Jahrzehnte in der Todeszelle: Gericht in Japan spricht 88-Jährigen frei

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Verurteilung zum Tode ist ein 88-jähriger Japaner in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Iwao Hakamada gilt als der Häftling, der weltweit am längsten in einer Todeszelle saß. (Philip FONG)
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Verurteilung zum Tode ist ein 88-jähriger Japaner in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Iwao Hakamada gilt als der Häftling, der weltweit am längsten in einer Todeszelle saß. (Philip FONG) (Philip FONG/AFP/AFP)

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Verurteilung zum Tode ist ein 88-jähriger Japaner in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden. Das Bezirksgericht im japanischen Shizuoka erklärte den früheren Boxer Iwao Hakamada am Donnerstag für unschuldig. Er gilt als der Häftling, der weltweit am längsten in einer Todeszelle saß.

Der 88-Jährige nahm wegen seines schlechten Gesundheitszustands nicht an der Urteilsverkündung teil. Seine 91 Jahre alte Schwester Hideko, die oft für ihn gesprochen hat, verbeugte sich tief vor dem Richter, der Hakamada für unschuldig erklärte. Vor dem Gerichtsgebäude dankte sie anschließend allen Unterstützerinnen und Unterstützern. "Wir haben alle zusammen den Freispruch erlangt", sagte sie den Tränen nahe, mit brüchiger Stimme.

Hakamada verbrachte 46 Jahre in der Todeszelle. Er wurde 1968 wegen der Ermordung seines Chefs und dessen Familie im Jahr 1966 zum Tode verurteilt. Der frühere Boxer legte nach wochenlangen Polizeiverhören ein Geständnis ab, widerrief es aber später. Er sagte aus, er sei in den brutalen Verhören zu dem Geständnis gezwungen worden. Zudem gab er an, die Beweise seien gefälscht worden.

Dennoch wurde das Todesurteil 1980 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. 2014 ordnete dann ein Bezirksgericht überraschend an, dass Hakamada einen neuen Prozess bekommen müsse. Bis zur Wiederaufnahme des Prozesses wurde er freigelassen.

"Ermittler pfuschten mit Kleidern herum, die sie mit Blut versahen" und dann in einem Miso-Behälter versteckten, hieß es nun in der AFP vorliegenden Urteilsverkündung. Darin werden "unmenschliche Vernehmungen" verurteilt, mit denen "durch mentale und physische Schmerzen eine Aussage erzwungen werden sollte". Das Recht des Angeklagten, zu schweigen, sei "wirkungsvoll verletzt" worden. Die Bedingungen, unter denen die Staatsanwaltschaft die Aussagen hervorgelockt habe, hätten "ein falsches Geständnis" begünstigt.

Örtlichen Medienberichten zufolge hat die Staatsanwaltschaft zwei Wochen Zeit, um Widerspruch einzulegen.

Hunderte Menschen hatten am Morgen vor dem Gericht Schlange gestanden, um sich einen Platz bei der Urteilsverkündung zu sichern. Der Fall hält Japan seit Jahrzehnten in Atem und weckte Zweifel am japanischen Justizsystem.

Hakamada ist der fünfte Todeszellenkandidat, der nach der Wiederaufnahme des Verfahrens freigesprochen wurde.

Die zumeist in Einzelhaft verbrachten fast fünf Jahrzehnte im Todestrakt setzten ihm psychisch schwer zu. Nach Angaben seines Anwalts Hideyo Ogawa scheint er manchmal in einer "Fantasiewelt" zu leben.

Seines Freispruchs schien er sich zunächst nicht bewusst zu sein. Seine Schwester hatte angekündigt, ihn im passenden Moment über das Urteil zu informieren. Kurz nach der Urteilsverkündung wurde er dabei gesehen, wie er sein Haus für einen Spaziergang verließ.

Japan ist neben den Vereinigten Staaten die einzige große demokratische Industrienation, in der Todesurteile noch vollstreckt werden.

ck/oer