Janne Müller-Wieland: Das Hockey-Fieber liegt in der Familie

Dieser Artikel ist Teil der exklusiven Yahoo-Serie "Wie man einen Olympioniken großzieht". Dafür haben wir mit olympischen Athleten und ihren Eltern gesprochen, um einzigartige Einblicke in die Anfänge der Karrieren von Spitzensportlern zu gewinnen. Sehen Sie hier das vollständige Interview im Video:

Janne Müller-Wieland ist gerade ein bisschen frustriert. Dabei entspricht das so gar nicht ihrem Naturell. Die 34-jährige Hamburgerin ist normalerweise eine Frohnatur. Betritt die Hockeyspielerin einen Raum, so füllt sie diesen allein mit ihrer positiven Ausstrahlung. Müller-Wieland ist eine echte Persönlichkeit. Jetzt, im Frühsommer 2021, kurz vor den Olympischen Spielen, hat sie einen sportlichen Rückschlag hinnehmen müssen. Bundestrainer Xavier Reckinger hat sie völlig überraschend aus dem Kader für Tokio gestrichen. Ein Schock, von dem sie sich nur langsam erholt.

Müller-Wieland hat über 300 Länderspiele für den Deutschen-Hockey-Bund absolviert. Sie war bis zuletzt Spielführerin. Sie war die Anführerin und auch das Herz der Mannschaft. Ihre Erfahrung sollte dem verjüngten Team helfen, bei den Olympischen Spielen vielleicht sogar einen Überraschungscoup zu erzielen. Vielleicht nicht gleich Gold, auch nicht Silber. Das wäre zu vermessen. Aber die Bronzemedaille wäre durchaus drin gewesen.

Janne Müller-Wieland feiert ein Tor bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio (Bild: Mark Kolbe/Getty Images)
Janne Müller-Wieland feiert ein Tor bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio (Bild: Mark Kolbe/Getty Images)

Und jetzt? Alles aus. Verkriechen möchte sie sich. Tokio sollte der krönende Abschluss ihrer großen internationalen Karriere werden. Nun wird es ein internationaler Abschied durch die Hintertür. Und dennoch: Ein Schatten wird sich nicht über die sportliche Karriere legen. Dafür hat Janne Müller-Wieland viel zu viel erreicht. Und ihre Verdienste für den deutschen Hockey-Sport bleiben durch die Nicht-Nominierung ebenfalls unangetastet.

Die Mittelfeldspielerin hat in ihrer Laufbahn so ziemlich alles gewonnen, was man als Hockeyspielerin gewinnen kann: Müller-Wieland ist auf Clubebene mit dem UHC Hamburg mehrfache Deutsche Meisterin und Europapokalsiegerin. Dazu hat sie mit der Nationalmannschaft die Europameisterschaft 2013 gewonnen, 2018 holte sie mit dem Team Gold bei der Hallen-WM in Berlin. Die Hamburgerin hat an drei Olympischen Spielen teilgenommen. In Rio 2016 erfüllte sie sich mit dem Gewinn der Bronzemedaille ihren vielleicht größten sportlichen Traum.

Die Hockey-Leidenschaft liegt in der Familie

Der Hockey-Schläger wurde der 34-Jährigen gewissermaßen in die Wiege gelegt. Ihre Mutter Anja, Studienrätin aus Hamburg, war selber eine erfolgreiche Spielerin und gewann mit dem Harvestehuder Tennis-und Hockey-Club in den 1970er Jahren gleich zwei Mal die Deutsche Meisterschaft und auch den Europapokal der Landesmeister. “Aber bei uns zu Hause gab es keinen Druck für die Kinder”, sagt die Mutter. Die Liebe zum Hockey-Sport entwickelte sich sozusagen organisch.

Horst und Anja Müller-Wieland im Interview (Bild: Yahoo Sport Deutschland)
Horst und Anja Müller-Wieland im Interview (Bild: Yahoo Sport Deutschland)

Auch Müller-Wielands jüngere Schwester Roda ist Hockeyspielerin beim UHC, die Schwestern spielten lange zusammen in einem Team. Vater Horst kam erst durch seine Töchter zum Hockey-Sport und startete seine Freizeit-Karriere erst im leicht fortgeschrittenen Alter. Die Müller-Wielands sind eine Hockey-verrückte Familie - und in Deutschlands Hockey-Hauptstadt Hamburg vielen Sportbegeisterten ein Begriff. 2011 war Janne Müller-Wieland sogar einmal Hamburgs Sportlerin des Jahres.

Und natürlich ist sie in ihrer Karriere viel herumgekommen. Die wohl spannendste Zeit ihrer Laufbahn erlebte sie in der zweiten Jahreshälfte 2014. Damals spielte Müller-Wieland in der japanischen Liga für die West Red Sparks, den Werksklub von Coca-Cola, mit dem sie japanischer Meister wurde. “Die Zeit dort hat mich schon auch geprägt, die Kultur, die japanische Mentalität, das gesunde Essen, die Disziplin im Training, all das hat mich begeistert.” Mit den Spielen 2021 in Tokio und einer Rückkehr in ihr geliebtes Japan hätte sich also auch ein Kreis geschlossen.

Janne Müller-Wieland liegt der Hockey-Sport im Blut (Bild: Privat)
Janne Müller-Wieland liegt der Hockey-Sport im Blut (Bild: Privat)

Stattdessen wird sie die Olympischen Spiele im Sommer von Zuhause aus verfolgen. Zuhause ist mittlerweile England. Dorthin ist sie aus privaten Gründen gezogen. Mit ihrer walisischen Partnerin Sarah Thomas, die 2012 mit Großbritannien Olympia-Bronze im Hockey gewann, lebt Müller-Wieland zwischen London und Oxford auf dem Land. Thomas hat vor wenigen Wochen ein Baby zur Welt gebracht. Der Nachwuchs tröstet über die Nicht-Nominierung hinweg.

Neue Impulse in der Herrenmannschaft

In England hat sich Müller-Wieland, die regelmäßig nach Hamburg pendelt und auch weiterhin für den UHC Hamburg Hockey spielen wird, im Corona-Jahr 2020 einen eigenen kleinen Hockey-Parcours in der Garage gebastelt, ausgelegt mit Kunstrasen. Weil in England aufgrund der Pandemie harte Reisebeschränkungen galten, konnte sie auch nicht am Trainingsbetrieb in Deutschland teilnehmen. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Als in England schließlich wieder trainiert werden durfte, schloss sie sich kurzerhand dem Zweitligisten Oxford Hawks an. Aber nicht in der Damenabteilung, sondern bei den Herren.

“Die höhere Spielgeschwindigkeit und die physische und technische Überlegenheit der Männer habe ich mit Auge und Spielwitz wettzumachen versucht”, sagte sie einmal. “Ich glaube, dass mir dieses Training eine Menge neuer Impulse gegeben hat und bin überzeugt, dass man das öfter machen sollte.” Das ist typisch Janne Müller-Wieland: Mutig, selbstbewusst, zielstrebig und offen für neue Impulse.

Janne Müller-Wieland spricht während des Halbfinales der FIH Field Hockey Pro League 2019 in Amstelveen mit ihrem Team (Bild: Charles McQuillan/Getty Images)
Janne Müller-Wieland spricht während des Halbfinales der FIH Field Hockey Pro League 2019 in Amstelveen mit ihrem Team (Bild: Charles McQuillan/Getty Images)

Wie es jetzt weitergehen soll mit der sportlichen Karriere, ist noch nicht ganz klar. Ihre berufliche Karriere als Gründerin und Beraterin verschiedener internetbasierter Start-up-Unternehmen wird sie in jedem Fall weiter vorantreiben, von England aus und natürlich auch in ihrer geliebten Heimat Hamburg. Und die Hockey-Karriere? Wird wohl auch noch ein bisschen weitergehen - zumindest auf Clubebene.