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Die irre Geschichte von Hollywoods bekanntestem Zuhälter

Scotty Bowers verhalf einst Hollywood-Stars wie Cary Grant und Katharine Hepburn zu schnellem Sex. Jetzt ist er Figur in einer neuen Netflix-Serie.

Wer bei Tankstellenbesitzer Ernie vorfährt, muss nur vier Worte sagen, um mehr zu bekommen als ein paar Gallonen Benzin: "Take me to Dreamland" - dieser Satz reicht, und schon nimmt einer von Ernies jungen und sehr gutaussehenden Mitarbeitern auf dem Beifahrersitz Platz. Frauen, die das schnelle Abenteuer suchen, vor allem aber schwule Männer, die ihre Sexualität im Amerika der Nachkriegszeit nicht ausleben können, fahren mit ihren chromverzierten Straßenkreuzern bei Ernie vor, um einen seiner Jungs mit aufs Hotelzimmer zu nehmen oder in ihre Villa, in Beverly Hills und am Mullholland Drive. Die jungen Männer, die ihre Körper gegen Dollars tauschen, träumen freilich von mehr als von einem Leben als Stricher an Ernies Tankstelle in Hollywood - Filmstars wollen sie werden, Drehbuchautoren, Regisseure.

All das erzählt derzeit die Netflix-Serie "Hollywood", die von einer Gruppe junger Männer handelt, die im Los Angeles der späten 40er-Jahre nach dem großen Glück sucht. Es ist das goldene Zeitalter Hollywoods, das die Macher Ryan Murphy ("American Horror Story") und Ian Brennan ("Glee") hier heraufbeschwören, eine Zeit freilich, in der Freiheit und Sexualität zwei Worte waren, die selten gemeinsam in den Mund genommen wurden. "Hollywood" ist kunterbunte Fiktion - in der aber immer wieder auch reale Figuren auftauchen. Rock Hudson etwa, der zeitlebens versuchte, seine Homosexualität zu verstecken.

Halb Hollywood im Bett

Auch Tankstellenbesitzer und Zuhälter Ernie, in der Serie gespielt von Dylan McDermott, basiert auf einem realen Vorbild: Scotty Bowers, ein Ex-Marine, der wenige Jahre vor seinem Tod im Oktober 2019 erstmals öffentlich darüber sprach, wie er schwulen und lesbischen Hollywood-Stars zu sexueller Erfüllung verhalf. "Ich habe all die Jahre geschwiegen, weil ich keinen dieser Menschen verletzen wollte", sagte Bowers vor einigen Jahren der "New York Times". Da hatte er gerade seine Autobiografie "Full Service: My Adventures in Hollywood and the Secret Sex Lives of the Stars" veröffentlicht. Die meisten Männer (und auch Frauen), die seine Dienste in Anspruch genommen hätten, seinen längst tot, so Bowers, deswegen könne er nun offen sprechen.

Scotty Bowers kam 1923 in Illinois zur Welt. Während des Zweiten Weltkriegs kämpfte er als Marine im Pazifikkrieg, bevor er schließlich 1943 nach Hollywood kam. Er habe einen Job an einer Tankstelle am Hollywood Boulevard angenommen, schreibt Bowers in seinem Buch. Eines Tages sei der kanadische Schauspieler Walter Pidgeon in einem zweitürigen Lincoln vorgefahren gekommen, habe ihn angelächelt - und sich gegen ein Trinkgeld von 20 Dollar mit ihm vergnügt. Später habe Pidgeon seinen Freunden von der Tankstelle mit dem Zusatzservice erzählt - der Beginn von Bowers' Karriere als Stricher und Zuhälter. Wobei Bowers im Interview mit der "Times" den Begriff des "Zuhälters" zurückweist - Geld habe er immer nur dann genommen, wenn er selbst seine Liebesdienste anbot. Wenn er andere junge Männer vermittelt habe, dann stets ohne Provision.

Viele seiner Kunden, die er mit anderen Strichern zusammengebracht habe, seien nicht berühmt gewesen, sondern einfaches Hollywood-Personal: Stylisten, Setdesigner, Autoren. Aber eben auch viel Prominenz habe seine Dienste in Anspruch genommen: Cary Grant (mit dem er einen Dreier gehabt haben will), George Cukor, Spencer Tracy, Cole Porter (der einmal 15 Männer auf einmal bestellt habe) und Rock Hudson; Katharine Hepburn habe er 150 Frauen vermittelt, behauptete Bowers, und auch Vivien Leigh habe zu seinen Kundinnen gezählt.

"Scotty wollte die Menschen einfach nur glücklich machen!"

Wer in den Schwulenbars von Los Angeles verkehrte, habe immer damit rechnen müssen, von einer Polizeikontrolle erwischt zu werden, so Bowers. Seine Tankstelle hingegen sei ein "sichererer Treffpunkt" gewesen. "Natürlich kam manchmal die Polizei vorbei. Aber ich glaube, dass ich auch deshalb nie erwischt wurde, weil ich alles in meinem Kopf behielt", sagte er der "New York Times". Ein Büchlein mit den Namen seiner Kunden habe er nie geführt. 1950, schreibt Bowers, habe er die Tankstelle aufgegeben und fortan als Barkeeper, Handlanger und auch weiterhin als Stricher und Vermittler von sexuellen Dienstleistungen gelebt. Bis zum Beginn der AIDS-Krise Mitte der 80-er sei das so gegangen. AIDS aber habe "die sexuelle Freizügigkeit", die schon immer ein Teil von Hollywood gewesen sei, beendet. "Es war zu unsicher, dieses Spiel weiterzuführen", schreibt er in seinem Buch. 1984 heiratete Bowers dann sogar - übrigens eine Frau.

Nicht nur die Netflix-Serie "Hollywood" hat Bowers irre Lebensgeschichte für sich entdeckt; auch im Dokumentarfilm "Scotty and the Secret History of Hollywood" erzählte der nach eigenem Bekunden gut bestückte Ex-Tankwart seine schmutzigen Anekdoten. Dass das, was Bowers in seinem Buch behauptet, stimmt, haben nach Erscheinen seiner Autobiografie viele bestätigt. Gore Vidal etwa oder Robert Benevides, Lebensgefährte des Schauspielers Raymond Burr. In einem Interview mit "L.A. Weekly" sagte Benevides vor ein paar Jahren: "Scotty wollte die Menschen einfach nur glücklich machen!"