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Inflation: Der junge Ökonom Maurice Höfgen fordert, die EZB bei der Preisstabilität zu entmachten – das sind seine Gründe

Der junge Ökonom Maurice Höfgen. - Copyright: dtv/privat
Der junge Ökonom Maurice Höfgen. - Copyright: dtv/privat

Die aktuelle Inflationswelle dürfte ihren Höhepunkt überschritten haben, doch vorüber ist sie nicht. Ihre Auswirkungen werden noch lange zu spüren sein, vor allem für die vielen Verlierer gestiegener Preise und Zinsen. Die Debatte über die Ursachen und Lehren dieser Inflationsphase beginnt sogar erst. In dieser Diskussion mischt der junge Ökonom Maurice Höfgen mit, etwa mit seinem neuen Buch „Teuer“.

Auf dem Buchdeckel verspricht Höfgen nicht weniger als „Die Wahrheit über Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik“. Auf den 240 Seiten im Innern gibt er jenen eine Stimme, die Zinserhöhungen der Zentralbanken als Mittel gegen die aktuelle Inflation strikt ablehnen. Am Ende fordert Höfgen sogar, der Europäischen Zentralbank (EZB) das Mandat für die Preisstabilität zu entziehen, sie also zu entmachten. Politiker könnten die Inflation besser bekämpfen als die „Technokraten“ der Zentralbanken.

Höfgens Diagnose ist weitgehend unstrittig: Die gegenwärtige Inflation wurde wesentlich durch Schocks auf der Angebotsseite ausgelöst. Erst machten Probleme bei den Lieferketten infolge der Corona-Pandemie viele Produkte knapp und teuer. Dann folgte der extreme Anstieg der Energiepreise infolge des Ukraine-Krieges. An beiden Ursachen dieser Inflation können Zinserhöhungen nichts ändern. Diese Diagnose ist – auch bei Zentralbänkern – kaum umstritten. Wohl aber die Therapie gegen die Inflation.

Die Zentralbanken versuchen, über Zinserhöhungen zu verhindern, dass sich die Inflation über die Energiepreisschocks hinaus in der gesamten Wirtschaft ausbreitet, und vor allem, dass sich die Erwartung steigender Preise verfestigt und die Preise damit stärker und länger steigen. Dass steigende Zinsen Kredite verteuern und damit die Wirtschaft bremsen, ist der schmerzhafte Teil der Therapie, die auch die große Mehrheit der Ökonomen unterstützt. Die EZB will die Inflation so in die Nähe von zwei Prozent zurückführen.

Höfgen argumentiert dagegen, dass höhere Zinsen in der aktuellen Lage nicht verhindern, dass sich die Inflation ausbreitet. Die Teuerung werde sich auch gar nicht festsetzen, sondern von allein verschwinden, sobald die Schockwelle einmal durch die Wirtschaft gelaufen sei. Weder die Geldmenge noch die Inflationserwartungen hätten Einfluss auf die Preise. Die Zinserhöhungen wirkten nicht gegen die Inflation. Sie würden in der Wirtschaft aber Schaden anrichten, nötige Investitionen verhindern und Arbeitsplätze vernichten.

Was schlägt Höfgen in seinem Buch gegen die Inflation vor?

Statt höherer Zinsen fordert Höfgen mehr staatliche Eingriffe, um das „Fieber“ der Inflation zu senken. Zum einen sollte der Staat wie aktuell bei Gas und Strom die Preise dämpfen, entweder mit Subventionen oder mit Steuersenkungen zum Beispiel für Nahrungsmittel. Zum zweiten sollte die Regierung entschlossener Härten für jene abmildern, die besonders von steigenden Preisen betroffen sind oder sie am wenigsten tragen können. Drittens sollte der Staat die Ursachen der Angebotsknappheit bekämpfen – wie durch den Bau neuer Flüssiggas-Terminals als Ersatz für russisches Gas. Ein Weg seien höhere Investitionen in erneuerbare Energien.

Um direkte Hilfen, Preis-Subventionen und Investitionen bezahlen zu können, müssten die Staatsausgaben kräftig steigen. Daher sollte die Schuldenbremse abgeschafft werden. Auch die Schuldengrenzen in der Euro-Zone müssten fallen.

Höfgen schreibt: „Die Zunft der Ökonomen hat die Politik in den letzten Jahrzehnten falsch beraten. (...) Sie huldigt bis heute der dümmsten Regel aller Zeiten – der Schuldenbremse – und hat keine Rezepte gegen Krisen und Energiepreisschocks.“

Zusätzlich sollte der Staat Gewinne aufgrund von Preissteigerungen, etwa bei Energieunternehmen, stärker besteuern. Inflation sei immer auch Umverteilung. Der Staat müsse sie stärker korrigieren. Bisher werde den Verlierern der Inflation zu wenig gegeben und den Gewinnern zu wenig genommen.

Wer ist Maurice Höfgen?

Höfgen gehört dem linken Spektrum der Ökonomen an. Er ist Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten der Linken, Christian Görke, allerdings keine Mitglied der SED-Nachfolgepartei. Höfgen verortet seine Position als Marktwirtschaftler zwischen Linken und SPD. In seinen Thesen scheint die Forderung vieler Linker nach einem „Primat der Politik“ über unabhängigen Institutionen durch. Im Buch nennt Höfgen Zentralbanker stets „Technokraten“ und macht keinen Hehl daraus, dass er ihnen weniger zutraut als Politikern.

Höfgen hat einen Bachelor-Abschluss in Betriebs- und einen Master in Volkswirtschaft. Seinen Einfluss verdankt er keiner akademischen, sondern seiner publizistischen Arbeit. Der 26-Jährige erreicht bei Twitter mit 37.000 Followern weit mehr Menschen als der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen oder deren Vorsitzende Monika Schnitzer. In der Netzwelt ist Höfgen mindestens so populär wie Ifo-Präsident Clemens Fuest oder der Ökonom Rüdiger Bachmann, mit dem Höfgen gern streitet. Höfgens Videos bei YouTube haben 30.000 Menschen abonniert. Fast ebenso viele sehen sie bei Instagram. Höfgen schreibt zudem Kolumnen und erreicht nach seinen Angaben im Podcast „Jung & Naiv“ jede Woche über 60.000 Menschen.

Was ist die Modern Monetary Theory?

Wichtig für das Verständnis Höfgens ist auch, dass er ein Anhänger der „Modern Monetary Theorie“ (MMT) ist. Sie ist eine Denkschule einer Minderheit von Ökonomen, die eine theoretische Grundlage für die Forderung nach deutlich höheren Staatsausgaben und Staatsschulden liefert. Wichtigste Annahme der MMT ist, dass souveräne Staaten mit einer eigenen Währung nicht pleitegehen könnten, weil sie unbegrenzt eigenes Geld schöpfen und ausgeben können. Zu einer Inflation komme es nur, wenn der Staat die Geldmenge auch dann noch ausdehnt, wenn alle Produktionskapazitäten voll ausgelastet sind, es also auch keine Arbeitslosigkeit gibt.

Davon ist Deutschland nach Höfgens Einschätzung weit entfernt. Er verweist auf 2,6 Millionen offiziell Arbeitslose und eine Unterbeschäftigung von 3,5 Millionen. Dass Unternehmen derzeit rund zwei Millionen Stellen nicht besetzen können, ficht ihn nicht an. „Dem Narrativ von einem Arbeitskräftemangel folge ich nicht“. Löhne und Gehälter könnten ein Inflationsanker sein. Höfgen schlägt eine Neuauflage der gerade gescheiterten Konzertierten Aktion vor: Gewerkschaften und Arbeitgeber sollten Löhne und Gehälter in Tarifverhandlungen stets in Höhe des Inflationszieles plus des Produktivitätsfortschritts erhöhen. Bei höherer Inflation nähme diese goldene Lohnregel Druck von den Preisen, bei niedrigerer Inflation stabilisiere sie die Nachfrage.

Wie geht es nun weiter mit der Inflation?

Höfgen: „Die gute Nachricht zuerst: Die Inflationsrate wird wieder sinken. Wann genau, wie viel genau, ist Kaffeesatzleserei. Es dauert, bis die Börsenpreise für Energie im Supermarkt und bei unseren Heizungen ankommen. Sofern es keinen neuen Preisschock gibt, der die Energiepreise in neue Höhen katapultiert, oder eine Lohn-Preis-Spirale losgetreten wird, wird die Rate wieder sinken.“ Höfgen erwartet sogar sinkende Preise, also eine negative Inflationsrate. „Dass sie negativ wird, ist wahrscheinlich.“

Ein baldiges Ende der Inflation erwartete Höfgen bereits im Ende 2021, als er twitterte: „Bald ist der Inflationsspuk vorbei“. Daran hält er fest. „Ohne Ukraine-Krieg wäre die Inflation in Deutschland Anfang 2023 wieder gefallen.“ Auch darin weicht er vom Mainstream ab. Im Mittel erwarten Ökonomen und Institutionen für Deutschland in diesem Jahr eine Inflationsrate zwischen fünf und sechs Prozent, die 2024 auf 2,5 bis drei Prozent fallen werde.

Höfgen schreibt dagegen: „Man darf gespannt sein, wie die EZB sich aufstellt, wenn die Inflationsrate in Zukunft fällt, wenn das neue Preisniveau mit dem Kriegsniveau verglichen wird. Noch gespannter darf man sein, was die EZB bei negativen Inflationsraten macht. Sagt sie dann der Deflation den Kampf an und nimmt alle Zinserhöhungen schnell wieder zurück?“

Sein Vertrauen in die Institution EZB reicht nicht weit: „Nach fast 15 Jahren blanker Überforderung mit dem Mandat, für zwei Prozent Inflation zu sorgen, sollten Ökonomen und Politiker zur Kenntnis nehmen, dass es so nicht weitergeht. Warum nicht die Aufgaben neu verteilen? Auf stabile Preise hat die Regierung viel mehr Einfluss als die EZB. Wirtschaftsminister Habeck mit der Energiewende, Finanzminister Lindner mit der Fiskalpolitik und Arbeitsminister Heil am Arbeitsmarkt. Alle drei verfügen über Präzisionswerkzeug, die EZB hingegen nicht.“

Statt um die Inflation solle sich die EZB nur noch um die Finanzstabilität kümmern. „Dafür seien ihre Werkzeuge gut geeignet“. Mit Blick auf die Banken-Turbulenzen meint Höfgen: „Preis- und Finanzstabilität stehen zudem auch im Konfliktverhältnis zueinander. Schnelle Zinsanstiege sollen Preise runterholen, riskieren aber Kreditausfälle. Auf allen Ebenen verlangt man Unmögliches von der Zentralbank.“

Höfgens „Teuer“ ist kein wissenschaftliches, sondern ein politisches Buch. Es ist kein abwägendes Sachbuch, sondern ein Thesenbuch. Entsprechend sucht Höfgen aus der komplexen Wirklichkeit die Zahlen, historischen Beispiele und Argumente heraus, die seine Thesen stützen. Wer sich darüber im Klaren ist, erhält einen interessanten Einblick in die Denkschule der Modern Monetary Theory sowie linker Ökonomen und kommt mit „Teuer“ auf seine Kosten. Für die versprochene „Wahrheit“ zur Inflation aber bleibt auch „Teuer“ zu billig.

 - Copyright: dtv
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„Teuer“ von Maurice Höfgen ist bei dtv erschienen.

Es hat 240 Seiten und kostet 20,00 Euro.