Interview zu Javier Milei - Deutscher Boss aus Argentinien lobt Anarcho-Staatschef - mit einer Einschränkung

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Fabian Sommer/dpa

Seit einem Jahr regiert der umstrittene Präsident Javier Milei in Argentinien. Christian Müller lebt seit sieben Jahren in Südamerika und spricht mit FOCUS online über seine Eindrücke und was Deutschland von Milei lernen kann.

Seit 2017 ist der gebürtige Rostocker Christian Müller als Unternehmer in Argentinien tätig. Er besitzt dort ein Weingut und eine Haselnussplantage. Nach einem Jahr Amtszeit des umstrittenen argentinischen Präsidenten Javier Milei, der sich selbst als “Anarchokapitalist” bezeichnet und mit der Kettensäge auftritt, ist die Bilanz für Müller positiv.

Auf FOCUS online erklärt der Geschäftsmann auch, was deutsche Politiker von Milei lernen könnten.

FOCUS online: Hat sich Mileis Politik schon auf Ihre Geschäfte ausgewirkt?

Christian Müller: Vor Milei mussten sich Unternehmer aufwendige Methoden ausdenken, um trotz einer 300-prozentigen Inflation und dem Zwangswechselkurs der Regierung wenigstens ein bisschen Gewinn zu machen. Auch die Bürokratie war der Wahnsinn: Hygienesteuern, Zusatzgebühren, viermal so vielen Staatsregeln wie jetzt. Seit Milei sind allein schon meine Buchhaltungskosten drastisch gesunken.

"Seit Milei kann eine Familie planen"

Was hat sich im normalen Alltag geändert?

Müller: Die Lebensmittelpreise sind stabiler. Zwar immer noch hoch, aber zumindest stabiler. Wenn man früher in den Supermarkt ging, wusste man nie, um wie viel Prozent etwa Tomaten heute teurer sein würden als gestern. Man wusste zwar: Sie wurden täglich teurer, aber nie, wie viel mehr sie heute kosten würden. Seit Milei kann eine Familie planen, was sie im Supermarkt ausgeben wird. Das gibt ein Gefühl der Stabilität. Auch sonst fühle ich mich sicherer.

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In Bezug auf die Kriminalität?

Müller: Genau. Vor Milei hatten Polizisten wenig Macht. Sie wussten, dass sie jederzeit verklagt werden können und ließen Kriminelle deshalb oft einfach laufen. Milei sagte von Anfang an, er will der Polizei den Rücken stärken. Seine Sicherheitsministerin finde ich auch sehr gut. Die Kriminalität wurde schon stark reduziert. Ich persönlich mache mir definitiv weniger Sorgen um die Sicherheit meiner Familie.

Aber Mileis extreme Sparpolitik sorgt für auch für reichlich Kritik, es gibt Massenproteste. An Universitäten etwa befürchtet man ein Ende des kostenlosen öffentlichen Studiums. Wie blicken Sie auf die Kehrseite seiner Politik?

Müller: So stimmt das nicht. Er hält die Gelder für staatliche Universitäten zurück, weil er wissen möchte, wofür die verwendet werden. Die Unis verweigern eine finanzielle Prüfung. Also sagt Milei: 'Dann zahl' ich eben gar nichts.' Der Hintergrund ist, dass viele Bildungsgelder in politisch linkstehende Organisationen oder die Taschen irgendeines Dekans oder Amigos flossen.

Einige in Deutschland loben Milei, etwa Christian Lindner. CDU-Chef Merz hingegen distanziert sich und sagt, der Präsident trete die Menschen dort „wirklich mit Füßen“ .

Müller: Dass Deutsche andere gern belehren, ist ja bekannt. Meiner argentinischen Frau fiel das schon oft auf. Beim Einparken etwa stand plötzlich ein deutscher Rentner neben ihr und sagte ihr, wie weit entfernt vom Bordstein sie sein dürfe.

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Was Trump angeht, ist die Anti-Haltung in deutschen Medien extrem. Aber über Milei lese ich auch Positives. Er hat der Korruption, der Vetternwirtschaft, dem aufgeblähten Staatsapparat den Kampf angesagt. Sowohl linke als auch rechte Stimmen müssen zugeben: Er hält, was er versprochen hat. Im Wahlkampf sagte er dem Volk: Erst mal wird sich die Lage verschlechtern.

Dann wird es eine Weile noch übler. Dann wieder so schlecht wie am Anfang. Danach aber könnte es besser werden. Er hat nichts beschönigt. Mileis Glaubwürdigkeit ist der Grund, weshalb seine Zustimmungsrate selbst unter den Armen gestiegen ist. Diese Glaubwürdigkeit fehlt vielen deutschen Politikern.

"Deutsche Politiker verlieren den Bezug zur normalen Bevölkerung"

Ist Milei besser als Olaf Scholz? Bräuchte Deutschland etwas von einem Milei?

Müller: Ich würde sagen: ja! Wobei ein deutscher Kanzler viel weniger Macht hat als ein argentinischer Präsident. Milei hat die Staatsausgaben extrem reduziert. Auch deutsche Wähler empfinden viele Ausgaben als unnötig. Es sind schließlich ihre Steuergelder, die da ausgegeben werden – etwa für grüne Umweltprojekte in China.

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Da könnte Deutschland von Milei lernen?

Müller: Generell könnten Politiker lernen, dass es sich bei Staatsausgaben nicht um ihr Geld handelt, sondern um das der Steuerzahler. Die haben oft wenig von Projekten, die nur einer Minderheit dienen. Deutsche Politiker verlieren den Bezug zur normalen Bevölkerung. Vor 100 Jahren war Argentinien das reichste Land der Welt. Dann ging es stetig bergab. Auch Deutschland war mal ein Vorzeigeland und befindet sich jetzt im Abwärtstrend. Dem sollte man rechtzeitig gegensteuern.

Wo lebt es sich momentan besser? In Deutschland oder Argentinien? Und in 5 bis 10 Jahren?

Müller: Das hängt vom Einkommen ab. In Argentinien möchte man nicht zur Unterschicht gehören. Mit Geld lebt es sich hier gut. Andererseits ist es in Deutschland sicherer. Das ist sehr viel wert. Man muss die Kinder nicht auf teure Privatschulen schicken. Teenager können abends mit der U-Bahn fahren. Das wäre in Buenos Aires unmöglich.

In Deutschland muss ich mich nicht ständig um meine Sicherheit sorgen. Seit Milei ist es zwar besser geworden, aber kein Vergleich zu Deutschland. Ich hoffe sehr, dass er es schafft, im Amt zu bleiben. Er könnte natürlich in einen Skandal verstrickt oder auch ermordet werden. Das weiß man in Südamerika nie. Aber er ist ein großer Hoffnungsträger. Wenn er durchhält, kann man in 10 Jahren bestimmt sehr gut in Buenos Aires leben.