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"Jamaika-Aus überrascht nicht"

Achselzucken statt Kursschock an den Börsen: Dax & Co. reagieren kaum beeindruckt auf das Scheitern der Sondierungen über eine Koalition aus Union, FDP und Grünen. Experten erläutern, was Anleger beachten sollten.

Als FDP-Chef Christian Lindner am späten Sonntagabend um 23.47 Uhr die Jamaika-Sondierungen für gescheitert erklärte, sahen viele Investoren dem Montagmorgen mit großem Unbehagen entgegen. Doch der von Pessimisten gefürchtete Kursschock an den Aktienmärkten ist zum Start der neuen Börsenwoche ausgebleiben. Der Dax hatte im frühen Handel nicht mehr als einen halben Prozentpunkt nachgegeben, da griffen erste Schnäppchenjäger bereits wieder zu - und drehten den deutschen Leitindex sogar deutlich ins Plus bei über 13.000 Punkten.

Experten sind kaum überrascht vom Achselzucken an den Börsen als Reaktion auf die geplatzten Verhandlungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. "Die Märkte dürften dies nach anfänglicher Enttäuschung in Kauf nehmen", hatte etwa Anlagestratege Hartmut Issel vom Vermögensverwalter UBS Wealth Management bereits vor Börsenstart prognostiziert. „Selbst wenn es Wiederwahlen gibt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie populistisch sind. Deshalb wird die Abwärtsreaktion begrenzt sein", so die Begründung des Fachmanns.

Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sei Unsicherheit zwar natürlich Gift für die Wirtschaft. Doch das Scheitern der Jamaika-Sondierungen könne für die Unternehmen schon deswegen kein Schock sein, weil sich die Verhandlungen quälende vier Wochen hingezogen hatten. „Darüber hinaus befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer äußerst robusten Verfassung. Die Wettbewerbsfähigkeit ist noch immer hoch, die lockere EZB-Politik facht die Nachfrage an“, sagt der Ökonom.

Die FDP hatte am späten Sonntagabend die Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen überraschend platzen gelassen. „Die politische Unsicherheit ist so ausgeprägt wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik“, schrieb daraufhin Krämer in einem ersten Kommentar. Eine Regierungsbildung gilt nun als äußerst schwierig, auch Neuwahlen werden von Experten nicht ausgeschlossen.

Am Montagnachmittag notierte der Dax bei 13075 Punkten bereits 0,7 Prozent im grünen Bereich. Damit stoppte der wichtigste deutsche Börsenbarometer jüngste Schwächeperiode. Zuvor war er seit seiner Bestmarke bei 13 525 Punkten vor knapp zwei Wochen in der Spitze um mehr als vier Prozent gefallen.


Was Neuwahlen für die Aktienmärkte bedeuteten

Ähnlich verhalten wie an den Aktienbörsen fielen am Montag auch die Kursbewegungen an den Devisenmärkten aus: Die geplatzten Verhandlungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition ließen den Euro zum US-Dollar lediglich ein halbes Prozent auf 1,1737 Dollar abrutschen. „Die Überraschung des Abbruchs der Koalitionsgespräche und der jüngste Aufschwung des Euro dürften die Gemeinschaftswährung kurzfristig unter Druck halten“, sagte Peter Dragicevich, Währungsstratege in Singapur bei der japanischen Bank Nomura.

Doch welche Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie Dax & Co wird das Ende der Sondierungsgespräche mittelfristig haben?

„Auch wenn weitere Verzögerungen in der Regierungsbildung unter Umständen zu einer Belastung für das künftige Wachstum in Deutschland und Europa werden könnten, erwarten wir dennoch keine grundlegende Änderung der positiven wirtschaftlichen Aussichten für 2018“, sagt Armin Eiche, Vermögensverwaltungschef Deutschland der Schweizer Bank Pictet. Nach dem überraschenden Aus der Gespräche wollen die Anlageprofis dennoch zunächst die weitere Entwicklung abwarten.

Auch die Experten beim Geldhaus Oddo BHF planen trotz der politisch unsicherer gewordenen Lage in Deutschland vorerst keinen Änderung bei der Ausrichtung ihrer global ausgerichteten Anlagestrategie. Vorstandsmitglied Joachim Häger bekräftigt an einer Übergewichtung des Aktien-Anteils festhalten zu wollen. "Aufgrund der globalen Ausrichtung der meisten Dax-Unternehmen ist der Einfluss der deutschen Politik auf die Geschäftsentwicklung relativ gering und erklärt somit die bis dato moderaten Kursreaktionen des Dax", sagt Häger. Sollte der Euro gegenüber dem US-Dollar in Reaktion auf die politische Entwicklung wieder schwächer werden, werde dies sogar die Exportwirtschaft und damit insgesamt die Aussichten für den Dax deutlich unterstützen.


Die politische Unsicherheit kommt zur Unzeit

Kritischer sehen einige Fachleute die mittelfristigen Folgen für die Anlagemärkte: "Die politische Unsicherheit kommt zu einem Zeitpunkt, an dem von globaler Ebene zunehmende Schwierigkeiten auf die deutsche Wirtschaft zukommen, zum Beispiel von einer Wachstumsverlangsamung in China", sagt Christian von Engelbrechten, Fondsmanager des Fidelity Germany Funds. Zwar laufe die deutsche Wirtschaft momentan noch sehr gut - allerdings sei diese positive Entwicklung in den Rekordständen der Börsen bereits eingepreist.

"Eine Abschwächung im nächsten Jahr könnte daher konjunktursensible Zykliker belasten", warnt von Engelbrechten. Der Experte erwartet deshalb, dass die Stimmungsindikatoren der Wirtschaft keine weiteren Rekordstände erreichen werden und dass das Wachstum 2018 schwächer ausfallen wird. "Solide wachsende Unternehmen, insbesondere aus den Bereichen Gesundheit, Technologie und Software, dürften daher wieder die Führung übernehmen – im Vergleich zu Unternehmen, die eine besonders positive Konjunktur für ihre schwachen Fundamentaldaten benötigen."

Uneins sind sich die Fachleute darüber, wie Investoren in den kommenden Wochen reagieren werden, falls sich Neuwahlen abzeichnen sollten: "Neuwahlen sind aktuell der größte Risikofaktor, auch für die Börse. Hier wäre die Hängepartie am längsten", sagt Thomas Altmann, Portfoliomanager bei QC Partners in Frankfurt. Zudem wisse niemand, wie Neuwahlen ausgehen und wie es danach weitergehen könne. "Deutschland könnte für eine längere Zeit politisch gelähmt sein. Das ist eine schlechte Nachricht: Nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte Euro-Zone und die gesamte EU."

Anders sieht das Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank: "Neuwahlen wären eine Perspektive, die die Finanzmärkte nicht schrecken würde. Insbesondere, weil hier nach der Druck, eine funktionierende Regierung zustande zu bringen, ungleich größer wäre", so der Ökonom. Auch mit einer Minderheitsregierung könnten Kater zufolge die Märkte leben, wenngleich die Möglichkeiten der Politikgestaltung in einem solchen Szenario geringer ausfallen würden.

Sein Kollege Jörg Krämer von der Commerzbank vermutet, dass Anleger eine Koalition zwischen Union und FDP bevorzugen dürften, falls Neuwahlen irgendwann tatsächlich unausweichlich sein sollten. "Die FDP würde dann spürbare Steuersenkungen durchsetzen. Außerdem würde sie ein Zurückrollen der Schröder-Reformen verhindern und die Belastungen der Unternehmen aus der Klimapolitik begrenzen." Noch aber würden die Umfragen eine solche Regierungskonstellation nicht hergeben, betont der Fachmann.

"Schlimm wäre, wenn AfD und Linke bei Neuwahlen massiv zulegen würden und klar würde, dass die Zeiten stabiler, marktwirtschaftlicher Regierungen in Deutschland vorüber wären", warnt Krämer. Dann würden Dax und Euro in die Knie gehen.

KONTEXT

Meilensteine des Dax

1. Juli 1988

Der Dax wird aus der Taufe gehoben. Basis der Berechnung ist der 30. Dezember 1987 mit einem Wert von 1.000 Punkten.

18. November 1996

Bei der Privatisierung der Deutschen Telekom wird die T-Aktie als Volksaktie vermarktet. Das Interesse der Öffentlichkeit am Dax nimmt dramatisch zu.

7. März 2000

Der Dax erreicht ein Rekordhoch von 8136,16 Punkten. Händler begründen die Euphorie mit Fusionsfieber. Ein geplanter Zusammenschluss der Deutschen mit der Dresdner Bank scheitert aber. Die Dresdner Bank geht an die Allianz, die sie im Mai 2009 an die Commerzbank weiterreicht. Auf dem Höhepunkt der Börseneuphorie wird die Chip-Tochter von Siemens, Infineon, zu einem Emissionspreis von 35 Euro an den Anleger gebracht. Die Platzierung ist 33-fach überzeichnet. Danach beginnt beim Dax eine langjährige Abwärtsbewegung, die von den Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 verschärft wird.

12. März 2003

Der Dax rutscht unter 2200 Punkte und notiert damit so tief wie zuletzt im November 1995. Im Laufe des Jahres dreht er. Mit der Erholung der Weltwirtschaft in den Folgejahren wächst auch das Vertrauen in die Gewinnentwicklung der Unternehmen wieder.

13. Juli 2007

Mit 8.152 Zählern setzt der Dax einen neuen Meilenstein. Trotz erster Bankenpleiten und Notoperationen der EZB am Geldmarkt hält sich der Dax zu Beginn des Krisenjahres 2008 über 8000 Zählern. Doch ab dann geht es bergab. 2009 beschleunigt der Absturz des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate die Talfahrt des Dax.

9. März 2009

Die Krise der Banken hat Tribut gefordert: Mit 3588 Punkten erreicht der Dax zeitweise den niedrigsten Stand seit Oktober 2003. Doch es gibt Hoffnung. Denn nur wenige Tage später wirft die Fed die Notenpresse an. Von nun an geht es bergauf. Am 25. Oktober schafft der Dax zum ersten Mal in seiner Geschichte den Sprung über die Marke von 9000 Punkten.

5. Juni 2014

Erstmals in seiner Historie ist der Dax fünfstellig. Um 14:33 Uhr knackt der deutsche Leitindex die magische Marke und steigt bis auf 10.014 Punkte.

22. Januar 2015

EZB-Präsident Mario Draghi beschließt ein Anleihekaufprogramm im Stile der Federal Reserve. Die Zentralbank wird bis September 2016 Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von 60 Millionen Euro aufkaufen. Insgesamt sollen so 1,14 Billionen in die Märkte gespült werden. Der Dax springt nach nervösen Pendelbewegungen auf ein Rekordhoch von 10.454 Punkten. In den folgenden Tagen hält die Hausse an, am 13. Februar springt der Dax das erste Mal über in seiner Geschichte über die 11.000-Punkte-Marke. Damit sollte die Rekordjagd aber gerade erst beginnen.

16.März 2015

Bereits wenige Wochen nach der Eroberung der 11.000-Punkte steht ein weiterer Meilenstein der Dax-Geschichte auf der Börsen-Agenda. Der Leitindex klettert zum ersten Mal über 12.000 Punkte. Weder der Konflikt in der Ostukraine noch der sich immer weiter zuspitzende Schuldenstreit scheinen die Börsenteilnehmer groß zu stören. Sie kaufen Aktien und befeuern die Hausse.

14. Juni 2017

In Erwartung einer positiven Zinsentscheidung der US-Notenbank knackt der Dax das erste Mal im Laufe seiner Geschichte die 12.900 Punkte und erreicht schließlich sein Allzeithoch von 12.921 Punkten. Schon in den Monaten zuvor hatte der Dax im Anschluss an den Erfolg des europafreundlichen Politikers Emmanuel Macron bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich seinen Höchststand mehrfach verbessert.

20. Juni 2017

Einen Tag vor der Sommersonnenwende des Jahres 2017 treiben Dax-Anleger das deutsche Börsenbarometer erneut auf einen Rekord. Im Verlauf des Handelstages steigt der Dax auf 12.952 Punkte. Es sollte ein schwieriger Sommer folgen.

12. Oktober 2017

Nach mehreren Anläufen durchbricht der Dax erstmals die Schallmauer von 13.000 Punkten. Zwar reicht es an diesem Donnerstag nur für wenige Minuten auf dem Gipfel, aber die Aussicht ist herrlich - und die Anleger kehren zurück. Einige Tage später schloss der Leitindex mit dem Rückenwind von der Bilanzsaison auch erstmals über der Tausendermarke. Aktuelles Allzeithoch: 13.525 Zähler.