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Interview mit Dogan Akhanli: „Ein Hotel kann ich mir nicht leisten“

Der Schriftsteller sitzt in Madrid fest.

Nach 16 Stunden wurde der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli aus der Haft entlassen, muss aber 40 Tage in Spanien bleiben. Die Türkei wirft ihm vor, ein Terrorist zu sein. In einem Hotelzimmer in Madrid erzählt Akhanli, wie ihn die Verhaftung retraumatisiert hat – und warum er künftig nicht schweigen wird. Herr Akhanli, sie sitzen während des Telefonats in einem Hotelzimmer in Madrid, dürfen Spanien aber 40 Tage nicht verlassen – so lange hat die Türkei nun Zeit zu begründen, warum Sie ausgeliefert werden sollen. Wie fühlen Sie sich? Es geht mir wieder relativ gut. Ich möchte nicht glauben, dass der spanische Staat mich ausliefern könnte, obwohl Deutschland meine Verhaftung als Unrecht bezeichnet. Das wäre ein politischer und juristischer Skandal. Ich hoffe, dass ich in 40 Tagen wieder in Köln bin. Aber man kann nie ganz sicher sein. Ich muss mich jetzt jede Woche beim spanischen Gericht melden und einen Zettel unterschreiben, auch das ist irgendwie absurd, aber es ist ok. Sie wären dann gerade rechtzeitig zurück, um am 30. September im Kölner Schauspiel auf der Bühne zu stehen – da spielen sie gerade in dem Stück „Istanbul“, in dem sie ihre Geschichte erzählen und mit Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan nicht sparen. Ich denke noch nicht an Ende September, aber ja, das könnte genau ausgehen. Alle Lesungen und Vorträge bis dahin muss ich absagen. Ich suche gerade ein günstiges Zimmer in Madrid, ein Hotelzimmer kann ich mir nicht leisten. Das ist sowieso eine große Frage: Wie soll ich meinen Aufenthalt hier bezahlen? Aber das Wichtigste ist, dass die deutschen Medien und die Politik so schnell reagiert haben – sonst säße ich jetzt in Untersuchungshaft. Und da will ich nie mehr hin. Sie waren schon zweimal in Haft: Anfang der 80er Jahre, als sie sich im politischen Widerstand engagierten und zwei Jahre in einem Militärgefängnis inhaftiert waren, und 2010, als sie ihren todkranken Vater besuchen wollten und bei der Einreise festgenommen wurden. Jetzt waren Sie im Urlaub mit Ihrer Frau in Granada und wurden erneut festgenommen. Was ist Ihnen in dem Moment durch den Kopf gegangen? Es war wirklich Horror, ich wollte das nicht wahrhaben, habe gedacht, ich stecke in einer Erzählung, das ist nicht real. Als es an der Tür klopfte, dachte ich, die Polizei wolle die Ausweise von Touristen kontrollieren wegen der Anschläge in Barcelona. Es war 8.14 Uhr, ich lag noch im Bett und habe in Unterhose geöffnet. Die Polizisten, die korrekt waren, waren auch verwirrt, sie sollten einen Terroristen festnehmen und fanden einen älteren, eher schwächlichen Mann in Unterhose. Sie haben dann erstmal telefoniert, wohl, um sich zu vergewissern, ob ich der Richtige sei. Als die Polizisten mir Handschellen anlegten, wurde mir schlecht. In der Zelle war mir dann schwindelig, ich hatte kein Zeitgefühl mehr, da ist eine Traumatisierung aufgebrochen, die ich glaubte, gerade überwunden zu haben. Der Staatsanwalt, der Sie 2010 in der Türkei lebenslang in Haft bringen wollte, ist inzwischen auch nach Deutschland geflohen, weil er dem Regime nicht genehm war. Das zeigt die ganze Absurdität. Ich würde ihn gern für ein Gespräch treffen, das wäre interessant, habe ihn aber bislang noch nicht ausfindig gemacht. Sie sind wegen eines „red notice“-Vermerks der europäischen Polizeibehörde Interpol verhaftet worden, die besagt, dass eine gesuchte Person festgenommen werden soll, damit sie ausgeliefert werden kann. Davon haben Sie anscheinend nichts gewusst. Nein, über den Vermerk haben mich deutsche Behörden nicht informiert. Ich wusste, dass es noch einen türkischen Haftbefehl gegen mich gibt, aber nicht, dass ich über Interpol gesucht werde und ein EU-Land das ernst nimmt. Ich habe mir bislang nie Sorgen gemacht, wenn ich nach Frankreich, Holland, Italien oder Polen gereist bin. Kontrollen finden ja normalerweise auch am Flughafen statt, 2010 war ich bei der Einreise in die Türkei auch am Flughafen festgenommen worden. Eine Festnahme im Hotel, das hat schon eine neue Qualität. Bestimmte Menschen wissen offenbar genau, wo sie wann sind. Ja, aber das an sich macht mir keine Angst. Angst hat mir gemacht, dass die spanische Polizei mich wegen genau der absurden Vorwürfe festgenommen hat, die die Türkei schon 2010 gegen mich erhoben hat. Die Spanier hätten eigentlich wissen müssen, dass die Türkei Regimekritiker systematisch und mit völlig aus der Luft gegriffenen Argumenten verfolgen lässt. Es ist seltsam, dass in Spanien binnen zehn Tagen zwei Regimekritiker der Türkei festgenommen wurden, warum ausgerechnet in Spanien? Ich weiß es nicht. Ihnen wurde 2010 in der Türkei vorgeworfen, Kopf einer Terrororganisation mit dem Codenamen „Dogan K.“ zu sein, außerdem sollen sie 1989 in einen Raubüberfall verwickelt gewesen sein, bei dem ein Mensch ermordet wurde. Sie erhielten einen Freispruch, der aber 2013 wieder aufgehoben wurde. Das ist alles Schikane, man wollte und will mich zum Schweigen bringen, so macht man es mit anderen Kritikern auch. Ich lasse mir das Reden und Schreiben aber nicht verbieten. Ihre Frau hat nach der Verhaftung sofort einen Anwalt eingeschaltet, der die Politik und Medien informiert hat. Was wäre gewesen, wenn Sie nicht bei Ihnen gewesen wäre? Dann säße ich jetzt womöglich noch in Untersuchungshaft, und dreimal unschuldig einzusitzen, das wäre doch ein bisschen zu viel. So waren es zum Glück nur 16 oder 17 Stunden in der Zelle, die mir allerdings viel länger vorkamen. Ich wusste auch nicht, wer sich zwischenzeitlich für mich eingesetzt hat – unglaublich. Von der Bundeskanzlerin bis zum Außenminister, der Schriftstellervereinigung PEN bis zur Kölner Oberbürgermeisterin und dem Schauspielintendanten hat jeder Ihre sofortige Freilassung gefordert. Diese unglaubliche Solidarität, die ich schon 2010 gespürt habe und jetzt vielleicht sogar noch stärker empfinde, ist überwältigend. Es ist ein großes Glück, deutscher Staatsbürger zu sein, ich genieße den Schutz dieses Landes, das Gefühl habe ich jetzt wieder, und das nimmt mir die Angst....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta