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Interview mit Kölner Blogger Ali Utlu: „Ich werde seit Jahren immer wieder bedroht“

Auf Twitter informiert Ali Utlu regelmäßig über die türkische Politik.

Herr Utlu, Sie haben im Februar bei Twitter geschrieben: „Ich hatte gerade Besuch von türkischen Männern in Anzug, die mir mit Nachdruck erklärt haben, ich solle nicht mehr über die Türkei twittern oder...“ Oder? Mir wurde gesagt, ich wüsste ja, was mit Menschen in der Türkei passiert, wenn sie zu viel reden. Dass sie im Knast verschwinden oder im Meer gefunden werden. Sie haben das Twittern zunächst eingestellt. Ich werde seit Jahren immer wieder bedroht, entweder online oder über meinen Briefkasten. Dass jemand vor meiner Tür steht, hat eine ganz andere Klasse. Die wollten mir zeigen, dass sie wissen, wo ich wohne, dass sie immer Zugriff auf mich haben und das umsetzen können, was sie mir gesagt haben. Wer da keine Angst hat, ist sich seiner Sache sehr sicher oder verrückt. Wie haben Sie sich die nächsten Tage verhalten? Ich bin raus aus meiner Wohnung und bin zu meinem Partner gezogen. Dann haben wir Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um in meiner Wohnung weiter in Ruhe zu leben. Ich bin ein Mensch und habe nur dieses eine Leben. Natürlich ist das, was ich mache, für viele sehr provozierend. Aber ich habe das Recht, das zu sagen. Und ich habe das Recht, unversehrt weiter zu leben. Sie twittern trotz der Bedrohungen inzwischen wieder. In der Türkei haben Millionen Menschen keine Stimme. Weil sie immer Gefahr laufen, staatlichen Repressalien ausgesetzt zu sein. Das kleinste Wort reicht, um verhaftet zu werden. Nicht nur ich, auch viele andere geben den Menschen eine Stimme. Es ist für die Menschen in der Türkei wichtig, dass es hier Kritiker gibt, die die Initiative ergreifen und über alles, was in der Türkei passiert, auch deutsche Leser informieren. Stimmt der Eindruck, dass die in Deutschland lebenden Türken in der Mehrheit für Erdogans Verfassungsreform sind? Stellen Sie sich vor: In einer Halle sind 99 Menschen gegen etwas, nur einer ist für die Sache. Aber dieser eine schreit die ganze Zeit. Das ist derjenige, den man hört, obwohl es noch 99 andere gibt. Die türkische Gesellschaft in Deutschland ist nicht homogen. Es gibt nicht die Türken. Wir haben Kurden, Jesiden, türkische Christen, Aleviten, sehr viele kommunistisch-sozialistische Türken, Islamisten, strenggläubige Muslime, und so weiter. Nur die lautesten hört man. Das ist wie mit den Nazis im Internet. Das sind nicht viele, aber sie sind am lautesten. Warum erheben sich die anderen Gruppen nicht ebenso lautstark? Sie haben Angst. Mit jedem Tweet, in dem ich öffentlich mache, was in der Türkei schiefläuft, gefährde ich meine Verwandten in der Türkei. Was sagen Ihre Verwandten dazu? Die haben mich schon vor langem darum gebeten, bitte nicht mehr über die Türkei zu twittern, weil sie Angst haben. Besitzer türkischer Reisebüros, die sich gegen Erdogan aussprechen, werden häufig von anderen Türken gemieden. Ihnen werden die Fenster eingeschmissen oder sie werden körperlich bedroht. Viele haben Angst, auch hier in Deutschland. Sind Spitzeleien türkischer Organisationen wie der Ditib für Sie etwas Neues? Eigentlich nicht. Als Türke in Deutschland wächst man mit so etwas auf. Als Kinder mussten wir immer regelmäßig zum Konsulat. Und wenn wir da in langen Schlangen standen und uns darüber aufgeregt haben, haben unsere Eltern immer gesagt: Sei ruhig, pass auf, Du weißt nie, wer hier zuhört. Man wächst also mit sowas auf. Sie decken nicht immer nur auf, sondern beleidigen auch mal: „Gute Nacht und liebe AKPler: Leckt mich.“ Woher kommt diese Wut? AKP-Anhänger stellen sich als das eine Volk hin. Das, was sie über die Türkei sagen, soll Gesetz sein, an dem sich jeder auszurichten hat. Da werde ich wütend. Die AKP ist nur eine Partei, und die Türkei gehört sich selber und dem Volk. Die AKP kann nicht für alle reden, wenn sie weiß, dass die Hälfte der Türkei gegen sie ist. Das sind Dinge, die mich aufregen. Ich bin auch nur ein Mensch. Das Herz liegt nah an der Zunge. Nun wird der türkische Konflikt in Deutschland ausgetragen – und Sie sind Teil davon. Es irritiert mich, dass sich Türken, die die ganze Zeit friedlich nebeneinander gelebt haben, plötzlich spinnefeind sind. Weil sie nicht mehr einfach nur noch Landsleute sind. Plötzlich sind sie Kemalisten, AKPler oder Islamisten. Innerhalb der türkischen Community werden Menschen jetzt in Kategorien gesteckt. Gibt es diese Entwicklung schon lange oder ist sie neu? Wenn man hier groß geworden ist, kannte man nur den Konflikt zwischen Türken und Kurden. Dass es jetzt auch untereinander Konflikte gibt, ist neu. Die türkischen Fernsehsender, die in Deutschland zu empfangen sind, sind mittlerweile alle in Staatshand. Das Gift, das dort gesendet wird, zum Beispiel, dass Nein-Sager Terroristen sind, das setzt sich fest. Man muss es den Leuten bloß oft genug erzählen. Und plötzlich ist eine Deutschfeindlichkeit entstanden. Einige Türken sagen, die Lügenpresse Deutschlands präsentiere die Türkei immer nur im schlechten Licht, gegen Erdogan werde nur gehetzt und das sei alles aus Berlin gelenkt. Das sind Sachen, die man auch regelmäßig von türkischen Politikern hört. Das ist furchtbar. Die Türken in Deutschland haben hier ihren Lebensmittelpunkt. Was hier passiert, muss sie interessieren. Nicht das, was in der Türkei passiert. Sie lassen sich gegen ihre deutsche Heimat aufhetzen. Wozu führt das? Was an Integration in Deutschland geglückt ist, wird damit in kürzester Zeit kaputt gemacht. Das Schreckliche ist: Die Menschen, die so deutschfeindlich sind, ziehen alle anderen Türken mit in den Dreck. Hier wird die Integration der letzten zwanzig Jahre zunichte gemacht. Und alle zusammen müssen das dann ausbaden. Nehmen wir an, Erdogan kündigt morgen einen Köln-Besuch an. Würden Sie es ihm verbieten wollen oder ihn auftreten lassen? Er soll kommen und seine Anhänger um sich scharen. Dann haben wir von der anderen Seite die Möglichkeit, noch mehr Anhänger gegen ihn auf die Straße zu bringen. Wir können zeigen, dass das hier in Deutschland funktioniert, ohne dass wir mit Wasserwerfern auseinandergetrieben werden. Zur Person Ali Utlu (45) wurde in Hessen geboren und hat türkische Wurzeln. Er ist Ex-Muslim und setzt sich für Menschenrechte ein. Er wurde dafür schon von Rechten und Islamisten mit dem Leben bedroht. Seinem Twitter-Kanal folgen über 15 000 Menschen. Seit 1995 wohnt er in Köln. 2012 trat er in die Piratenpartei ein, drei Jahre später wieder aus. „Ich finde es einfacher, als Nichtparteimitglied für Menschenrechte zu kämpfen und mich für mein Vaterland im Mutterland einzusetzen“, sagt er. Aus gesundheitlichen Gründen ist er Frührentner....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta