Werbung

Kritik an ARD-Moderatorin: Ist die AfD "bürgerlich"?

Wiebke Binder im Gespräch mit Jörg Urban. Er will wissen, ob die ARD auch positiv über die AfD berichtet hätte. Sie sagt: "Auf jeden Fall." Foto: Screenshot / ARD
Wiebke Binder im Gespräch mit Jörg Urban. Er will wissen, ob die ARD auch positiv über die AfD berichtet hätte. Sie sagt: "Auf jeden Fall." Foto: Screenshot / ARD

Die AfD ist bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen je zweitstärkste Kraft. Doch das Wahlergebnis trat während der Live-Sendung für kurze Zeit in den Hintergrund, als die Moderatorin eine mögliche Koalition aus AfD und CDU als „bürgerlich“ bezeichnete.

Es waren zwei kurze Aussagen der „MDR“-Moderatorin Wiebke Binder in der Live-Schaltung der ARD, kurz nach den ersten Hochrechnungen zu den Ergebnissen der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, die für große Irritationen auf Twitter sorgten.

In der ersten Szene spricht die Journalistin über mögliche Regierungs-Koalitionen in Sachsen, denn die Ergebnisse machen das bisherige Bündnis aus SPD und CDU in Zukunft unmöglich. Denkbar wäre aber, so Binder im Gespräch mit dem CDU-Politiker Marco Wanderwitz: „Eine stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche, wäre ja theoretisch mit der AfD möglich.“ Wanderwitz reagiert darauf knapp und eindeutig: „Die AfD ist keine bürgerliche Partei.“

Die zweite Szene, Binder dieses Mal im Gespräch mit dem sächsischen AfD-Kandidaten Jörg Urban, der (wieder einmal) den Opfer-Mythos der AfD bemüht und sich über eine „mediale Kampagne“ gegen seine Partei beklagt. Binder darauf: „Ich denke, wir haben sehr viel über die AfD berichtet, da war schon viel zu erzählen, und auch viel Unterschiedliches.“

Urban: „Positives.“

Binder: „Positives. Auf jeden Fall.“

Hilflosigkeit oder Unsicherheit?

Die beiden Aussagen zitierte der Medienkritiker und „Übermedien“-Gründer Stefan Niggemeier kurze Zeit später auf Twitter. Darunter entbrannte eine ausufernde Debatte um den – wiederholt fragwürdigen – Umgang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der AfD. Einige Nutzer nannten die Aussagen Binders „peinlich“, andere wollten darin „Ironie“ erkannt haben. Doch ob Ironie an dieser Stelle die richtige Herangehensweise ist, anstatt eine klare Einordnung der AfD vorzunehmen? Zumindest fraglich.

Die beiden Aussagen Binders stehen deshalb sinnbildlich für die Unsicherheit, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder im Umgang mit der AfD an den Tag legt. Mit einer Partei, die wiederholt und mittlerweile auch öffentlich den Schulterschluss mit rechten und neurechten Organisationen sucht, was in Chemnitz gut zu beobachten war. Damals zeigte eine Recherche des „WDR“, dass hochrangige Kader aus mittlerweile verbotenen rechtsextremen Organisationen Teil des AfD-initiierten „Trauermarsches“ waren. Die AfD ist auch eine Partei, die „Rechtsextreme und Verfassungsfeinde“ beschäftigt und bezahlt, wie die „Zeit“ letztes Jahr in einer umfassenden Recherche veröffentlichte. Die AfD ist auch eine Partei, die enge Verbindungen zu zahlreichen neurechten Organisationen, wie dem Verein „Ein Prozent“, pflegt. Diesem dankte der brandenburgische AfD-Chef Andreas Kalbitz, der erst kürzlich zugab, im Jahr 2007 mit NPD-Funktionären an einem rassistischen Aufmarsch in Athen teilgenommen zu haben, direkt nach der Landtagswahl am Sonntagabend in einer Videobotschaft.

Bürgerlich und Verdachtsfall?

Die AfD ist auch eine Partei, die vom Verfassungsschutz zum „Prüffall“, deren Teilorganisation „Der Flügel“ und ihre Nachwuchsorganisation, die „Junge Alternative“ (JA), zum „Verdachtsfall“ erhoben wurden. Das bedeutet, dass dem Verfassungsschutz „stark verdichtete Anhaltspunkte“ vorliegen, dass es sich beim Flügel und der JA um extremistische Bestrebungen handelt.

Zeitgleich bemühen sich gemäßigtere Teile der AfD immer wieder darum, die Partei nach außen hin als „bürgerlich“ zu etikettieren, um Wähler aus der Mitte der Gesellschaft zu gewinnen. Alexander Gauland etwa sagte im ARD-Morgenmagazin am Montagmorgen, dass die AfD für eine „bürgerliche Mehrheit“ in Sachsen natürlich zur Verfügung stehe.

Sich auf die gleiche rechtsstaatliche Stufe stellen

Bei dem Vorhaben der AfD, sich auf die gleiche rechtsstaatliche Stufe zu heben wie die etablierten (von der AfD mit dem leider mittlerweile normalisierten NSDAP-Begriff „Altparteien“ bezeichneten) Parteien, agieren so achtlos dahergesagte Äußerungen, wie die Binders, als starkes Signal der Legitimierung in der Öffentlichkeit.

Denn obwohl die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zumeist als gelenkte „Staatspresse“ oder „Systempresse“ verunglimpft und alles verzerrt, was dort über die AfD berichtet wird, nimmt sie doch dankbar Hilfe von dort an, wenn sie der AfD dienlich sein kann. So wird Binder in sozialen Medien unter mutmaßlichen AfD-Sympathisanten mittlerweile als „hervorragende Moderatorin“ bezeichnet.

Auch der MDR meldet sich

Weil die Aufregung um die beiden Aussagen schnell hohe Wellen schlug, sah sich auch der MDR zu einer Reaktion gezwungen und twitterte noch am Abend nach der Übertragung: „Unter dem enormen Stress einer Live-Sendung bei einer solchen Doppelwahl mit ständig neuen Ergebnissen und wechselnden Konstellationen kann es zu Missverständnissen kommen und können Unschärfen im Gespräch passieren.“

Ein Kollege Binders, Arnd Henze, wollte von Unschärfen hingegen nichts wissen. Er antwortete unter den Beiträgen von Stefan Niggemeier: „Viele Mitarbeitende werden über diese Aussage der #MDR-Moderatorin genauso irritiert sein wie Sie! Aber beim #MDR verwischen nicht zum ersten Mal die Grenzen nach ganz rechts!“

Keine Koalition mit der AfD

Sich selbst bürgerlich zu nennen und dadurch regierungstauglich zu werden, gleichzeitig aber alles andere als gemäßigt oder bürgerlich zu handeln, diesen Spagat könnte die AfD weiterhin schaffen. Vor allem, wenn die Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht endlich professionell und kritisch mit der Protest-Partei umzugehen lernen.

So urteilt etwa der Zeit-Kommentator Matthias Dell: „Der dezentralisierte Verbund der ARD ist einst nach der Erfahrung der NS-Diktatur von den West-Alliierten gegründet worden mit dem erklärten Ziel der ‘reeducation’, der journalistischen Mithilfe bei der Demokratisierung des nazistischen Deutschlands. Faschistische Propaganda sollte für die Zukunft verhindern werden. Ob die ARD diesen Auftrag heute noch lückenlos und kompetent erfüllt, dessen kann man sich nach einer Wahlberichterstattung wie der am Sonntag nicht mehr völlig sicher sein. Und das ist erst recht traurig.“

Immerhin, die etablierten Parteien zeigen trotz der Verlockung starker Koalitionen mit der AfD (noch) klare Kante: So schließt Sachsens alter und wohl auch neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU eine Regierungsbeteiligung mit der AfD aus. Dasselbe sagte laut „Spiegel Online“ auch SPD-Interimschefin Manuela Schwesig in der ARD: „Die SPD hat in ihrer DNA, dass sie sich immer gegen Rechtsextremismus gestellt hat.“ Denn die AfD sei – nicht in der Wählerschaft, aber bei ihren Funktionären – in Teilen rechtsextremistisch.