Jazz, Farben, Algorithmen - Geschmacksverlust durch Krebstherapie: Neue Ernährungsidee soll Patienten helfen
Die richtige Ernährung spielt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Krebs. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop beleuchtet, wie ein innovatives Projekt den Geschmackssinn von Patienten verbessern könnte.
Was erforschen die Wissenschaftler von sechs Bayerischen Universitäten zur „Ernährung bei Krebspatienten“?
Bei Krebspatienten treten während einer Tumortherapie häufig Geschmacksstörungen auf, die den Ernährungszustand beeinträchtigen und im schlimmsten Fall zum Abbruch lebensverlängernder Therapien führen. Daher wollen alle sechs Universitätsklinika in Bayern mit maßgeschneiderten Ernährungsangeboten die Geschmackswahrnehmung in der Onkologie optimieren.
Das auf KI (Künstlicher Intelligenz) basierende Projekt Gustabor wird dazu vom Bayerischen Zentrum für Krebsforschung mit fast einer halben Million Euro ab Januar 2025 über zwei Jahre gefördert.
Die Forscher wollen persönlich passende Ernährungsempfehlungen für Krebspatienten mit Geschmacksstörungen liefern - denn erstens leiden sehr viele Krebspatienten darunter - und zweitens ist für Betroffene der Geschmack oft wichtiger als die Lebensverlängerung - und so hören Ärzte Sätze wie: „Hätte ich vorher gewusst, dass ich während der Krebstherapie nichts mehr schmecken kann, hätte ich sie abgelehnt, obwohl sie meine letzte Chance war.“.
Was ist das neue daran?
Alle Patienten nehmen den Geschmack unterschiedlich wahr. Bei manchen schmeckt alles bitter oder metallisch, andere können Süßes oder Salziges nicht mehr schmecken. So entstand die Idee für Gustabor - eine neue Plattform, die Geschmacksprofile erstellt und personalisierte Ernährungsempfehlungen ausgibt, die helfen sollen, spezifische Geschmacksstörungen, die während der Tumortherapie auftreten, zu lindern.
„Unser Ziel ist es, dass Gustabor mittels verschiedener Algorithmen auf Basis des Geschmacksprofils einen Katalog mit maßgeschneiderten Ernährungsvorschlägen generiert, die den Patienten wirklich schmecken und helfen“, erklärt Studienleiter Prof. Alexander Hann, Universitätsklinikum Würzburg, „es ist nicht so, dass es noch keine Ernährungsempfehlungen gibt, aber diese erfordern ein Ausprobieren. Mal hilft das eine, mal das andere. Die Wirkung ist ganz individuell. Und genau das wollen wir identifizieren.“
Das neue Projekt stellt also erstmals den individuellen Geschmack vollumfänglich in den Fokus - und das ist genau der richtiges Ansatz!
Welche Faktoren erforschen die Wissenschaftler „über das Essen an sich“?
Manche Maßnahmen sind nicht rezeptspezifisch und gehen daher auch über das Essen an sich und damit de facto über den Tellerrand hinaus. Beispielsweise hängt der Geschmack oft auch vom Ambiente ab. So hat es sich bei Krebspatienten bewährt, während des Essens Ablenkung zu suchen und mit der Familie oder mit Freunden zu essen statt alleine.
Erhebungen ergaben, dass Menschen bei Jazzmusik tendenziell mehr und bei Rapmusik weniger essen. Schwarze und violette Farbtöne werden beim Essen mit Schimmel assoziiert und lösen Ekel aus, während orange Farbtöne an frisches Obst erinnern und den Appetit anregen.
Somit verfolgen die Forscher hier einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem der individuelle eigene Geschmack im Zentrum steht.
Eine Ernährung, die sich individuell am eigenen Geschmack orientiert - ist das auch der richtige Weg für Gesunde?
Absolut. Der eigene Geschmack ist das A&O bei der Lebensmittelauswahl. Das hat gerade wieder der BMEL-Ernährungsreport 2024 „Deutschland, wie es isst“ bestätigt. Dessen wichtigste Erkenntnis ist und bleibt die Antwort auf die Frage, was den Menschen beim Essen (sehr) wichtig ist: Seit 2015 beantworten 98 oder 99 Prozent dies mit „gutem Geschmack“ (2024: 99 Prozent).
Warum hingegen das BMEL auf seiner Website schreibt, dieser Wert sei „erstaunlich konstant“, das bleibt deren Geheimnis. Denn: Was dominiert sonst die Auswahl, wenn nicht der eigene gute Geschmack? Oder anders: Wer kauft Lebensmittel, die einem nicht schmecken? Niemand.
Das Fundament des eigenen, immer einzigartigen guten Geschmacks ist die intuitive Ernährung - also die natürlichste Ernährungsform des Menschen, bei man voll auf seinen Körper und seine nativen Signale vertraut. Dazu gehören die evolutionsbiologisch kernrelevanten Gefühle wie Hunger, Lust, Sättigung, Wohlempfinden und vor allem Verträglichkeit.