Interview mit Wolfgang Schroeder - Über 40 Prozent sehen AfD-Regierung im Osten positiv - Experte erklärt, warum
Fast jeder Zweite bewertet eine Regierungsbeteiligung der AfD im Osten nicht als negativ. Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sieht den Grund auch in der Schwäche etablierter Parteien. Er glaubt trotzdem, dass die AfD schlechter abschneiden könnte als gedacht.
Eine repräsentative Umfrage von FOCUS online hat ergeben, dass in Sachsen , Thüringen und Brandenburg jeweils 40 oder mehr Prozent der Befragten eine Regierungsbeteiligung in den Ländern positiv bewerten würden. Hinzu kommen jeweils zehn oder mehr Prozent der Befragten, die unentschieden sind, ob eine AfD-Regierung positiv oder negativ zu bewerten wäre.
Eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen in Sachsen und Thüringen misst zwar etwas niedrigere, aber ebenfalls alarmierende Werte. Wolfgang Schroder, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kassel, ordnet die Ergebnisse im Interview ein.
FOCUS online: Herr Schroeder, sehen wir hier eine neue Qualität in der Zustimmung für Rechtspopulisten?
Wolfgang Schroeder: Wir erleben schon länger einen Normalisierungsprozess der AfD, sie wird immer mehr als normale Partei akzeptiert. In Ostdeutschland fällt das noch einmal stärker aus, weil die Partei dort stärker verwurzelt ist. Sie ist in den sogenannten Vorfeldorganisationen aktiv, also zum Beispiel im Fußballverein, im Schützenverein oder bei der Feuerwehr. Im Westen gelingt ihr das weniger.
„Abgrundlose Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit etablierter Parteien“
Woher kommen diese Umfrageergebnisse?
Schroder: Es gibt eine abgrundlose Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit der etablierten Parteien. Die Menschen trauen ihnen immer weniger zu, sie genießen immer weniger Vertrauen. Die Gründe dafür sind vielfältig, zum Beispiel Überforderung oder Erschöpfung.
Vor allem fühlen sich die Wählerinnen und Wähler immer weniger repräsentiert. Sie fühlen sich in der Kommunikation der etablierten Parteien nicht abgeholt und es gibt wenig Anknüpfungspunkte zu den Politikerinnen und Politikern, die kommunizieren. Das schafft einen Resonanzboden für die Abgrenzung und Kritik an diesen Parteien – was die AfD dann aufgreift.
Bei der Frage nach der Wahlabsicht sind die Zustimmungswerte für die AfD zwar hoch, aber nicht ganz so hoch wie bei der Frage nach einer Regierungsbeteiligung der AfD. Warum ist das so?
Schroeder: Es gibt ein Potenzial von Unentschlossenen, die mit dem aktuellen politischen System und dem Parteiangebot ihre Schwierigkeiten haben. Diejenigen, die sich nicht klar zu einer Partei zuordnen können, sind auch der AfD gegenüber skeptisch.
Aber im Zeitverlauf kann durchaus ein Normalisierungsprozess eintreten. Dann erscheint eine AfD-Regierung nicht mehr als weltfremd, sondern als pragmatische Perspektive, wenn sie eben so stark sind, wie sie sind. Das kann dann zu einem Anerkennungsprozess führen, der sich aus der normativen Kraft des Faktischen speist.
Ministerpräsidenteneffekt könnte AfD schwächen
Weisen diese Zahlen also darauf hin, dass die AfD ein noch viel größeres Potenzial hat bei den Landtagswahlen?
Schroder: Ich glaube eher, dass die AfD-Ergebnisse schwächer ausfallen werden, als es die Umfragen nahelegen. Das hat zwei Gründe: Zum einen kann das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Menschen von der AfD wegziehen. Und zum anderen könnte es am Ende einen Ministerpräsidenteneffekt geben.
Wie könnte der aussehen?
Schroeder: Viele Menschen werden für die Partei des jeweiligen Ministerpräsidenten stimmen, um eine AfD-Regierung zu verhindern. Davon wird vor allem in Sachsen die CDU von Michael Kretschmer profitieren, in Brandenburg die SPD von Dietmar Woidke.
Dieses gut gemeinte Wahlverhalten könnte aber dramatische Konsequenzen haben: Vor allem in Sachsen kratzen die FDP, die Grünen, die SPD und die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde. Fehlen ihnen Stimmen, weil die Menschen eher für die Partei des Ministerpräsidenten stimmen, könnten sie alle aus dem Landtag fallen. Das würde die Koalitionsprobleme drastisch verschärfen – denn dann wären nur noch AfD, CDU und BSW im Landtag.
Größte Gefahr nach Ost-Wahlen: Einbindung der AfD durch die CDU
Wie dramatisch ist es für eine Demokratie, wenn die Hälfte der Menschen kein Problem mit einer rechtsextremen Regierung hat?
Schroder: Zunächst muss man festhalten, dass die AfD in Teilen rechtsextrem ist, aber womöglich nicht als gesamte Partei – dabei ist nicht nur die Einstufung des Verfassungsschutzes entscheidend.
Es gibt abgesehen davon zwei Sichtweisen auf die AfD: Die einen wollen die Partei einbinden, weil man sie dann kontrollieren und entzaubern kann. Die anderen sehen in einer weiteren Normalisierung eine wachsende Gefahr für die Stabilität der Demokratie und deren praktischer Leistungsfähigkeit.
Die AfD und wie sie unsere Demokratie versteht, ist vor allem aus zwei Gründen eine Gefahr: Erstens, weil sie das Inklusions- und Kompromissverständnis der bundesdeutschen Demokratie ablehnt. Die bundesdeutsche Demokratie ist eine Verhandlungsdemokratie. Die AfD setzt aber auf eine reine Mehrheitsdemokratie, auf das „Alles oder Nichts-Prinzip“.
Das schränkt unter anderem auch das demokratische Meinungsspektrum die Meinungsvielfalt enorm ein. Zweitens fördert die AfD die Polarisierung des Parteiensystems mit der Tendenz zu immer schwierigeren Koalitionsbildungen. Wie wir an der Ampel sehen können, führen solche Koalitionen zu einer geringeren Leistungsfähigkeit.
Was folgt daraus für die Landtagswahlen?
Schroeder: Die größte Gefahr geht davon aus, dass die CDU sich auf eine Einbindung der AfD einlässt. Scheinbar ist die Partei geneigt, das zu umgehen, in dem sie versucht das BSW als Koalitionspartner zu gewinnen.
Das BSW ist eine merkwürdige Partei, die hierarchich organisiert ist wie ein Unternehmen und dem eigensinnigen Handeln einer politischen Unternehmerin folgt.
In diesem Sinne wird die AfD zum Steigbügelhalter für eine andere populistische und wenig kalkulierbare Politikkonstellation, die ebenfalls zu einer weiteren Destabilsierung der klassischen Mitte beitragen kann.