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Israel: Gantz und Netanjahu einigen sich auf Regierung und Rotation

Gantz hatte ein Bündnis mit Netanjahus Likud wegen der Korruptionsklage gegen den Regierungschef lange abgelehnt. Unter dem Eindruck der Corona-Krise kamen die Politiker nun doch zusammen. Gantz hat für den Schritt aber bittere Kritik geerntet.

Wahlkampfplakate, die den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (rechts) und Benny Gantz, Vorsitzender des oppositionellen Mitte-Bündnisses Blau-Weiß, zeigen. Foto: Oded Balilty / AP / dpa
Wahlkampfplakate, die den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (rechts) und Benny Gantz, Vorsitzender des oppositionellen Mitte-Bündnisses Blau-Weiß, zeigen. Foto: Oded Balilty / AP / dpa

Israels rechtskonservativer Regierungschef Benjamin Netanjahu und sein oppositioneller Rivale Benny Gantz haben sich grundsätzlich auf die Bildung einer Regierung geeinigt und wollen diese im Wechsel anführen. Eine Vereinbarung mit dem Ziel einer «nationalen Notstandsregierung» sei unterzeichnet worden, teilten Netanjahus Likud-Partei und Gantz' Mitte-Bündnis Blau-Weiß am Montag gemeinsam mit. Die linksliberale oppositionelle Merez-Partei kritisierte die Einigung scharf.

Nach Angaben beider Seiten ist in der Koalition eine Rotation im Amt des Ministerpräsidenten vorgesehen. Netanjahu solle als Erster eineinhalb Jahre lang das Amt bekleiden und dann im Oktober 2021 von Gantz abgelöst werden. Dieser soll demnach zunächst Verteidigungsminister und Vize-Regierungschef werden. Im Herbst kommenden Jahres solle dann Netanjahu Vize-Regierungschef werden. Die umstrittene Einigung soll eine seit mehr als einem Jahr andauernde Pattsituation zwischen Netanjahus rechts-religiösem Block und dem Mitte-Links-Lager um Gantz beenden.

Gegen das Coronavirus und für die Bürger

Nach der Einigung warb Gantz auf Twitter für die neue Regierung. «Wir haben eine vierte Wahl verhindert. Wir werden die Demokratie schützen», schrieb der 60-Jährige. «Wir werden gegen das Coronavirus kämpfen und uns um jeden israelischen Bürger kümmern.» Auch Netanjahu teilte mit, die Notstandsregierung werde sich «für die Rettung der Leben und des Einkommens der israelischen Bürger einsetzen».

Likud und Blau-Weiß wollen nun ein «Corona-Kabinett» bilden, das die Krise gemeinsam verwaltet. Die Ministerämter sollen dabei paritätisch verteilt werden. Es wird damit gerechnet, dass die strengreligiösen Parteien sowie die Arbeitspartei sich ebenfalls der Koalition anschließen. Aus der ultrarechten Jamina verlautete dagegen am Montagabend nach Medienberichten, Netanjahu wolle sie offenbar nicht mit einbeziehen.

Zunächst sechs Monate lang soll die Koalition den Angaben zufolge als «Notstandsregierung» arbeiten. In der Zeit sollen keine Gesetze eingebracht werden, die nichts mit der Corona-Krise zu tun haben. Eine Ausnahme sind laut der Vereinbarung die Absichten Israels, im Übereinstimmung mit dem Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump die Siedlungen und das Jordantal im Westjordanland zu annektieren. Netanjahu könne diese Pläne von Juli an Regierung und Parlament zur Billigung vorliegen, hieß es in der Vereinbarung. Diese Pläne sind international höchst umstritten. Die Palästinenser wollen in dem 1967 von Israel eroberten Westjordanland sowie im Gazastreifen einen unabhängigen Staat gründen, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.

Neuwahlen, wenn Netanjahu gerichtlich nicht amtieren darf

Die Koalitionsverhandlungen waren immer wieder ins Stocken geraten. Blau-Weiß hatte zuletzt gedroht, ohne eine Einigung werde man am Montag im Parlament ein Gesetz einbringen, das eine künftige Beauftragung Netanjahus mit der Regierungsbildung wegen einer Korruptionsanklage gegen ihn verhindern solle. Am Sonntagabend hatten in Tel Aviv Tausende Israelis gegen Netanjahu und aus ihrer Sicht anti-demokratische Maßnahmen unter anderem im Kampf gegen das Coronavirus demonstriert.

Ein zentraler Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen war laut Medienberichten die Forderung von Netanjahus Likud-Partei nach einem Vetorecht bei der Besetzung von Richtern. Nach Medienberichten wird in einem zuständigen Ausschuss laut der Vereinbarung eine Mehrheit rechtsorientierter Abgeordneter herrschen.

Netanjahu wollte sich Medienberichten zufolge außerdem absichern für den Fall einer Entscheidung des Höchsten Gerichts, dass er wegen einer Korruptionsanklage nicht als Ministerpräsident oder Vize-Ministerpräsident amtieren kann. In dem Fall würde Gantz ihn nicht ablösen, sondern es käme automatisch zu einer Neuwahl, wie eine Sprecherin von Blau-Weiß bestätigte.

Gantz' Mandat zur Regierungsbildung war nach einer Verlängerung am Mittwochabend ausgelaufen. Präsident Reuven Rivlin gab das Mandat daraufhin dem Parlament. Binnen drei Wochen konnte jeder Abgeordnete - auch Gantz und Netanjahu - versuchen, sich die Unterstützung von 61 der insgesamt 120 Parlamentarier zu sichern. Ohne Einigung hätte Israel zum vierten Mal seit April 2019 ein neues Parlament wählen müssen.

Anklage wegen Korruption in drei Fällen

Im Streit über den Schritt von Gantz war sein Mitte-Bündnis Blau-Weiß zerbrochen. Er tritt daher nur mit dem verbleibenden Teil von Blau-Weiß in die Koalition ein. Das Restbündnis verfügt über 17 von 120 Mandaten im Parlament, während Netanjahus Likud mit 36 Sitzen stärkste Fraktion wurde.

Israel wird seit Ende 2018 von einer Übergangsregierung unter Netanjahu verwaltet. Am 2. März hatten die Bürger zum dritten Mal innerhalb eines Jahres ein neues Parlament gewählt. Dabei gab es erneut keinen klaren Sieger, Gantz erhielt aber den Auftrag zur Regierungsbildung.

Gantz hatte bislang eine große Koalition mit der Likud-Partei mit Netanjahu an der Spitze abgelehnt, weil dieser wegen Korruption in drei Fällen angeklagt ist. Mitte März sagte Gantz jedoch im Parlament mit Verweis auf die Corona-Krise, er werde sich mit aller Macht für die Bildung einer großen Koalition einsetzen. Kritiker werfen ihm seither vor, er habe sein zentrales Wahlkampfversprechen gebrochen.

Keine Notstandsregierung, eine Korruptionsregierung

Aus dem Mitte-Links-Lager hatte es scharfe Kritik an Gantz' Schritt gegeben. Jair Lapid gehört zu dem Teil von Blau-Weiß, der Gantz' Schritt vehement ablehnt. Er warf Gantz am Montagabend vor, er habe es Netanjahu ermöglicht, «die Richter zu ernennen, die in seinem Fall entscheiden». Dies sei eine «grenzenlose Schande». Die Merez-Partei schrieb am Montag bei Twitter: «Das ist keine Einheitsregierung. Das ist keine Notstandsregierung. Das ist eine Korruptionsregierung.»

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist das Virus Sars-CoV-2 mittlerweile bei mehr als 13.713 Personen in Israel nachgewiesen worden. 177 Menschen sind den Angaben zufolge nach einer Coronavirus-Infektion gestorben.

Unter dem Eindruck der Corona-Krise war der Beginn des Korruptionsprozesses gegen Netanjahu Mitte März verschoben worden. Er soll nun erst am 24. Mai beginnen. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Der Regierungschef hat alle Vorwürfe zurückgewiesen. (dpa)