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Intensivmediziner kritisiert Impfpflicht für Krankenhauspersonal: "Was meinen Sie, wie die sich jetzt fühlen?"

Intensivmediziner Uwe Janssens warnte davor, Omikron als harmlos einzustufen. (Bild: ARD)
Intensivmediziner Uwe Janssens warnte davor, Omikron als harmlos einzustufen. (Bild: ARD)

Bis die allgemeine Impfpflicht kommt, könnte es noch eine ganze Weile dauern. Dass die Regelung im Gesundheitswesen hingegen so rasch umgesetzt wurde, bemängelte der ehemalige DIVI-Präsident Uwe Janssens nun bei "Anne Will".

Die Omikron-Welle überrollt Deutschland mit zunehmender Intensität. Die Sieben-Tage-Inzidenz erreichte am Montag erneut einen Höchstwert von 840,3, und auch die Hospitalisierungsrate scheint langsam zu steigen. Und trotzdem: Immer wieder werden Stimmen laut, geltende Maßnahmen auszusetzen und hinsichtlich des milderen Verlaufs der Omikron-Variante Entwarnung zu geben. Auch im ARD-Talk bei Anne Will kam am Sonntagabend die Frage auf, welchen Kurs Deutschland nun einschlagen solle.

Omikron als ungefährlich zu bezeichnen, hielt der Intensivmediziner Uwe Janssens hierbei für "verfrüht". Auch die Medizinethikern Alena Buyx warnte davor, auf Staaten wie Spanien zu schielen, wo nun Maßnahmen aufgehoben würden. "Wir können uns nicht vergleichen mit diesen Ländern", so Buyx. Dort sei ein weitaus größerer Teil der Bevölkerung "durchgeimpft", zudem hätten viele Nachbarländer schon schwerere Wellen als Deutschland hinter sich. "Vielleicht rutschen wir mit einem blauen Auge unter einer Belastung durch", so die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, doch momentan könne das noch niemand einschätzen.

Dass die Politik auch nach zwei Jahren Pandemie immer noch Versprechungen mache, die letztlich nicht eingehalten würden, hielt "FAZ"-Redakteurin Helene Bubrowski für problematisch. Etwa, dass Olaf Scholz noch vor einigen Monaten versichert hätte, die Impfpflicht komme im März. Dabei sei ihrer Ansicht nach vor allem die FDP eine "Herausforderung" für die Ampel-Koalition: "Wäre die FDP nicht Teil der Bundesregierung, hätte Olaf Scholz längst einen Gesetzentwurf vorgelegt." Laut Bubrowski sei die Zurückhaltung der regierenden Parteien in Sachen Impfpflicht derzeit für viele Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar. "Das ist alles kein stimmiges Bild und nicht das, was das Vertrauen in die Krisenlösung schürt", so die Journalistin.

"Vielleicht rutschen wir mit einem blauen Auge unter einer Belastung durch", so Medizinethikerin Alena Buyx. (Bild: ARD)
"Vielleicht rutschen wir mit einem blauen Auge unter einer Belastung durch", so Medizinethikerin Alena Buyx. (Bild: ARD)

Marco Buschmann: Impfpflicht ist "Vorsorge für den Herbst"

Derartige Anschuldigungen ließ Bundesjustizminister Marco Buschmann nicht auf sich und seiner Partei sitzen. "Wir haben die Delta-Welle ohne Lockdowns bewältigt", so der FDP-Mann. In Deutschland fahre man zudem die "erfolgreichste Boosterkampagne" in Europa. Mit einer Impfpflicht betreibe man lediglich "Vorsorge für den Herbst" - Kritik, die Regierung lasse sich zu lange Zeit, ließ er somit nicht gelten. Das sorgte unter anderem bei Uwe Janssens für Empörung. "Sie haben es geschafft, die Impfpflicht für Mitarbeiter in Krankenhäusern am gleichen Tag im Bundestag und im Bundesrat zu beschließen", so der ehemalige Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V., kurz DIVI. "Was meinen Sie, wie die sich jetzt fühlen?"

Nach wie vor sei nicht festgelegt, wie die Regelung ab März umgesetzt werden solle, kritisierte Janssens. Vor allem für das geimpfte Personal sei die Vorschrift ein Schlag ins Gesicht. "Die pflegen von morgens bis abends an den Betten auf den Intensivstationen meist Ungeimpfte, und stellen sich nun die Frage: 'Wieso wird denn auf uns quasi mit dem Finger gezeigt?'", erklärte der Facharzt für Innere Medizin.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst räumte ein, dass es an der Zeit sei, sich einer Diskussion zur allgemeinen Impfpflicht zu stellen. Es gehe darum, den Geimpften zu signalisieren: "Wir lassen das nicht weiter zu, dass Menschen ihre individuelle Freiheit über die Freiheit der gesamten Gesellschaft stellen. Jetzt sind diejenigen dran, die sich bisher geweigert haben."

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) will die Ungeimpften zur Verantwortung ziehen: "Jetzt sind diejenigen dran, die sich bisher geweigert haben." (Bild: ARD)
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) will die Ungeimpften zur Verantwortung ziehen: "Jetzt sind diejenigen dran, die sich bisher geweigert haben." (Bild: ARD)

Kommt die Impfpflicht ab 50?

Ziel sei, für alle wieder ein Stück Normalität herzustellen. Man könne "nicht individuelle Freiheit über die Freiheit der gesamten Gesellschaft stellen", stellte Wüst fest. Zu diesem Zweck seien auch Bußgelder denkbar. Klar sei für den CDU-Politiker jedoch auch: Sollte es auch ohne eine Impfpflicht möglich sein, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und das normale Leben wiederherzustellen, so würde man dies als Regierung ebenfalls zur Kenntnis nehmen. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, teilte diese Einstellung. Man müsse "genau beobachten", wie sich die Lage entwickle. Hinsichtlich der steigenden Zahlen und der zu erwartenden höheren Hospitalisierungsrate in einigen Wochen halte sie es jedoch für angemessen, rasch eine allgemeine Impfpflicht einzuführen.

Zweifel äußerte hingegen Helene Bubrowski. Die Kausalität müsse im Vordergrund stehen - die Impfpflicht müsse nicht dem Einzelnen, sondern der Gesellschaft dienen. Ob dies der Fall sei, sei derzeit nicht so einfach nachzuvollziehen: "Da fehlen uns die Daten." Bubrowski warnte davor, aus "Aktionismus" eine so drastische Maßnahme einzuführen, nur, um die verängstigte Bevölkerung zu beruhigen. Einen Vorschlag zur Güte machte schließlich Marco Buschmann, der eine teilweise Impfpflicht in den Raum warf. "Nach derzeitiger Aktenlage gibt es für eine Impfpflicht ab 50 stärkere Argumente als für eine allgemeine Impfpflicht", so der FDP-Politiker. Konkrete Absichten, ein mögliches Gesetz auch so umzusetzen, gebe es allerdings keine.

Kritik am Vorgehen der Ampelregierung ließ Marco Buschmann (FDP) nicht gelten. "Wir haben die Delta-Welle ohne Lockdowns bewältigt", erklärte der Bundesjustizminister. (Bild: ARD)
Kritik am Vorgehen der Ampelregierung ließ Marco Buschmann (FDP) nicht gelten. "Wir haben die Delta-Welle ohne Lockdowns bewältigt", erklärte der Bundesjustizminister. (Bild: ARD)