Jens Spahn ist das neue Rumpelstilzchen des Sommers

Jens Spahn bei der Buchvorstellung von “Inside Islam – was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird” (Bild: dpa)
Jens Spahn bei der Buchvorstellung von “Inside Islam – was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird” (Bild: dpa)

Der Unionspolitiker spricht in jede Flüstertüte, die sich ihm bietet. Dort lässt er es krachen wie ein Sommergewitter.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Nun hat es ordentlich gedonnert in Deutschland, von Nord bis Süd gewitterte es – und auch im nordrheinwestfälischen Ahaus jagte eine Sturmwarnung die andere, da wollte der gebürtige Ahauser Jens Spahn auch mithalten. Das CDU-Präsidiumsmitglied und der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium thront allgegenwärtig wie ein Wetterballon überm Sommerloch; nur dass er kräftig mitdonnert.

Spahn teilt aus, und mit besonderer Aufmerksamkeit bedenkt er Muslime, womöglich sieht er in ihnen eine ihm nicht besonders zugewandte Wählergruppe. Ihnen kann er es ja zeigen.

Es scheint in Spahn eine verborgene Seite zu geben, ähnlich dem Rumpelstilzchen im Märchen, das übers Feuer hüpfend ruft: „Ach wie gut, dass niemand weiß“…

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Bei Spahn weiß noch niemand genau, ob er nur ein Opportunitätsrechter ist, der im Wahlkampf nach rechts blinkt, um im Herbst, falls es gut ausgeht für ihn, wieder stur den Segen der Mittelspur zu besingen. Oder ob er aus einem tiefen Groll heraus poltert, ein wirklicher Argwohn gegen andere Menschen in ihm wirkt, was Wesensmerkmal rechtspopulistischen Denkens ist – so ein naiver Gutmensch wie ich muss einfach zusammenzucken ob des Spahnschen Donnergrollens.

Bilder an der Wand, vom Künstler selbst entworfen

Hier ein paar Kostproben aus seinem Sommerrepertoire: „Schorndorf ist nur ein Sinnbild dafür, was jeden Tag an vielen Orten in Deutschland passiert. Es wird immer klarer, wie groß die Aufgabe der Integration ist“, sagte Spahn der „Welt“. Nun ist ein Sinnbild die bildliche Darstellung eines abstrakten Umstands, es an dieser Stelle anzubringen machte nur Sinn, wenn die Gewalt von nach Deutschland Geflüchteten, um die es hier geht, abstrakt wäre; nur ist diese wie jede Gewalt stets konkret. Ein Sinnbild à la Spahn ist also ein reines Symbol. Es beruht auf falschen Annahmen (in Schorndorf gab es erstens weniger Stress als in den Medien transportiert und zweitens waren weder Geflüchtete noch Deutschtürken in der Mehrheit) und will lediglich die Emotionen des Grolls hervorlocken. Dies gelingt Jens Rumpelstilzchen vortrefflich.

Ferner sagt er: Jeden Tag könne man in Regionalzeitungen von Übergriffen auf Frauen lesen: „Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Zu viele sind der Meinung: Jede andere Kultur ist per se eine Bereicherung.“

Lieber Herr Spahn, natürlich ist jede Kultur eine Bereicherung der Menschheit, egal welcher Ausformung. Denn Austausch über Kultur ergibt Reibung, das Überprüfen von Althergebrachtem und Formung von womöglich Neuem, jedenfalls ein Mehr an Neugierde und Respekt. Nur für denjenigen ist eine Kultur, welche auch immer, keine Bereicherung, wenn er sich verschließt. Meint, genug gesehen zu haben von der Welt. Wollen Sie sich solcher Armseligkeit rühmen?

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Spahns Rezept ist, dass er echte Fakten aufgreift und zu Verallgemeinerungen hochjazzt. Frauenfeindliches Denken und Verhalten sind in Deutschland Alltag, da brauchen wir die Muslime nicht. Das kriegen wir auch allein hin. Nehmen die Herausforderungen durch die Einwanderung von Geflüchteten zu? Natürlich, es gilt für Werte einzustehen und ihre Einhaltung zu verlangen. Nur ist der von Spahn empfohlene Blick in die Regionalzeitungen eine intellektuelle Kapitulationserklärung: Regionalzeitungen bilden immer Ausschnitte ab, das Konkrete. Ein Politiker, der ernstgenommen werden will, sollte aber das Große und Ganze im Blick behalten, also das Abstrakte. Spahns „Sinnbilder“ helfen da nicht weiter. Möchte er also Aufklärung erhalten über Frauenfeindlichkeit unter Zugewanderten, muss er Erhebungen, Studien und Statistiken bemühen; in den Regionalzeitungen findet sich immer alles, nämlich jede Menge Gewalt, und ganz bestimmt nicht besonders erhöht durch Geflüchtete. Die Beispiele, die Spahn übrigens zitiert, sind aus langen Zeitspannen zusammengeklaubt, es erinnert an hilflose Manöver eines starrsinnigen Kapitäns. Statistiken jedenfalls untermauern sein Horrorgerede nicht.

Da Spahn aber mittlerweile mächtig in Fahrt ist, belehrt er uns über das Leben in anderen Ländern. Den Interviewern der „Welt“ erklärte er: „Sie müssten sich in einer islamischen Gesellschaft einen Bart wachsen lassen. Aber Homosexuelle wie ich werden vom Turm geworfen.“

Einen Kompass braucht Spahn nicht

Vielleicht braucht Spahn einfach einen Globus, zur besseren Orientierung. Oder er sollte eher zu Kernthemen seiner eigentlichen Kompetenz sprechen, also über Gesundheit und Finanzen – aber das ist im Wahlkampf nicht der Hit. Jedenfalls wäre ich erfreut von Herrn Spahn zu hören, in welchen Ländern ich mir einen Bart wachsen lassen müsste. Und Schwule wurden in Gegenden von Hausfenstern geworfen, in denen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) das Sagen hat, und der IS ist einer wesentlichen Fluchtgründe für viele Menschen; ihnen hier in Deutschland genau dies umzuhängen, vor dem sie wegrannten, ist eigentlich ohne Worte.

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Im Kern fasst Spahn treffend zusammen, „die deutsche Gesellschaft läuft Gefahr, antisemitischer, schwulenfeindlicher, machohafter und gewaltaffiner zu werden, als sie bisher ist“. Ja, diese Trends gibt es. Und sie werden hervorgebracht nicht von Geflüchteten allein, sondern vor allem von uns bleichgesichtigen Deutschen. Gewalt? Die gestiegene Gewalt unter Geflüchteten betrifft in erster Linie eine kleine Gruppe unter ihnen, jene aus Nordafrika, und hat hauptsächlich als Opfer selbst Geflüchtete, oft auch wegen der beengten Verhältnisse in den Unterkünften. Spahn also baut einen Turm auf. Und Antisemitismus? Der bildet ein großes Problem in muslimischen Communities dar, und darüber wird auch viel gesprochen, jedenfalls mehr als über die nach wie vor sehr aktiven Hauptträger des Antisemitismus in Deutschland, und das sind die Deutschen selbst.

Spahn zündelt. Hoffentlich wird es ein kurzer Sommer, politisch gesehen. Im Herbst wird dann Rumpelstilzchen in eine neue Rolle schlüpfen.