nicht passieren. Ich kenne keinen ernst zu nehmenden Virologen, der glaubt, dass wir in diesem Jahr eine Impfung bekommen." Rumms.

Kommt das Corona-Kindergeld?

Zum Ende hin entfachte sich beim Talk mit der "Hart aber fair"-Vorgabe dann doch noch ein kleiner Disput - es ging, wie könnte es anders sein, ums Geld. Sollten die Schulen und Kitas noch länger im Notbetrieb bleiben, forderte die SZ-Journalistin und Mutter Barbara Vorsamer ein Corona-Elterngeld sowie Kündigungsschutz und ein Rückkehrrecht als Kompensation. Schließlich ließen sich Berufsausübung und Home Schooling ("Wir schreien uns nach zehn Sekunden an") nicht dauerhaft unter einen Hut bringen, das wisse sie aus eigener Erfahrung. Bei Ministerpräsident Hans stieß der Gedanke auf wenig Gegenliebe. Man solle "nicht jeden Tag einen neuen Vorschlag in den Raum stellen", so der Landesvater, schon gar nicht solche, "die darauf abzielen, Menschen möglichst lange von der Arbeit fernzuhalten". Die finanziellen Mittel seien nicht unbegrenzt.

Coronavirus: Diese Internetseiten und Hotlines sollte man kennen

Überraschende Rückendeckung erfuhr die Journalistin von ifo-Präsident Clemens Fuest, den sie zuvor wegen der von mit mitverantworteten Leopoldina-Studie noch scharf attackiert hatte. "Grundsätzlich gerechtfertigt", findet der Wirtschaftsforscher eine solche Regressforderung: "Maßnahmen zum Infektionsschutz können einen Entschädigungsanspruch begründen." Man stehe vor einem Lockdown, der lange anhalten könne. Es sei wichtig, sich darauf einzustellen und nicht nur auf Sicht zu fahren. "Wir müssen ein Konzept entwickeln", mahnte Fuest und fügte einen Nachsatz an, der wohltat an einem weiteren wenig stimmungsaufhellenden Talk-Abend: "und das geht auch".

Corona-Krise: Die aktuellen Entwicklungen gibt’s hier