Jürgen Vogel: "Nur weil du 56 bist, heißt das nicht, dass du keine 100 Liegestützen mehr schaffst"
In der Politthriller-Serie "Informant - Angst über der Stadt" (ARTE, ARD) spielt Jürgen Vogel einen alternden LKA-Ermittler, der einen Terroranschlag auf die Hamburger Elbphilharmonie verhindern soll. Dabei macht sich die Angst vor dem, was passieren könnte, immer mehr selbständig.
Erst kürzlich wurde Matthias Glasners Drama "Sterben" mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet. Derselbe Matthias Glasner hat nun mit seinem "Stammschauspieler" Jürgen Vogel eine sechsteilige Politthriller-Serie gedreht, wie man sie nicht alle Tage im deutschen Fernsehen sieht. "Informant - Angst über der Stadt" (bei ARTE ab Freitag, 11. Oktober, 20.15 Uhr, oder im Ersten ab Mittwoch, 16. Oktober, 20.15 Uhr) zeigt Vogel als alternden LKA-Ermittler, der einen Terroranschlag auf die Hamburger Elbphilharmonie verhindern soll. In der Serie geht es um verdeckte Ermittler, Gesellschafts-Paranoia und den Preis, den Menschen im Spiel mit dem Terror und dessen Abwehr zahlen. Im Interview erzählt der 56-jährige Schauspieler, warum Angst ansteckend ist, weshalb wir heute mehr Angst haben als früher und was dagegen helfen kann.
teleschau: Handelt "Informant" von der Paranoia, die Terrorgefahr auslösen kann?
Jürgen Vogel: Behörden, die gegen den Terror kämpfen, haben es mit einer Bedrohung zu tun, bei der sie oft nicht wissen, woher sie kommt und wann sie zuschlägt. Terror ist die schlimmste Art der Kriegsführung, weil sie nicht in einem bestimmten Land oder einer Region stattfindet, sondern überall und zu jeder Zeit zuschlagen kann. Wer nichts über eine dennoch präsente Gefahr weiß, entwickelt oft Paranoia. Natürlich auch Behörden, hinter denen ja letztendlich auch nur Menschen stecken.
teleschau: Der Terror hat auch in Deutschland wieder eine traurige Aktualität. Es gibt Menschen, die deshalb Angst haben, öffentliche Orte mit vielen Menschen aufzusuchen. Wie geht es Ihnen?
Vogel: Ich glaube, was Ängste betrifft, sind Menschen unterschiedlich gestrickt. Man sollte Ängste ernst nehmen und vor allem aufs Bauchgefühl hören. Ich habe keine Angst vor Dingen, die ich nicht beeinflussen kann. Verletzt oder getötet werden kann ich überall. Vielleicht fällt mir beim Wandern etwas auf den Kopf oder ich werde Opfer eines Verkehrsunfalls. Vor allem aber leben wir in gefährlichen Zeiten - von den Umweltkatastrophen bis zur Kriegsgefahr. Das sind reale Gefahren. Die meisten davon haben wir Menschen uns selbst eingebrockt. Durch die Art, wie wir leben.
"Früher fühlte man sich in einer Familie aufgehoben"
teleschau: Sicherheit ist wieder ein politisch stark aufgeladenes Thema geworden, das viele Menschen umtreibt. Können Sie das nachvollziehen?
Vogel: Angst ist eine starke Emotion. Oft versuchen wir Menschen ja, rational zu wirken, aber eigentlich werden wir vor allem bei Bedrohungen oft von Angst gesteuert. In der Politik sind immer wieder Parteien an die Macht gekommen, deren größte "Stärke" das Spiel mit der Angst war. Wenn alle ganz viel Angst haben, entsteht das, was wir Massenhysterie nennen. Angst kann ansteckend sein, genauso wie der Wunsch nach einfachen Lösungen, die diese Angst beseitigen.
teleschau: Was kann man dagegen tun?
Vogel: Eine Handlungsempfehlung ist schwierig, weil ich glaube, dass es für die meisten Probleme keine einfachen Lösungen gibt. Vor allem bei Fragen, die sehr viele Menschen betreffen. Ob man nun in einer großen Patchwork-Familie lebt oder gleich die ganze Gesellschaft betrachtet: Es gibt immer unterschiedliche Bedürfnisse, die ausgeglichen werden müssen. Kompromisse zu machen, hört sich meistens nicht besonders "sexy" an. Deshalb sind einfache Parolen, die jedem gefallen, auch so erfolgreich. Gerade in einer Zeit, in der wir es gewohnt sind, ein individuelles, selbstbestimmtes Leben zu führen. Es hat unsere Gesellschaft im Übrigen nicht unbedingt besser gemacht.
teleschau: Wie meinen Sie das?
Vogel: Dass heute jeder selbstbestimmt sein eigenes Ding machen will, hat unsere Gesellschaft ärmer gemacht. Früher fühlte man sich in einer Familie aufgehoben, dafür ist man Kompromisse eingegangen. Heute leben wir in einer Zeit, in der die meisten glauben: Das höchste Gut ist, dass man sich selbst verwirklicht. Aber was heißt das? Das Gefühl der Selbstverwirklichung kann auch eintreten, wenn man sich einer Gemeinschaft anschließt oder wenn man etwas für andere tut. Sich zurückzunehmen, kann sich toll anfühlen. Den meisten Menschen tut es nicht gut, den egoistischen und narzisstischen Weg zu gehen.
"Wo sich die Ängstlichen treffen, entsteht nur noch mehr Angst"
teleschau: Schauspieler, gerade die bekannteren unter ihnen, gelten oft als Ego-Menschen. Sind Sie einer?
Vogel: Nein, ich glaube nicht. Nehmen wir das Beispiel Weihnachten: Da gibt es Menschen, die werden gerne beschenkt und jene, die lieber andere beschenken, weil sie mehr daraus ziehen. Ich gehöre ganz klar zu letzteren Gruppe.
teleschau: Wir leben heute individueller als früher, aber leben wir auch mit größerer Angst als die Generationen vor uns?
Vogel: Ja, vielleicht. Das individuelle Leben führt dazu, dass wir uns oft weniger geschützt und dafür alleine fühlen. Dazu wissen wir viel mehr über die Welt als früher. Wer Ängste entwickelt, die einen zunehmend belasten - seien es konkrete Ängste, Phobien, Panikattacken oder ein stärker werdendes, diffuses Gefühl der Angst, sollte zur Therapie gehen. Angst ist auch eine Krankheit und viele Menschen sind davon betroffen.
teleschau: Was macht es mit uns als Gesellschaft, wenn viele Angst haben?
Vogel: Angst führt zu Isolation. Weil man Themen, Orte und Menschen meidet, die Angst auslösen. Oder man hält sich nur noch in realen oder virtuellen Gruppen auf, die dieselben Ängste teilen. Was auch keine Lösung ist und vor allem gesamtgesellschaftlich sehr problematisch ist. Wo sich die Ängstlichen treffen, entsteht nur noch mehr Angst. Und vor allem verlieren wir so unsere Kraft als helfende, zugewandte Gesellschaft. Angst ist kein guter Begleiter. Wir treffen aus Angst oft die falschen Entscheidungen.
"Ich habe noch nie Geld vom Staat bekommen und war oft sehr, sehr arm"
teleschau: Was kann man also tun?
Vogel: Ich nur empfehlen, sich auf positive Art der Gemeinschaft zu öffnen. Arbeite mit anderen an Dingen, die dir Spaß und Erfüllung bringen. Bei mir waren das Familie und der Schauspielberuf. Überforderung, Stress und Burnout sind heute ein großes Thema. Ich hatte noch nie im Leben einen Burnout, obwohl ich extrem viel mache und arbeite. Immer hatte ich die Sehnsucht, Ziele zu erreichen, aber auch Teil einer Arbeitsgemeinschaft, einer Familie oder Beziehung zu sein. Ich habe sieben Kinder und fünf Enkel. Und ich arbeite, seit ich 13 bin. Mit 15 Jahren bin ich zu Hause ausgezogen. Ich habe noch nie Geld vom Staat bekommen und war oft sehr, sehr arm. Mein Leben war über weite Strecken sehr anstrengend. Aber ich habe immer Kraft durch das Geben bekommen.
teleschau: Kommen wir noch mal auf die Serie "Informant" zurück. Sie machen seit 30 Jahren Filme und Serien mit dem Autor und Regisseur Matthias Glasner. Warum können Sie nicht voneinander lassen?
Vogel: Wir sind Partner, die wissen, dass wir uns total aufeinander verlassen können. Es ist aber nicht so eng, dass wir nun ständig zusammenhängen und gemeinsam in den Urlaub fahren. Seine Drehbücher erschaffen schon beim Lesen Charaktere und Welten, auf die ich immer ganz schnell Bock habe. Er ist einer der besten Autoren in Deutschland und wir haben eine ähnliche Philosophie über den Menschen: Wir wollen zeigen, wie kompliziert und auch grausam sind - und trotzdem auch liebenswert. Wir glauben beide, dass es nichts bringt, den Menschen zu kritisieren und stets den moralischen Zeigefinger zu heben. Wir müssen uns so akzeptieren, wie wir sind. Dort, wo sich Abgründe auftun, müssen wir einfach Hilfe anbieten.
teleschau: Ihr gemeinsamer Antrieb ist, Geschichten über das Menschsein zu erzählen?
Vogel: Ja, so ist es. Wir interessieren uns für unsere Spezies mit all ihren Schwächen und Fehlern. Ich glaube, menschliche Schwächen waren der Grund, warum ich mich überhaupt fürs Schauspiel und diesen Beruf interessiert habe. Das war noch bevor ich Matthias kennengelernt habe. In ihm habe ich dann einen Partner mit ähnlichen Interessen gefunden.
"Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Älterwerden"
teleschau: Sie sind nach wie vor beeindruckend durchtrainiert. Trotzdem spielen Ihre Rollen nun oft ein wenig mit dem Alter und körperlichem Verfall. Wie sehr beschäftigt Sie das Thema?
Vogel: Ich trainiere viel, das gebe ich zu. Weniger aus Eitelkeit, sondern weil Training ein Lebensinhalt für mich ist. Ich brauche es als psychischen Ausgleich, weil ich eine hyperaktive Person bin. Ich bekomme ein Problem mit meinen Energien, wenn ich keinen Ausdauersport betreibe. Ich habe mit 14 angefangen und mich durch mein ganzes Leben hindurch diszipliniert, ja fast selbst therapiert.
teleschau: Inwieweit war das Training Therapie, woran haben Sie gelitten?
Vogel: Oft an Hierarchien, die fand ich meist schwer zu ertragen. Ich suchte Wege, mich zu entladen, ohne etwas Negatives zu tun. Außerdem war ich immer auch ein Freund des physischen Schauspiels, da kommt mir das Training zugute. Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Älterwerden. Ich mag es sogar, älter zu sein. Es ist interessant zu spüren, wie sich die Dinge verändern, aber andererseits die Aufgabe anzunehmen, so lange wie möglich noch ein gewisses Level aufrechtzuerhalten. Es ist letztendlich eine sportliche Herausforderung, die nicht heißt, dass man gegen das Alter kämpft. Man versucht, sich altersgemäß neue Ziele zu setzen - und die zu erreichen. Nur weil du 56 bist, heißt das nicht, dass du keine 100 Liegestützen schaffst.
teleschau: Sie wollen es sich also selbst beweisen?
Vogel: Mir, aber auch meinen Kindern. Mein ältester Sohn ist 38, aber ich habe eben auch noch kleine Kinder. Denen will ich natürlich zeigen, dass Papa noch fit ist. Ich war aber nie jemand, der noch mal jünger sein wollte, denn ich habe diese Lebensalter ja alle schon erlebt. Ich will lieber neues erleben und freue mich auf das, was noch kommt. Mir ist schnell langweilig. Deshalb kann ich auch Filme nur ganz schwer zwei- oder dreimal gucken. Ich bin stattdessen immer auf der Suche nach neuen Dingen. Tatsächlich habe ich das Gefühl: Je älter ich werde, desto neugieriger werde ich und umso mehr weitet sich mein Blick.