Israelische Armee verstärkt Angriffe auf Gazastreifen trotz Aufrufs zu Waffenruhe
Ungeachtet eines Aufrufs der Leiter aller großen UN-Organisationen zu einer sofortige Waffenruhe hat die israelische Armee ihre Angriffe auf den Gazastreifen verstärkt. Durch heftigen israelischen Beschuss in der Nacht zum Montag wurden nach Angaben des von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 200 Menschen getötet; die Gesamtzahl der Todesopfer im Gazastreifen seit Kriegsbeginn vor einem Monat stieg damit demnach auf fast 10.000.
Die israelische Armee sprach am Montag von neuen "bedeutenden" Angriffen im Gazastreifen. "Wir werden den Kampf gegen die Hamas dorthin tragen, wo sie sich befinden - unter der Erde oder an der Oberfläche", sagte Israels Armeesprecher Jonathan Conricus. Israel werde die Hamas zerschlagen.
In einer außergewöhnlichen gemeinsamen Erklärung forderten dagegen die Leiter aller großen UN-Organisationen eine "sofortige humanitäre Waffenruhe" im Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas. "Seit fast einem Monat beobachtet die Welt die Entwicklung der Situation in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten mit Schock und Entsetzen über die steigende Zahl verlorener und zerstörter Menschenleben", hieß es in der von den Leitern von 18 UN-Organisationen unterzeichneten Erklärung: "Das muss jetzt aufhören."
Die Leiter der UN-Organisationen forderten, mehr Lieferungen von Lebensmitteln, Wasser, Medizin und Treibstoff in den Gazastreifen zuzulassen, um der Bevölkerung dort zu helfen. Die Hamas wird in der Erklärung aufgefordert, die mehr als 240 von ihr bei ihrem Großangriff auf Israel am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppten Geiseln freizulassen. Beide Seiten werden zudem aufgerufen, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlug vor, Israel könne seine Angriffe vorübergehend aussetzen, wenn die Hamas im Gegenzug Vertretern des Roten Kreuzes Zugang zu den seit einem Monat im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gewähre. Borrell warnte, eine "Überreaktion" Israels könne letztlich dazu führen, dass das Land "die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft verliert". Die Europäische Union stockt derweil ihre humanitäre Hilfe für den Gazastreifen um 25 Millionen Euro auf, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte.
Jordanien warf nach eigenen Angaben unterdessen medizinische Hilfsgüter für ein jordanisches Feldkrankenhaus im Gazastreifen ab. Nach israelischen Angaben war die Aktion in der Nacht zum Montag mit der israelischen Armee abgestimmt.
Im Zuge seiner Vermittlungsbemühungen traf US-Außenminister Antony Blinken in Ankara mit seinem türkischen Kollegen Hakan Fidan zusammen. Präsident Recep Tayyip Erdogans setzte trotz Blinkens Besuch eine Reise durch den Nordosten der Türkei fort. Am Wochenende war Erdogan von türkischen Medien mit der Ankündigung zitiert worden, er werde wegen des israelischen Vorgehens im Gazastreifen alle Kontakte zu Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu abbrechen.
Im Westjordanland wurde derweil die zur palästinensischen Widerstandsikone gewordene Palästinenserin Ahed Tamimi wegen des Vorwurfs der "Anstiftung zur Gewalt und terroristischen Aktivitäten" festgenommen. Die 22-Jährige sei zur "weiteren Befragung" an die israelischen Sicherheitskräfte übergeben worden, erklärte die Armee.
Tamimi wurde im Alter von 14 Jahren bekannt, als sie dabei gefilmt wurde, wie sie einen israelischen Soldaten biss, um ihn daran zu hindern, ihren kleinen Bruder zu verhaften. Zur internationalen Medienikone wurde sie nach ihrer Festnahme im Alter von 16 Jahren im Dezember 2017, nachdem sie einem israelischen Soldaten vor laufender Kamera eine Ohrfeige verpasst hatte.
Bei einem Messerangriff in Ost-Jerusalem wurde am Montag eine israelische Soldatin schwer verletzt. Der Angreifer sei durch Schüsse "außer Gefecht gesetzt" worden.
Hunderte Kämpfer der radikalislamischen Organisation hatten am 7. Oktober Israel überfallen und in einer Reihe von Ortschaften und bei einem Musikfestival Gräueltaten vor allem an Zivilisten verübt, darunter viele Frauen und Kinder. Nach israelischen Angaben wurden etwa 1400 Menschen getötet, mehr als 240 weitere wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel erklärte der auch von den USA und der EU als Terrororganisationen eingestuften Hamas daraufhin den Krieg und nahm den Gazastreifen unter Dauerbeschuss. Dabei wurden nach nicht unabhängig überprüfbaren Angaben der Hamas bislang fast 10.000 Menschen getötet.
gt/ck