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"Die Intellektuellen sind die größten Säue!"

Neue Folgen von "Ella Schön" und "Merz gegen Merz", aber auch Ungewöhnliches wie die "FilmFrauen" und "Der Demenz-Chor": Annette Frier ist eine vielbeschäftigte Frau. Im Interview spricht die 46-Jährige über neue Projekte, deutschen Humor und weibliches Selbstbewusstsein.

Man darf sich Annette Frier als ebenso vielbeschäftigte wie entspannte Frau vorstellen. Bester Laune weiß die Comedienne und Schauspielerin, die vor 20 Jahren als Darstellerin der "Wochenshow" bekannt wurde, im Gespräch von ihrem Leben als gefragte Darstellerin und ihren neuen Projekten zu berichten. Und die haben es wirklich in sich: Neben neuen Episoden der Erfolgsreihen "Ella Schön" (ab Frühjahr im ZDF) und "Merz gegen Merz" (ab Donnerstag, 9. April, 22.15 Uhr, im ZDF) bekommen die Zuschauer die 46-Jährige auch in experimentelleren Formaten zu sehen - insbesondere im Zweiten. So begleitet die gebürtige Kölnerin demenzkranke Senioren bei einem ungewöhnlichen Projekt: Der "Demenz-Chor" (noch kein Sendetermin) probt in der Adaption des BBC-Formats "The Dementia Choir" trotz aller Widrigkeiten für den großen Auftritt. Währenddessen spricht Annette Frier in der zweiten Staffel der Reihe "FilmFrauen. Die Interviews" (abrufbar bei ZDFKultur online) über ihr Dasein als Frau im Schauspielgeschäft.

teleschau: Es gibt ein aktuelles ZDF-Plakat, auf dem Sie mit Andrea Sawatzki und Anja Kling zu sehen sind. Bei Ihren Kolleginnen steht darunter "Wild" respektive "Tiefgründig", und bei Ihnen "Witzig". Ein Attribut, dem Sie uneingeschränkt zustimmen?

Annette Frier: Also erst einmal: Die haben sich ja offensichtlich vertan, sonst stünde da logischerweise "Wiefgründig", wild und witzig. Da find ich "Witzig" spontan am unanstrengendsten. Aber im Ernst: Solange man mich nicht unter Druck setzt, witzig sein zu müssen, bin ich mit diesem Label vollkommen einverstanden. Ich gestalte mir mein Leben gern so, dass ich darin Humor entdecke. So eine grundsätzliche Einteilung auf dem Plakat ist natürlich sehr deutsch - aber da ich Teil dieser Gesellschaft bin, geht das für mich in Ordnung. Es ist ja nur eine Überschrift.

teleschau: Was meinen Sie, ist das Deutsche am deutschen Humor?

Frier: Wir wälzen alle Sachverhalte, auch Pointen, erst mal stundenlang hin und her, dann ist übrigens auch das Leichteste irgendwann wahnsinnig schwer. Das ist eben so bei uns ... Wenig Bauch, viel Kopf. Außerdem ist Comedy natürlich auch immer einem gewissen Zeitgeist unterworfen. Wenn ich jetzt an die 90er-Jahre-Gags denke - wie weit ist das bitte weg! Es ist lustig, wenn man selbst Zeitzeuge verschiedener Epochen wird. Außerdem ist Humor tatsächlich eine individuelle Geschmacksfrage. Du kannst vorher nicht sagen, worüber jemand lacht. Mit einer Ausnahme: Die verkopftesten Typen lachen über die dreckigsten Witze. Das stimmt immer ... Die Intellektuellen sind die größten Säue! (lacht)

teleschau: Woher rührt das?

Frier: Die brauchen diesen Ausgleich. Weil sie den ganzen Tag diese geistige Leistung meinen vollbringen zu müssen. Die benötigen dann was für unter die Gürtellinie. Es muss ja alles irgendwo hin!

"Albernheit ist doch was Herrliches."

teleschau: Hat Ihrer Meinung nach jeder Mensch das Bedürfnis nach flachen Witzen?

Frier: Ich hoffe, dass das jeder hat! Albernheit ist doch was Herrliches. Das finde ich überhaupt nicht schlimm. Klar, wird es auch irgendwann pathologisch, wenn ansonsten kein weiteres Gespräch möglich ist. Daher glaube ich immer an die Waage, an das Ausgeglichene.

teleschau: Wie meinen Sie das genau?

Frier: Ich glaube an die Dialektik von Dingen. Wo Gutes ist, da ist auch Böses. Wo Sinn ist, auch Unsinn. Und gegenüber von Ernsthaftigkeit steckt eben auch Albernheit. So. Das war jetzt ein sehr tiefgründiger Kommentar von der witzigen Frau Frier (lacht).

teleschau: Sind die Leute manchmal enttäuscht, wenn Sie nicht die ganze Zeit über witzig sind?

Frier: Es gab eine Situation, die das sehr gut zusammenfasst. Ich war mit meinen Kindern im Baumarkt, und wir hatten Streit, weil die unbedingt irgendwas haben wollten, was ich ihnen aber nicht gekauft habe. Kleiner Familienzoff, ich hatte schlechteste Laune und keiner hat gesprochen. An der Kasse sagte die Kassiererin dann: "Ach, Sie sind das!", worauf ich aber kaum reagierte. Daraufhin fragte sie: "Sind Sie privat gar nicht lustig?" - Und ich antwortete: "Nee, leider gar nicht." Geilerweise meinte sie dann einfach: "Ach so." Das war eine tolle Situation. Und am Ende haben auch meine Kinder gelacht, die noch gar nicht so Ironie-geschult sind.

Über den Humor ihrer Kinder und die "FlimFrauen"

teleschau: Ihre Kinder sind jetzt elf Jahre alt. Sind die schon auf dem Weg, witzig zu werden - beziehungsweise werden sie humorvoll erzogen?

Frier: Wie die werden, kann ich noch gar nicht genau sagen. Wir haben es oft lustig zu Hause, so viel steht fest. Außerdem, wie gesagt: Was der eine lustig findet, findet der andere eventuell peinlich. Stichwort: "Worüber lachst du, Mama?" Ich finde übrigens, dass einen das Wort "Witzig" schon fertig machen kann.

teleschau: Es ist ebenfalls ziemlich deutsch, oder?

Frier: Es klingt manchmal so hart, übt so einen merkwürdigen Druck aus, nach dem Motto: "Jetzt muss es aber mal witzig werden hier!" (lacht)

teleschau: Ging es in Ihrem Gespräch für die Reihe "Filmfrauen" ernster zu? Lernt man eine andere Annette Frier kennen?

Frier: Wenn ein Gespräch drei Stunden dauert, dann ist das etwas ganz anderes. Da sieht man eben, was passiert, wenn es von Überschriften weggeht. Und das geschieht wiederum nur dann, wenn man sich Zeit dafür nimmt. Es war natürlich wahnsinnig luxuriös, sich so lang Gedanken zu sich selbst machen zu dürfen. Ich werde zwar ab und zu auch zu Hause gefragt, wie mein Tag so war, aber drei Stunden lang über sich selbst reden, macht man normalerweise ja nicht. Tatsächlich dazu befragt zu werden, wie man Dinge betrachtet. Dabei habe ich zu vielem noch gar keine fertige Meinung. Das finde ich auch wahnsinnig anstrengend: zu allem eine Meinung haben zu müssen. Laufend treffe ich Leute, die keine Meinung haben, aber meinen, eine haben zu müssen.

teleschau: Erfuhren Sie dabei selbst Neues über sich?

Frier: Ja, ich war teilweise verblüfft: "Nein, wirklich?! So finde ich das also?!" (lacht)

Über Männer und Frauen

teleschau: Die Reihe setzt den Fokus auf das Leben als Frau in Film und Fernsehen. Erfuhren Sie in der Branche Nachteile, weil Sie eine Frau sind?

Frier: Ich bin sozusagen im Matriarchat aufgewachsen. Mein Vater war auch dabei, aber der war die beste Frau von uns. Daher kannte ich es von Kindheit an gar nicht anders, als dass ich nach meiner Meinung gefragt werde. Ich bin dermaßen emanzipiert groß geworden, dass ich das ganze Thema erst einmal nachholen musste. Für mich war es ja klar, dass Frauen selbstverständlich alle Berufe machen können. Das hat mir wohl viel Kraft gegeben.

teleschau: Die Sie in einer von Männern bestimmten Branche dann auch brauchten?

Frier: Im Laufe des Berufslebens wurde mir klar, gerade in der Comedybranche, dass die Männer einfach ein bisschen lauter schreien. Und viel schneller ein Vakuum besetzen. Wenn da in der ersten Reihe etwas frei wird, setzen sich die Männer dort sofort hin. Egal, welche Qualifikation sie haben.

teleschau: Bei Frauen ist das anders?

Frier: Das ist vielleicht der große Unterschied: Frauen müssen erst darüber nachdenken. Aber ich glaube nicht, dass Frauen grundsätzlich besser sind als Männer. Und doch war es absolut überfällig, diese Hausaufgaben nachzuholen.

teleschau: Welche dieser Hausaufgaben war die wichtigste?

Frier: Dass man sich diese ganzen Vorgänge bewusst macht. Wenn die Männer nun unsicher reagieren, sehe ich das nicht als Affront. Ich denke, diese Unsicherheit im Umgang mit Frauen ist doch gut. Man soll einfach vorher fragen, ob man den Stuhl ranrücken, die Tür aufhalten oder den Mantel abnehmen soll. Diese Dinge können ja auch schön sein. Aber jetzt können sich die Frauen auch mal fragen, ob sie das wollen. Mehr ist es gar nicht.

teleschau: Für manche ist es eine Art Weltuntergang ...

Frier: Jede Form von Veränderung in einer Gesellschaft, auch sprachlicher Art, wird als massiver Angriff empfunden. Das finde ich interessant, dass das derlei Debatten auslöst. Daran sieht man auch, wie viel dabei offensichtlich zu verlieren ist. Dabei sollten gerade wir mit unseren supertollen europäischen Werten, die wir in alle Welt verkauft haben, eine Achtsamkeit darauf legen.

Wie sie heute ihre Rollen auswählt

teleschau: Apropos Achtsamkeit: Achteten Sie in den letzten Jahren vermehrt darauf, bestimmte Rollen und Stoffe nicht anzunehmen, weil sie zu heikel waren?

Frier: Ja, aber das geschah eher intuitiv. Früher wollte ich einfach spielen und schauspielern, das Ganze professionalisieren. Heute habe ich eher Bock auf diesen oder jenen Stoff, aus verschiedenen Gründen. Irgendwann kommen andere Fragen wie: Ist es sinnvoll, dass ich diese Rolle spiele? Kann ich mit diesem Drehbuch wirklich was anfangen? Und dann wird es geil.

teleschau: Inwiefern?

Frier: Der Inhalt wird interessanter. Schließlich beschäftigen wir uns erst mal alle wahnsinnig mit uns selbst, gerade als Schauspieler. Wir kreisen alle permanent um uns. Und dann gibt es verschiedene Lebensphasen, in denen zum Beispiel die Kinder wichtiger werden als man selbst. Da merkt man: Es ist doch völlig egal, ob ich das mache oder nicht, dann macht es eben jemand anderes. Und man fragt sich: Was kann ich Interessantes machen? Warum ich? Und wenn ich das wirklich beantwortet habe, schauen die Leute vielleicht auch ein bisschen wegen mir zu.

teleschau: War der Demenz-Chor so ein Beispiel für Sie?

Frier: Ja. Da dachte ich auch erst, dass das gar nicht zu mir passt. Ich fand das Projekt maximal sinnvoll, sah mich aber zunächst gar nicht darin. Dann schlief ich ein paarmal drüber und wusste, dass es genau das ist, was ich will: Zu wissen, wie sich das anfühlt. Zumal ich gern singe und denke: Wer singt, kann sich nicht prügeln (lacht).

teleschau: Wie war Ihre Erfahrung in der Arbeit mit den dementen Menschen?

Frier: Für die Leute, denen das passiert, ist es eine Tragödie. Auch für die Angehörigen. Ich bin auch nicht angetreten, um dort witzig so zu tun, als wäre das leicht. Als habe es auch tolle Seiten, wenn jemand Demenz bekommt. Aber: Das Licht ist da, auch in der größten Dunkelheit. Und die Leute in dem Chor sind gut drauf, sie haben Lust. Auch wenn sie natürlich sehr vergesslich sind. Man geht völlig weg vom Kognitiven. Das ist eine andere Erfahrung. Es geht nicht um die Biografie, sondern nur ums Jetzt, als Menschen.