Internet, Verkehr, Ärzte, Schulen - Bundesregierung will mehr Leute aufs Land locken, aber dort fehlt es an allem
In den deutschen Metropolen steigen Mieten und Wohnungsnot unaufhaltsam. Gleichzeitig werden Landkreise immer leerer. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) würde diesen Trend gerne umkehren – aber das wird ein Mammutprojekt.
Was ist die Ausgangslage?
400.000 neue Wohnungen hatte sich die Ampel-Regierung pro Jahr vorgenommen, erreicht wurde das aber nie. Dieses Jahr wäre schon die Hälfte ein Erfolg. Weil die Baubranche in der Krise steckt, steigen Wohnungsnot und Mieten besonders in Großstädten. In den Top-7-Städten Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Köln, Düsseldorf und Stuttgart kostete der Quadratmeter vergangenes Jahr im Schnitt eine Nettokaltmiete von 14,98 Euro. Landkreise im Speckgürtel der Big 7 verlangten 11,45 Euro, alle anderen Großstädte 9,78 Euro. Mittelstädte lagen bei 8,99 Euro und Landkreise außerhalb der Speckgürtel bei nur 8,29 Euro. Der Aufpreis zwischen der teuersten und der günstigsten Kategorie liegt also bei rund 80 Prozent.
Zugleich wachsen die Ballungszentren am stärksten. Nach Daten des Postbank Wohnatlas soll die Bevölkerung in den Top-7-Städten bis 2035 im Schnitt um 2,7 Prozent anwachsen. In Berlin wären das allein fast 100.000 Menschen mehr. Die Speckgürtel folgen mit einem Zuwachs von 2,0 Prozent im Schnitt. Auf der anderen Seite sollen Mittelstädte im Schnitt um 2,0 Prozent schrumpfen, Landkreise außerhalb der Speckgürtel sogar um 2,9 Prozent. Da das Wohnungsangebot in den Ballungszentren nicht schnell genug steigt, drohen die Mieten hier also zu explodieren. Gleichzeitig stehen auf dem Land immer mehr Wohnungen leer. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) nannte vergangene Woche die Zahl von 1,7 Millionen Wohneinheiten im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung .
Was ließe sich dagegen tun?
Auf eine schnelle Wende in der Baubranche zu hoffen, wäre wohl vergebene Liebesmüh. Stattdessen müssten die Wanderungsbewegungen in Deutschland umgelenkt werden, sprich, mehr Menschen von der Stadt aufs Land ziehen. Dort fänden sich leerstehende und auch sonst günstigere Wohnungen, gleichzeitig sänke die Nachfrage nach Wohnungen in Ballungszentren. Geywitz sagt, dass sie bis Jahresende zusammen mit den Kommunen ein Maßnahmenbündel erarbeiten will, dass es attraktiver machen soll, aufs Land zu ziehen. Grundsätzlich ist das eine gute Idee, von der auch die Kommunen und ländlichen Gebiete profitieren würden. Aber: Eine schnelle Trendwende wird es nicht geben. Schließlich ziehen nicht immer mehr Menschen in Ballungszentren, weil sie so gerne beengt wohnen und dafür hohe Mieten bezahlen. Stattdessen gibt es handfeste Probleme, die es zu lösen gilt: Von Arbeitsplätzen über Internetanbindungen bis zum Verkehr, Ärzten und Schulen. So sieht es im Details aus.
1. Arbeitsplätze
Die Büros von Unternehmen, gerade von Konzernen, finden sich hauptsächlich in Großstädten und Ballungszentren – schon allein wegen der guten Infrastruktur dort. Entsprechend entstehen hier auch die meisten Arbeitsplätze mit den höchsten Gehältern. Laut dem Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit gab es in jeder der Top-Sieben-Städte 2022 im Schnitt fast 400.000 Beschäftigte mit einem Mediangehalt von 4250 Euro brutto pro Monat. Die Speckgürtel folgen mit 76.000 Beschäftigten bei einem Mediangehalt von 3.930 Euro vor allen anderen Großstädten mit je rund 60.000 Beschäftigten und einem Mediangehalt von 3700 Euro. Landkreise außerhalb der Speckgürtel bieten nur noch 46.000 Arbeitsplätze und 3500 Euro, in Mittelstädten sind es sogar nur 15000 Arbeitsplätze und 3380 Euro.
Hier könnte Geywitz wohl am ehesten erfolgreich ansetzen. „Homeoffice bietet mittlerweile ganze neue Möglichkeiten für Leben und Arbeiten im ländlichen Raum“, sagt sie. Tatsächlich hatte auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits im Januar angekündigt, einen Rechtsanspruch auf Homeoffice für Eltern prüfen zu lassen. Geywitz könnte einen Schritt weiter gehen und einen solchen Anspruch für ganze Berufszweige unter bestimmten Bedingungen verankern oder Anreize schaffen, die es für Unternehmen attraktiv machen, Mitarbeiter im Homeoffice zu beschäftigen.
2. Infrastruktur
In Großstädten haben 99 Prozent der Haushalte eine Bushaltestelle mit mindestens 20 Abfahrten pro Tag im Umkreis von 600 Metern um ihre Haustür herum und eine Bahnhaltestelle im Umkreis von höchstens 1200 Metern. Abseits von Großstädten schwindet die Versorgung mit dem ÖPNV aber rapide. Mittelstädte kommen noch auf eine sehr gute 97-prozentige Abdeckung, doch bei Landkreise im Speckgürtel von Ballungszentren fällt es bereits auf 83 Prozent. Wer auf dem platten Land lebt, hat nur noch eine 68-prozentige Chance auf nahe Busse und Bahnen. Das geht aus dem Report des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung von 2023 hervor. Die Folge: Ohne Auto geht auf dem Land gar nichts. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) macht der ÖPNV auf dem Land nur fünf Prozent des Personentransportes aus. Der Verband hat bereits 2020 ein Positionspapier aufgelegt mit sechs Maßnahmen, mit denen sich dieser Anteil immerhin auf ein Drittel steigern lassen könnte. Wichtigster Aspekt dabei: Ein massiver Ausbau des Angebots, finanziert von Bund, Ländern und Kommunen.
Doch davon ist bisher wenig zu sehen. Stattdessen kürzte die Bundesregierung jüngst die Investitionen in Straßen, Schienen und Wasserwege des Landes für den Bundeshaushalt 2025 zusammen. Selbst, wenn Geywitz und ihre Amtskollegen heute die Wende planen würden, würde es wohl mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis Verbesserungen für Landbewohner spürbar würden.
3. Digitalisierung
In kaum einer Statistik hinkt Deutschland so weit hinterher wie beim Ausbau von Breitband-Internet. Immer noch fehlt rund zwei Millionen Haushalten in Deutschland Breitband-Internet, also etwa fünf Prozent aller Wohnungen. Wo es Breitband gibt, ist das nicht sonderlich schnell. Laut dem Speedtest-Anbieters Ookla lag die durchschnittliche Download-Geschwindigkeit in Deutschland im Juni bei 90,50 Megabit pro Sekunde. Das reicht international gesehen gerade einmal für Platz 57 hinter Ländern wie Paraguay, Ecuador, Moldawien, den Philippinen, Rumänien und Singapur. Beim mobilen Internet sieht es mit 57,68 Mbit/s und Platz 40 nur unwesentlich besser aus. Hier liegen zum Beispiel Zypern, Slowenien, der Oman, Malaysia und Indien vor uns. Auch der Glasfaser-Ausbau hakt: Hier liegt Deutschland innerhalb der OECD mit einer Abdeckung von 11,19 Prozent auf dem drittletzten Platz. In Südkorea und Island haben derweil fast 90 Prozent aller Breitbandanschlüsse Glasfaser.
Die schnellsten und besten Anschlüsse gibt es dabei in der Stadt, während auf dem Land gerade die mobile Verbindung immer noch oft abbricht. Das macht den Umzug in Klein- und Mittelstädte weder für Firmen noch für Menschen, die im Homeoffice arbeiten wollen und auf Videokonferenzen angewiesen sind, attraktiv. Verbesserungen hat die Politik hier schon oft versprochen und dann doch nicht durchgesetzt. Würde hier der politische Schalter umgelegt, würde ein flächendeckender Glasfaser-Ausbau aber wohl bis zu zehn Jahre dauern. Das zeigen die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.
4. Ärzte, Schulen, Kindergärten
Während sich in Großstädten Ärzte, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten ballen, wird es auf dem Land rar. Nach Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gab es 2023 in Groß- und Mittelstädten rund 250 Ärzte pro 100.000 Einwohner. In Landkreisen sinkt diese Zahl um 40 Prozent auf 153. In den drei bayrischen Landkreisen Bayreuth, Coburg und Neustadt an der Waldnaab sind es sogar weniger als 100. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant die Versorgung über Krankenhäuser sogar noch zu verschlechtern. Aus Kostengründen soll nicht mehr jedes Krankenhaus jede Leistung anbieten, wenngleich ein Grundangebot überall bestehen bleiben wird. Für die ärztliche Versorgung hat Lauterbach zwar einen Vorschlag vorgelegt, der Kassenärzte generell von Bürokratie befreien und die Vergütungen erhöhen soll, Mediziner sehen darin aber keine Lösung für den Mangel an Ärzten auf dem Land.
Für das Angebot an Plätzen in Kitas, Kindergärten und Schulen gibt es keine genauen Daten. Geywitz argumentiert, dass es gerade in Klein- und Mittelstädten ein gutes Angebot an Betreuungs- und Schulplätzen gäbe. Empirisch überprüfen lässt sich das nicht, sicher ist aber, dass unabhängig von der Art des Wohnortes immer rund 90 Prozent der Kinder zwischen drei und fünf Jahren ganztätig betreut werden – sei es in einem Kindergarten oder von Verwandten.