Juso-Chef bei Anne Will: "Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln"

Die Runde bei Anne Will ist gespalten: Macht eine CO2-Steuer Sinn. Die Wissenschaft sagt: Egal, ob eine Steuer oder Zertifikate-Handel. Solange am Ende weniger CO2 emittiert wird. Foto: Screenshot / ARD
Die Runde bei Anne Will ist gespalten: Macht eine CO2-Steuer Sinn? Die Wissenschaft sagt: Egal, ob eine Steuer oder Zertifikate-Handel. Solange am Ende weniger CO2 emittiert wird. Foto: Screenshot / ARD

Wie viel soll der Ausstoß von CO2 kosten und wer zahlt dafür? Brauchen wir eine Steuer? Darüber streitet die Politik, voran die Große Koalition, seit Wochen. Dabei hat gerade die in ihren Koalitionsvertrag reingeschrieben, dass es ein CO2-Bepreisungssystem geben muss. Dennoch gibt es seit Beginn der Legislatur keine Bewegung. Anne Will fragt daher ihre Runde: Streit um CO2-Steuer - wer zahlt für den Klimaschutz?

Die Diskutanten

Michael Kretschmer (CDU), seit Dezember 2017 amtiert Kretschmer als Landesvorsitzender der Sächsischen Union sowie Ministerpräsident von Sachsen.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), seit Januar 2018 amtiert Baerbock neben Robert Habeck als Parteivorsitzende.

Kevin Kühnert (SPD), Bundesvorsitzender der Jusos wird er im Jahr 2017

Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), außerdem Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg und Mitglied des Club of Rome

Ioannis Sakkaros, Initiator der Gelbwesten-Proteste im Stuttgart, der Kfz-Mechatroniker ist für Porsche tätig und Mitglied der IG-Metall. Im Sommer 2018 gründet er die Facebook-Gruppe „Kein Dieselfahrverbot für Stuttgart“, in der Schwabenmetropole organisiert er seit 2019 die Pro-Diesel-Demonstrationen

Der Klimawandel und die Folgen

Worum geht es? Der Klimawandel bringt immer häufiger Umweltkatastrophen und Wetterextreme, wie die langanhaltende Dürre vergangenes Jahr, mit sich. Dazu sterben immer mehr Tierarten aus. Um diese Entwicklungen zu stoppen, gibt der Weltklimarat der Menschheit nur noch elf Jahre, um den CO2-Ausstoß im Vergleich zum Jahr 2010 um die Hälfte zu senken. Stattdessen: Der Ausstoß von Treibhausgasen sinkt nicht, er steigt. Im Jahr 2017 kletterte er auf einen Höchststand. Auch Deutschland hinkt dabei den Zielen meilenweit hinterher, legt jedes Jahr bis zu 100 Millionen Euro zurück für Strafzahlungen an die EU. Und doch tut sich hierzulande wenig – erst seit den Schülerprotesten ist das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit wieder auf der Agenda.

Zunächst dreht sich die Runde um den Vertrauensverlust der Wähler in die Politik. Annalena Baerbock sagt dazu: „Ja, den gibt es. Zuerst hieß es, der Diesel sei sauber, dann kam die Feinstaub-Thematik, dann der Riesen-Betrug der Autohersteller. Ich bin genauso wütend, dass Andreas Scheuer keine Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Konzerne einführt. Jetzt kommt die Klimakrise dazu. Wenn wir diese in den Griff bekommen wollen, müssen wir handeln und damit anfangen, Subventionen abzubauen.“

Ioannis Sakkaros fragt nach: „Welche Subventionen gibt es denn da?“

„Der Diesel ist günstiger an der Tankstelle als Benzin, weil die Mineralölsteuer nicht in der gleichen Höhe bezahlt wird. Steuererleichterungen gibt es außerdem bei Dienstwagen. Bei Flugzeugen gibt es gar keine Besteuerung auf Kerosin. Wer sich also umweltfreundlich verhält, zahlt drauf.“ Das zeigt, wie wenig die Politik an Steuerfunktion in den vergangenen Jahrzehnten umgesetzt hat, sondern sogar falsche Anreize geschaffen hat, wie etwa die Steuererleichterungen.

Sechs Prozent weniger Kohlendioxid produzieren und konsumieren – pro Jahr

Maja Göbel drängt dazu, schnell zu handeln: „Eine gerechte Transformation, aber auch eine zeitgerechte, ist wichtig. Wir müssen in den nächsten zehn Jahren fundamentale Veränderungen vornehmen. Wir müssen jetzt schon pro Jahr die CO2-Anteile in der Art des Produzierens und Konsumierens um sechs Prozent reduzieren. Je länger wir warten, umso schwieriger und höher werden die Kosten. Die Warnungen sind alle nicht neu oder was auf uns zukommt.“

Für Michael Kretschmer kommt eine CO2-Steuer nicht in Frage, er möchte „Ökologie und Ökonomie mit Vernunft und Augenmaß“. Das Klima sei eine globale Aufgabe, da helfe keine selbstreferenzielle Politik. Damit meint er, dass Deutschland alleine das Klima ja nicht retten kann. Dabei verschweigt er aber, dass zahlreiche Länder in Europa schon lange eine CO2-Steuer eingeführt haben, wie die Schweiz oder Schweden.

Weiter sagt er: „Wir haben jetzt den Ausstieg aus der Kohleverstromung und Kernenergie entschieden. Da müssen wir viel Energie reinsetzen. Wir müssen uns dann um die Schwellenländer kümmern, dort, wo großes Wachstum stattfindet und viel CO2 freigesetzt wird. Für einen Euro hier erreichen wir viel weniger Klimaschutz, als dort. In China, Indien, Afrika.“ Und hier verschweigt er, dass es zu massiven Verzerrungen durch Export und Import kommt. Weil CO2 immer den Ländern zugeschrieben wird, in denen produziert wird, auch wenn die Waren in anderen Ländern konsumiert werden. Viele Länder verlagern ihren Verbrauch daher einfach in andere Länder. China etwa emittiert rund ein Drittel des gesamten CO2 für den Export.

Kühnert und Kretschmer im Infight

Kevin Kühnerts glaubt nicht daran, dass der Mark sich im Falle des Klimaschutzes selbst reguliert: „Ich glaube, dass Kapitalismus und Marktmechanismen zu tief in unsere Gesellschaft eingedrungen sind. Es gibt Bereiche in unserem Zusammenleben, die jedem zustehen sollten: Bildung, Umwelt, Gesundheitsversorgung. Ohne Marktmechanismen, denn die bringen immer Gewinner und Verlierer hervor. Deswegen ärgere ich mich über die Union, die sagt, alle Maßnahmen einer CO2-Bepreisung seien Quatsch und der Markt regle das schon über Zertifikatehandel. Wenn der Markt im Kapitalismus Innovationen hervorbringen würde, hätten wir längst die Innovationen, die uns voranbringen, die weniger emittieren. Dann würden wir keine Inlandflüge mehr nutzen, sondern gerne Bahn fahren. Das alles ist nicht der Fall.“

Da platzt Kretschmer die Hutschnur: „Wir leben in einem der großartigsten Länder der Welt. Wir haben eine soziale Marktwirtschaft, keinen Kapitalismus. Das hat uns Wohlstand gebracht. Ich respektiere ihre Meinung, aber wenn Sie Sozialismus haben wollen... Ich habe den selbst erlebt, es war eine furchtbare Staatsform. Die Unfreiheit hat zu einer gewaltigen Umweltzerstörung geführt, die wir jetzt zur Seite geschafft haben.“

Auch Kühnert, der nicht gerade für seine politischen Samthandschuhe bekannt ist, holt aus: „Es ist infam, immer DDR-, Nordkorea-, Kuba- und Venezuela-Vergleiche zu bringen. Wenn das Ihre einzige Antwort ist, auf neun Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor, darauf, dass Unternehmen nicht ordentlich Steuern zahlen, dass unsere Wirtschaftsweise die Umwelt nachhaltig zerstört, dann disqualifizieren Sie sich als Teilnehmer dieser Diskussion.“

Die Sozialismus-Debatte der vergangenen Tage greift Anne Will aber doch dankbar auf. Sie fragt Kühnert, der in einem Zeit-Interview eine Debatte über mehr sozialistische Politik angeregt hat, ob er der SPD im Super-Wahljahr in den neuen Bundesländern mit so einem Vorstoß geschadet habe – denn so sehe es etwa Sigmar Gabriel? Er sagt: „Ich denke nicht. Wir sollten in unseren Debatten nicht immer nur auf Zahlen und Umfragen blicken. Uns wird doch immer vorgeworfen, dass wir die großen Fragen nicht angehen. Ich weiß nicht, ob Sigmar Gabriel der Beste ist, um zu bewerten, ob ich jetzt einen Egotrip mache.“

Politische Redlichkeit bedeutet, keine „Rauchbomben zu werfen“

Dann geht es wieder um das eigentliche Thema, den Klimaschut. Göpel sagt, dass die Politik das Problem einfach viel zu lange vor sich hergeschoben habe: „Wir empfehlen den radikalen Umbau der Gesellschaft seit 1992. Das sagen auch andere Expertengremien der Bundesregierung. Die Idee, dass wir erst seit vorgestern radikale Reduktionen brauchen, ist falsch. Oder ein radikal anderes Wirtschaften. Das Ziel ist die Dekarbonisierung, wir müssen weg von Kohle. Der Vorwurf, dass eine CO2-Steuer die weniger-Vermögenden treffen muss, stimmt dazu nicht. Es gibt konkrete Vorschläge von uns, wie das zurückgezahlt wird, dass man bei manchen Beträgen insgesamt sogar entlastet wird.“

Kretschmer sagt dazu: „Aus den vielen Gesprächen, die ich jeden Tag führe, weiß ich: Die Menschen sind sehr sensibel, was Klimaschutz angeht. Wir brauchen ein europäisches Vorgehen, der Zertifikate-Handel auf europäischer Ebene ist das richtige Instrument. Kommen Sie raus aus dem Elfenbeinturm.“

Da pocht Göpel auf der Redlichkeit der Politik - denn es sei egal, ob eine CO2-Steuer komme oder der europäische Zertifikatehandel angepasst werde: „Eine politische Verantwortung liegt darin, keine Rauchbomben mehr zu werfen und Instrumente gegeneinander auszuspielen. Es geht immer darum, CO2 zu reduzieren. Beim Zertifikatehandel waren die Preise zu gering und es wurden zu viele Zertifikate rausgegeben, so gab es keine Lenkungswirkungen. Aber das könnte man anpassen. Man kann zudem die EEG-Umlage reduzieren, die Stromsteuer abschaffen, man muss einfach mehr erklären, als einfach nur zu sagen, dass man eine CO2-Steuer will. Der Strompreis wird geringer, wenn mehr Erneuerbare drin sind.“

Wie kann eine Steuer sozialverträglich sein?

In einem Einspieler rechnet dann das „Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung“ vor, dass über eine CO2-Steuer Geringverdiener entlastet werden könnten. Über entsprechende Rückzahlungen oder Entlastungen hätten am Ende des Jahres Familien, Geringverdiener und Rentner auf Kosten von Mehrverdienern mehr Geld. Trotz CO2-Steuer.

Baerbock dazu: „Das ist unser Modell, nur den Strom zu besteuern, der klimaschädlich ist. Auf der anderen Seite senken wir die Stromsteuer und geben einen Teil an die Bevölkerung zurück. Dadurch hat man einen Ausgleich, der sozialverträglich ist.“

Sakkaros fragt: „Was soll das bringen, das Geld aus einem Topf in den anderen zu legen?“

Und hier zeigt sich das Dilemma der politischen Kommunikation. Der Mann, der auf die Straße geht gegen die CO2-Steuer und für den Diesel, der eine gelbe West trägt, als Zeichen des Widerstands, kann nicht nachvollziehen, wie eine Steuerwirkung durch die Politik aussehen kann. Dass auch eine Steuer sozialverträglich sein kann durch entsprechende Umverteilungen. Hier muss dringend nachgebessert verständlicher kommuniziert werden. Und auch an diesem Abend wurde das nicht konkret dargestellt, was auch Anne Will an einer Stelle moniert. Es fehlt einfach der Wille, konkret zu werden.

Am Ende gibt es dann noch Zahlen vom ARD-Deutschlandtrend. Demnach sind für eine Einführung einer CO2-Steuer nur 34 Prozent der Bürger. 62 Prozent sind dagegen. Von den Unionsanhängern lehnen sie 65 Prozent ab, von der SPD 58 Prozent, von den Grünen 34 Prozent.

Ob die Zahlen auch noch so stünden, wenn Modelle, wie die des Potsdam-Instituts verständlicher kommuniziert werden würden? Göpel sagt noch: „Es wäre ja auch mal revolutionär, wenn die Politik die Bürger konsultieren würde, was sie denn mit dem Geld einer CO2-Steuer wollen. Ob man die Abgaben investiert, zurückzahlt und in Projekte einbringt. Oder alles gemeinsam.“