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"Jamaika" bei Anne Will: Sticheleien von Machos auf Valium

Die Wahl in Niedersachsen ist der Abschluss im Superwahljahr, in der Bundesregierung stehen die Zeichen auf „Jamaika“. Gleich drei künftige Koalitionsvertreter diskutierten am Sonntagabend bei Anne Will. Ein Abend voller Macho-Attitüden, einem leidenschaftlichen Schlagabtausch – und viel Emotionen beim Stichwort „Familiennachzug“.

Anne Will
Künftige Koalitionspartner unter sich: Wolfgang Kubicki (FDP, links) lieferte sich mit Katrin Göring-Eckardt (Grüne) einen leidenschaftlichen Schlagabtausch – kritisch beobachtet von Volker Bouffier (CDU). Foto: NDR/Dietmar Gust

Wenige Woche nach der Bundestagswahl und am Tag der Landtagswahl in Niedersachsen stellte Anne Will die zentrale Frage: “Der Abschluss im Superwahljahr. Wird jetzt endlich wieder Politik gemacht?”

Gleich drei entscheidende Vertreter der kommenden Verhandlungen zur Jamaika-Koalition, die am Mittwoch beginnen werden, sammelten sich gestern bei Anne Will. Volker Bouffier (CDU), der seit 2013 die Schwarz-Grün-Koalition in Hessen führt, Katrin Göring-Eckardt, Fraktions-Chefin der Grünen und Wolfgang Kubicki, der FDP-Vize, gingen auf Tuchfühlung. Ebenfalls in der Runde: Olaf Scholz (SPD) sowie der Berliner Politologe Albrecht von Lucke.

Zunächst hieß es für eine Partei: Wunden lecken, Trost suchen. „Dieser Sieg hilft allen in der SPD“, sagte Partei-Vize Olaf Scholz bei Anne Will zum Erfolg in Niedersachsen, wo die Partei mit Stephan Weil nun den Ministerpräsident stellt. Schadensbegrenzung nach dem Desaster bei der Bundestagswahl. Der Hamburger Bürgermeister stellte sich vor den gebeutelten Martin Schulz: „Es ist gut, dass Martin Schulz an der Spitze der SPD steht.“ Die Erneuerung der Partei dürfte dennoch nicht ausbleiben – aus der Opposition heraus will die SPD aufsteigen wie Phönix aus der Asche. Scholz’ Prognose zur Koalition aus CDU, Grünen und FDP: “Die werden das schon hinkriegen.” Damit war im Wesentlichen gesagt, was von Scholz an diesem Abend zu sagen war. Denn bei Anne Will ging es in dieser Runde vor allem um die Frage, wie sich die künftigen Koalitionäre zusammenraufen werden – oder auch nicht. Es folgten Zankereien, Sticheleien, Macho-Gehabe. Und es zeigte sich schnell: So einfach wird das nicht mit Jamaika.

Als mögliches “Motto“ für die Jamaika-Koalition nannte Volker Bouffier von der CDU ein etwas nebulöses: “Aus Verantwortung für die Menschen und das Land”. Zu floskelhaft, kanzelte Wolfgang Kubicki von der FDP ihn ab: “Da könnte man auch sagen: Für schönes Wetter!”

Dann gab der FDP-Vize bissig zu bedenken – mit Blick auf die grüne Koalitionspartnerin: „Frau Göring-Eckardt ist der Planet und der Weltfrieden so wichtig, ich empfehle eine Etage tiefer zu gehen.“

Es war der Auftakt zum Schlagabtausch des Abends: In einem Einspieler wurde angedeutet, Kubicki habe am Tag nach der Wahl die Grüne-Spitzenkandidatin zunächst „per angedeutetem Handkuss“ begrüßt, dann aber gestichelt: „Wer es übrigens zuverlässig schafft, mich innerhalb von 30 Sekunden rasend zu machen, ist Katrin Göring-Eckardt“, und weiter: „Die notorisch moralische Attitüde von Frau Göring-Eckardt treibt meinen Blutdruck in die Höhe!“

Anne Will griff dies dankbar auf: „Herr Kubicki: Lassen Sie sich von Ihrer künftigen Chefin in die Pflicht nehmen?“ fragte sie, „oder lässt das Ihren Blutdruck auch schon wieder hochgehen?“ „Ich habe vor der Sendung Valium genommen“, witzelte Kubicki, „deshalb bin ich heute vielleicht etwas ruhiger als normal.“

Will ließ sich damit nicht abspeisen: „Also Sie entschuldigen sich bei Frau Göring-Eckardt dafür?“

Kubicki wich aus – und packte dann die Macho-Keule aus: „Es gibt eine ganze Reihe von Frauen, die freuen sich, wenn sie meinen Blutdruck nach oben treiben.“ Immerhin ein kleines Versprechen konnte er sich abringen: „Ich werde nie wieder in meinem Leben versuchen, Ihnen einen Handkuss zu geben!“

„Jetzt seid nett zueinander“, versuchte Volker Bouffier den Kindergarten-Modus zu beenden. Doch Kubicki konnte es selbst dann noch immer nicht lassen und trat noch einmal nach: „Sie haben gesagt, das sei letztes Jahrhundert und Macho-Gehabe“, richtete er sich an Göring-Eckardt. Die blieb kühl und verwies auf ihre Kindheit in einem „Tanzlehrer-Haushalt“ Deswegen sei sie „mit solchen Sachen aufgewachsen…“

Kaum zu glauben, doch tatsächlich wurden an diesem Abend auch ernsthaft Inhalte diskutiert: Am emotionalsten besetzt war dabei vor allem ein Thema – der Familiennachzug von Flüchtlingen.

In einem weiteren Einspiel-Filmchen erklärte Katrin Göring-Eckardt das von den Grünen geforderte Ende des ausgesetzten Familiennachzugs als absolut entscheidend für ihre Partei, als “rote Linie” bei den Koalitionsverhandlungen. Ob sie davon den Einstieg der Grünen in eine Jamaika-Koalition abhängig mache, wollte Will darum von ihn klar und deutlich wissen.

So ganz festlegen, das wurde spürbar, wollte sich die Politikerin dann jedoch nicht. Sie glaube weiterhin fest daran, dass sich niemand in Deutschland integriere, ohne dass seine Familie nachziehen könne, „wenn die jungen Männer nicht allein sind“, wie sie es formulierte. „Das wird eine der zentralen Fragen sein, wie man das macht“, sagte sie. Doch: „Darüber kann man ja reden.“ Wirklich durchsetzungsstark klang das nicht.

Volker Bouffier hielt dementsprechend direkt dagegen und verwies auf den knappen Wohnungsraum, Kindergartenplätze, die Kosten. Und zudem sei doch ohnehin der Plan, dass die meisten der Menschen wieder zurückkehren, sobald Frieden herrsche.

Kubicki hingegen wiegelte ab: Um so viele „Nachzügler“ handele es sich schließlich nicht, den Familiennachzug halte er allein aus humanistischen Gründen für notwendig. Viel wichtiger und entscheidender finde er es hingegen, wenn die Grünen “endlich wirksam abschieben” wollen würden. Und zwar all jene konsequent, die rechtlich keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland haben. Hier sehe Kubicki ein wesentlich größeres Problem. Umso überraschter war er über das schnelle Entgegenkommen von Göring-Eckardt, – die ihm zustimmte. Das letzte Wort hatte dann wieder Kubicki: “Hier zeichnen sich schon erste Kompromisslinien ab!” Möglicherweise der Beginn einer ganz großen Romanze…

Eines jedoch hat die Sendung einmal mehr bewiesen: Endlich wieder Politik gemacht und über Inhalte diskutiert wird noch immer nicht genug. Zu sehr sind die Koalitionspartner vorerst noch damit beschäftigt, sich zu beharken und ihre Rollen zu finden.