Interview mit Chef von „Juden in der AfD“ - Provokation? Verzweiflung? Darum treten einige Juden in die AfD ein

Der jüdische Arthur Abramovych ist 2017 in die AfD eingetreten. Über seine Beweggründe sprach er mit FOCUS-online-Experte Guy Katz in einem Videocall.
Der jüdische Arthur Abramovych ist 2017 in die AfD eingetreten. Über seine Beweggründe sprach er mit FOCUS-online-Experte Guy Katz in einem Videocall.

Juden in der AfD? Was sehr ungewöhnlich klingt, ist in der rechtspopulistischen Partei tatsächlich Realität. Unser Israel-Experte, Professor Guy Katz, ist dem Phänomen im Interview mit dem Mitgründer der "Juden in der Afd", Arthur Abramovych, auf den Grund gegangen.

Was treibt Jüdinnen und Juden in die AfD? Welche Zukunft sehen sie für (jüdisches) Leben in Deutschland und wie sehen sie ihre Rolle in einer Partei, die von der Gesellschaft als rechtspopulistisch oder gar antisemitisch wahrgenommen wird?

Mit diesen Fragen im Hinterkopf habe ich mich entschlossen, im Auftrag von FOCUS online ein Interview mit dem Vorsitzenden und Mitbegründer von „Juden in der AfD“ (20 offizielle Mitglieder) zu führen, um einen Einblick in seine Sichtweise und die Beweggründe der Mitglieder zu erhalten.

Interview mit dem jüdischen Mitgründer von "Juden in der AD"

Guy Katz: Herr Abramovych, stellen Sie sich bitte kurz unserer Userschaft vor.

Abramovych: Ich heiße Arthur Abramovych, bin 28 Jahre alt und wurde 1996 in der zweitgrößten Stadt der Ukraine geboren. Als ich zwei Jahre alt war, kam meine Familie als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Das war damals unter Helmut Kohl für Juden aus der ehemaligen Sowjetunion möglich. Aufgewachsen bin ich in Emmendingen bei Freiburg, also im politisch und landschaftlich grünen Südbaden. Heute bin ich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag und freier Publizist.

Katz: Wie sind Sie zur AfD gekommen?

Abramovych: Ich bin 2017 während meines Bachelor-Studiums in Freiburg in die AfD eingetreten. Ein Freund von mir, der Kreisvorsitzender der AfD in Freiburg war, studierte mit mir Germanistik. Ich suchte ein Ventil für meinen Ärger über die deutsche Politik und fühlte mich von der AfD angezogen. Die Folgen konnte ich damals noch nicht absehen.

Katz: Welche Folgen hatte Ihre politische Entscheidung und Ihre Mitgliedschaft in der AfD?

Abramovych: Nach meinem Eintritt wurde meine Adresse von der Antifa veröffentlicht. Es gab auch andere Schwierigkeiten, zum Beispiel die Ablehnung von Stipendien. Mir wurde schnell klar, dass es für mich als Geisteswissenschaftler in Deutschland beruflich schwierig werden würde, außerhalb eines bestimmten politischen Spektrums zu arbeiten.

Katz: Sehen Sie keinen Konflikt zwischen Ihrer jüdischen Identität und Ihrer Mitgliedschaft in der AfD?

Abramovych: Überhaupt nicht. Ich glaube, dass das Judentum historisch gesehen ein zutiefst nationalistisches Volk ist. Es gibt dieses Stereotyp, dass Juden links sein müssen, aber wenn man sich Israel anschaut, sieht man, dass die israelische Gesellschaft sehr patriotisch ist. Viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wie ich, sind sehr skeptisch gegenüber linker Politik, weil wir den Kommunismus und den staatlichen Antisemitismus in der Sowjetunion erlebt haben.

Katz: Wie reagieren Sie auf Kritik an antisemitischen Tendenzen in der AfD, etwa im Zusammenhang mit umstrittenen Personen wie Björn Höcke?

Abramovych: Höcke ist sicherlich eine umstrittene Figur und hat auch aus meiner Sicht zum Teil sehr problematische Aussagen gemacht. Allerdings werden seine Aussagen in den Medien oft verzerrt wiedergegeben. Ich teile zum Beispiel teilweise seine Kritik am Holocaust-Mahnmal - die Art und Weise, wie er das formuliert hat, war sicherlich unangemessen, aber inhaltlich sehe ich durchaus Punkte, über die man diskutieren kann. Ich sage nicht, dass es in der AfD keinen Antisemitismus gibt, aber ich setze andere Prioritäten. Die größte Bedrohung sehe ich in dem Antisemitismus, der durch die islamistische Zuwanderung nach Deutschland kommt.

Katz: Beeinflusst Ihr Engagement in der AfD Ihre sozialen Beziehungen?

Abramovych: Absolut. Viele meiner deutschen Schulfreunde haben sich distanziert, vor allem seit ich 2018 „Juden in der AfD“ mitgegründet habe. Auch einige jüdische Freunde haben den Kontakt abgebrochen, vor allem diejenigen, die politisch liberal oder links eingestellt sind.

Katz: In vielen europäischen Ländern gewinnen rechte Parteien an Einfluss. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung, insbesondere mit Blick auf Frankreich und den Rassemblement National?

Abramovych: Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die politische Landschaft in Europa verändert. Der Rassemblement National, der früher Front National hieß, hat heute rund 40 Prozent Zustimmung. Im Vergleich dazu liegt die AfD in Deutschland immer noch bei unter 20 Prozent. Das zeigt, dass rechte Parteien in anderen europäischen Ländern längst fester Bestandteil des politischen Spektrums sind und mehr Akzeptanz genießen. Insofern ist Frankreich uns in Deutschland nur um wenige Jahre voraus.

Katz: Der Zentralrat der Juden hat sich stets gegen die AfD ausgesprochen. Wie ist das Verhältnis von „Juden in der AfD“ zum Zentralrat und was erwarten Sie von ihm?

Abramovych: Das Verhältnis ist schwierig. Der Zentralrat der Juden und andere jüdische Institutionen in Deutschland lehnen uns nach wie vor klar ab und verweigern den Dialog. Dabei wird der Zentralrat stark vom Staat finanziert, und seine Positionen spiegeln oft wider, was die politische Mehrheit von ihm erwartet. Ich glaube, dass diese Haltung nicht unbedingt aus Überzeugung kommt, sondern von solchen Abhängigkeiten geprägt ist. Sollte die AfD wie in Frankreich tatsächlich eine ernsthafte Rolle in der Regierung spielen, bin ich sicher, dass der Zentralrat seine Position anpassen wird. Letztlich geht es auch um Macht- und Ressourcenerhalt - und der Zentralrat wird sich dann entsprechend der neuen politischen Realität verhalten.

Katz: Wie sehen Sie die Rolle der „Juden in der AfD“ innerhalb der Partei und was sind Ihre langfristigen Ziele?

Abramovych: Die „Juden in der AfD“ haben zwei wesentliche Rollen: Zum einen sind wir Ansprechpartner für jüdische Themen innerhalb der Partei. Zum anderen versuchen wir, das Image der AfD in der jüdischen Gemeinschaft zu verbessern und Vorurteile abzubauen. Dazu organisieren wir Veranstaltungen und führen Diskussionen, um ein realistisches Bild unserer Arbeit zu vermitteln.

Katz: Sie haben die Rolle des Holocaust-Mahnmals und den Unterschied in der Erinnerungskultur erwähnt. Könnten Sie das näher erläutern?

Abramovych: Ich halte das Holocaust-Mahnmal in Berlin für problematisch. Es ist ein Denkmal, das vor allem den Deutschen ein gutes Gefühl geben soll, sich als historisch geläutert zu betrachten. Dieser „Sündenstolz“, wie ihn Martin Walser genannt hat, ist eine Form des negativen Patriotismus. Die Deutschen haben sich ein Mahnmal gebaut, das in der jüdischen Gemeinschaft gemischte Reaktionen hervorruft. Oft geht es mehr um die toten Juden, während das Leben und die Interessen der lebenden Juden in Deutschland vernachlässigt werden.

Katz: Wie sehen Sie angesichts der zunehmenden Rassismusvorwürfe gegen die AfD die Rolle von „Juden in der AfD“ im Kampf gegen Extremismus?

Abramovych: Wir sehen unsere Rolle darin, Falschinformationen über die AfD zu korrigieren und uns gegen pauschale Verurteilungen zu wehren. Rassismus ist ein ernstes Problem, aber vieles, was als „Rassismus“ bezeichnet wird, ist für mich gesunder Menschenverstand und Vorsicht gegenüber dem Fremden. Es gibt auch eine Form von Antirassismus, der oft intolerant ist und sich gegen jüdische Interessen richtet. Echten Rassismus halte ich für problematisch, aber der pauschale Vorwurf des Rassismus wird in Deutschland oft missbraucht, um berechtigte Sicherheitsbedenken zu diskreditieren.

Katz: Sie haben das Buch von Iddo Netanyahu, dem Bruder des israelischen Ministerpräsidenten, ins Deutsche übersetzt. Was war Ihre Motivation und wie verlief der Prozess?

Abramovych: Das Buch hat mich begeistert, weil es die gesellschaftlichen Spannungen im Israel der 90er-Jahre aufzeigt - etwas, das gerade heute in Deutschland relevant ist. Da es kaum Übersetzer für Hebräisch gibt, habe ich es selbst aus dem Russischen übersetzt. Der Roman "Itamar. K.“ handelt von einem jungen Israeli, der nach seiner Rückkehr aus New York feststellen muss, dass sein Filmprojekt über einen konservativen Mentor politisch unmöglich ist. Der Film reflektiert kulturelle Vorurteile, die es auch hierzulande gibt.

Katz: Was ist Ihre persönliche Motivation für dieses Engagement und wie sehen Sie die Zukunft der AfD und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland?

Abramovych: Meine Motivation ist es, die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu vertreten, auch wenn das nicht immer populär ist. Ich glaube, dass die AfD ein Potenzial hat, vor allem unter jüdischen Migranten, die sich von der linken Ideologie entfremdet fühlen. Unser langfristiges Ziel ist es, innerhalb der Partei eine Stimme für jüdische Anliegen zu sein und eine Brücke zur jüdischen Gemeinschaft zu schlagen, um den Dialog zu fördern und Missverständnisse abzubauen.

So kam es zu dem ungewöhnlichen Interview

Vor einem Jahr hörte ich zum ersten Mal von der Gruppe „Juden in der AfD“. In einer Zeit, in der die meisten demokratischen Parteien einen Dialog mit der AfD strikt ablehnen und auch jüdische Institutionen jegliche Zusammenarbeit mit der Partei verweigern, habe auch ich lange gezögert, das Interview zu führen. Doch angesichts der jüngsten Entwicklungen in den USA, des Erstarkens rechter Strömungen in Europa und des wachsenden Unmuts auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland habe ich meine Entscheidung noch einmal überdacht.

Auch einige jüdische Bekannte haben sich in letzter Zeit offen von den etablierten Parteien abgewandt. Denn wie viele andere empfinden sie die Bundesregierung als zu passiv gegenüber dem deutlich angestiegenen Antisemitismus. Diese zunehmende Verunsicherung und Enttäuschung über die „klassischen Parteien“ CDU, Grüne und SPD führt dazu, dass einige Juden in Deutschland bereit sind, Alternativen in Betracht zu ziehen - sogar die AfD.

Ich persönlich bleibe kritisch. Für mich und die Mehrheit der Jüdinnen und Juden erinnert die Vorstellung von „Juden für die AfD“ an den „Verband nationaldeutscher Juden“ in den 1920er- und 1930er-Jahren - ein Gedanke, der schwer zu ertragen ist.