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Die Ikone der Schweizer Startup-Szene zittert um ihr Lebenswerk

Ava-Gründerin Lea von Bidder 2019 auf einer Tech-Konferenz in Kanada. An ihrem linken Handgelenk trägt sie das Fruchtbarkeits-Armband, für das Investoren ihr viel Geld gaben. - Copyright: Getty Images / Cody Glenn
Ava-Gründerin Lea von Bidder 2019 auf einer Tech-Konferenz in Kanada. An ihrem linken Handgelenk trägt sie das Fruchtbarkeits-Armband, für das Investoren ihr viel Geld gaben. - Copyright: Getty Images / Cody Glenn

In Deutschland ist Lea-Sophie Cramer das Aushängeschild der Startup-Szene, in der Schweiz ist es Lea von Bidder: Die 33-jährige hat mit Ava eines der innovativsten und bestfinanzierten Jungunternehmen des Landes aufgebaut. Mit ihrem Produkt, einem hellblauen Armband, können Frauen ihre fruchtbaren Tage erkennen – und so ihre Chancen erhöhen, schwanger zu werden.

2014 gegründet, gelang es von Bidder, rund 45 Millionen Dollar bei Investoren einzusammeln. Auch wenn die Idee für das Armband wohl auf einen ihrer Co-Gründer zurückging, das Gesicht der Firma war immer sie. Von Bidder gab Interviews, trat auf Tech-Konferenzen auf. Bis heute ist sie auf der Website des Startups als führender Kopf präsent. „Ich bin sehr visionsorientiert“, sagte Lea von Bidder 2016 im Gespräch mit Gründerszene auf die Frage, wie sich selbst beschreiben würde.

Im Sommer vergangenen Jahres dann schien ihre Vision vollendet: Femtec Health, ein US-Anbieter von Produkten für Frauengesundheit, übernahm Ava vollständig. „Exit geglückt“, titelte die Handelszeitung. Zwar machten beide Unternehmen keine Angaben zum Kaufpreis. Mit Blick auf die zuvor kassierten Investorengelder ging die Zeitung jedoch von einer „beachtlichen“ Summe aus.

Lea von Bidder und Ava – das Schweizer Musterbeispiel einer erfolgreichen Gründung?

Ein halbes Jahr später ergibt sich ein anderes Bild. Medienberichten zufolge droht dem einst gefeierten Startup das Aus. Von Geldsorgen und Entlassungen ist die Rede, davon, dass der Verkauf von Ava in die USA lediglich der Not geschuldet war. Und: Der neue Eigentümer Femtec Health habe inzwischen selbst Probleme, bezahle Lieferanten und Angestellte nicht mehr. Ein Streit zwischen den Firmen sei sogar so weit eskaliert, dass sich die frühere Ava-Chefin von Bidder Drohungen ausgesetzt sieht.

Exit „nicht toll, aber auch nicht grottenschlecht“

Die Probleme bei Ava fingen Medienberichten zufolge schon lange vor dem Exit an, im März 2020, wie die Wirtschaftszeitung Bilanz letztes Jahr schrieb. Damals sei eine geplante Finanzierungsrunde wegen der Corona-Pandemie geplatzt. Nur mithilfe eines Wandeldarlehens – das schnell und unbürokratisch organisiert werden kann – habe das Startup eine Pleite abwenden können. 40 der damals 100 Angestellten hätten dennoch gehen müssen. Profit machte Ava der Zeitung zufolge nie.

Trotz finanzieller Überbrückung konnte die Krise anscheinend nicht abgewendet werden. Als im April 2022 das Geld erneut knapp wurde, sollen die Investoren abermals eine Finanzierungsspritze verwehrt haben. Der Grund dieses Mal: Einstürzende Tech-Aktien infolge von Ukraine-Krieg und Inflation.

Ein gesichtswahrender Exit schien also für alle Seiten die letzte noch verbliebene Option. Und als solchen verkaufte Gründerin Lea von Bidder die Übernahme durch die US-Firma Femtec Health später auch: „Die Synergien zwischen unseren Geschäften sind riesig“, sagte von Bidder der NZZ. Während Femtec etwa bereits Frauenkosmetik und Telemedizin anbot, habe der Firma das Fruchtbarkeitstracking noch gefehlt. Da sie den CEO Kimon Angelides zudem seit Jahren kannte, sei der Schritt nur logisch gewesen.

Auf Investorenseite hielt sich die Euphorie über den Exit dagegen in Grenzen. „Er war nicht toll, aber er war auch nicht grottenschlecht“, zitiert Bilanz einen Investor, der anonym bleiben will. Ein anderer sagte gegenüber der Zeitung, die gesamte Firma um Gründerin Lea von Bidder hätte sich „sicher etwas anderes erhofft“. Dafür spricht auch, dass bei der Übernahme kein Geld geflossen sein soll. Es sei ein Tausch von Firmenanteilen gewesen, so Bilanz.

Neuer Ava-Eigentümer in Not

Ob die Anteile noch lange an Wert behalten, ist allerdings fraglich. Denn wie das US-Nachrichtenportal Axios nun meldete, ist der neue Ava-Eigentümer inzwischen selbst in finanzielle Not geraten. Mindestens zehn Prozent seiner Angestellten habe Femtec Health zuletzt entlassen, Daten von Linkedin zufolge ist die Zahl sogar um die Hälfte von knapp 80 (Juni) auf nunmehr 42 zurückgegangen.

Wie betroffene Mitarbeiter von Femtec Health gegenüber Axios berichteten, soll sich CEO Kimon Angelides mit zuletzt zahlreichen Firmenzukäufen übernommen haben. Angelides habe Informationen über den finanziellen und operativen Status seiner Firma gegenüber Investoren falsch dargestellt. Bereits seit Juli vergangenen Jahres – also zum Zeitpunkt der Ava-Übernahme – soll Femtec Health zudem weder Rechnungen von Lieferanten, noch die Löhne von Angestellten gezahlt haben.

Davon betroffen sind offenbar auch frühere Angestellte von Ava. Laut Axios haben mehrere Ex-Führungskräfte – darunter auch Gründerin Lea von Bidder – eine Vollstreckungsklage gegen eine Schweizer Niederlassung des neuen Eigentümers auf den Weg gebracht. Axios beruft sich dabei auf E-Mails und andere Dokumente, die das Nachrichtenportal einsehen konnte.

„Konsequenzen für persönliche Reputation“

Auf das Vorgehen reagierte Kimon Angelides, der CEO von Femtec Health, angefasst. „Wenn das durchgeht, wird der Wert der Anteile und Beteiligungen an der Firma auf null zurückgehen. Ich glaube nicht, dass Sie als frühere CEO dieses Resultat wollen“, soll er von Bidder in einer E-Mail geschrieben haben. Angelides warnte die Gründerin zudem vor irreparablen Imageschäden: Wenn sie den Niedergang der Firma durch persönliche Forderungen beschleunige, könne das „Konsequenzen für die persönliche Reputation“ haben und als „unglückliches persönliches Versagen“ gesehen werden.

Ob der neue Ava-Eigentümer seine Firma und damit auch von Bidders einstiges Startup pleitegehen lassen würde, wird sich zeigen. Für die Ikone der Schweizer Startup-Szene wäre es jedenfalls ein unrühmliches Ende. Auf eine Anfrage von Gründerszene reagierte von Bidder bislang nicht.