Wettlauf um den CDU-Vorsitz – So schlugen sich die Kandidaten beim ersten Aufeinandertreffen

Auf der CDU-Konferenz starten die möglichen Merkel-Nachfolger ihre Bewerbungstour. Sie versuchen sich inhaltlich abzugrenzen, vereinbaren aber einen „Nichtangriffspakt“.

Den ersten Stimmungstest startet Daniel Günther. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident steht am Rednerpult und heißt als Landesvorsitzender die 800 Gäste in der morbid wirkenden Halle einer ehemaligen Werft im Industriegebiet von Lübeck willkommen.

Dann begrüßt er zuerst: Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Viel Applaus folgt. Er begrüßt den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag 2000 bis 2002: Friedrich Merz. Etwas mehr Applaus. Zuletzt dann nennt Günther das CDU-Präsidiumsmitglied und den Bundesgesundheitsminister: Jens Spahn. Ordentlicher Applaus. Das Rennen um den Parteivorsitz der CDU für die Zeit nach Angela Merkel ist eröffnet. Ausgang offen.

In Lübeck wird Geschichte geschrieben. Die CDU präsentiert erstmals ihre neue innerparteiliche Demokratie, mit der sie nach 18 Jahren unter Merkel eine neue Zeit einläuten will. In jener Stadt, die Willy Brandt hervorbrachte, der das Land 1969 mit dem Slogan „Mehr Demokratie wagen“ elektrisierte. Auf ihrem Wahrzeichen, dem Holstentor, steht auf Latein der Leitspruch: „Eintracht innen und Frieden draußen“. Es soll das Motto des Abends werden.

Die drei Kandidaten der CDU starten in Lübeck offiziell ihre Bewerbungstour durch die Landesverbände der Partei. Sieben weitere Veranstaltungen werden bis Ende des Monats folgen, dazwischen präsentieren sich die Anwärter auf die Nachfolge Merkels als Parteivorsitzende bei den CDU-Vereinigungen, etwa dem Wirtschafts- und dem Arbeitnehmerflügel, den Senioren und der Jungen Union. Viele Telefonate werden sie führen, um Anfang Dezember die Mehrheit unter den tausendundein Delegierten zu erhalten.

Kramp-Karrenbauer: neue Antworten auf neue Herausforderungen

Das Rederecht hat die Moderatorin gerade verlost. Kramp-Karrenbauer hat die Nummer eins gezogen. „Es ist schön, nach der Zuhörtour wieder hier in Lübeck zu sein“, sagt die 56-Jährige und betont damit gleich, was sie unterscheidet von den anderen: Sie ist die Generalsekretärin, sie reist seit einem halben Jahr durch die Partei auf der Suche nach einem neuen Grundsatzprogramm. Es gehe darum, auf die neuen Herausforderungen neue Antworten zu finden. „Die Erneuerung ist schon am Laufen“, sagt sie. Sie will das Erbe Merkels antreten. Deshalb hat sie das Amt der Ministerpräsidentin im Saarland aufgegeben.

„Wir dürfen nicht bange sein“, sagt sie. Die CDU dürfe nicht so lange über die Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 streiten wie die SPD über Hartz IV aus dem Jahr 2003. Kramp-Karrenbauer schlägt vor, nach dem Parteitag in Klausur zu gehen. „Wir müssen klären: Was lernen wir daraus, damit so etwas nie mehr passiert?“ Dann könne die CDU „wieder die Partei der inneren Sicherheit werden“.

Der Vorschlag kommt an in Lübeck ebenso wie die Aufforderung, im Wettstreit fair miteinander umzugehen. „Der politische Gegner ist in den anderen Parteien“, sagt sie. Schließlich gelte es, 2019 Wahlen in Bremen, in Europa und in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zu gewinnen.

So will Merz die Partei führen

Friedrich Merz übernimmt. „Es macht richtig Spaß, wieder dabei zu sein“, sagt der 63-Jährige. Ein lang gezogenes „Oh“ geht durch den Saal, als er noch hinterherschiebt, er habe so etwas wie in Lübeck „vermisst“. Dann dankt er Merkel, jener Frau, die ihn vom Amt des Fraktionsvorsitzenden verdrängte, was er ihr nie verziehen hat und was ein Grund ist, weshalb er heute auf der Bühne in Lübeck steht. Er nennt fünf Punkte, wie er die Partei führen will.

„Die CDU ist eine Partei der Mitte“, betont er. Alle Strömungen müssten Platz finden. „Das macht eine große Volkspartei aus.“ Die CDU müsse für einen „durchsetzungsfähigen Rechtsstaat“ sorgen. Dies sei „ein Markenkern der CDU“. Es gehe auch darum, Wirtschaft, Soziales und Klimaschutz zu verbinden. Das sei schwer. „Soziale Marktwirtschaft heißt für mich persönliche Verantwortung und offene und freiheitliche Gesellschaft“ und einen Staat, „der nicht in der Bürokratie erstickt“. Am Ende seiner zehnminütigen Rede betont er, dass die CDU die Europapartei sei und „eine starke Europäische Union“ fördern müsse.

Spahn fordert den Generationswechsel

Zuletzt spricht Jens Spahn. Er hätte sich Friedrich Merz schon früher in der Partei gewünscht und setzt sich von ihm ab: Er betont, dass er in den vergangenen Jahren 250 Veranstaltungen an der Basis absolviert hat, und zählt gleich ein paar Orte im Norden auf. Er fordert den Generationenwechsel und empfiehlt sich als 38-Jährigen.

Die CDU müsse die Partei der Sicherheit sein, die Partei, die die Digitalisierung gestalte, die die sozialen Sicherungssysteme erhalte und vor allem auch Europa. Zum Schluss erzählt er, dass er am vergangenen Wochenende bei seiner Mutter gewesen sei. Sie habe ihn gefragt, warum er das alles mache. „Mama“, habe er gesagt: Es sei eine „Freiheit, Gelassenheit und Offenheit in den letzten 20 Jahren“ entstanden, die wolle er erhalten und verteidigen. „Das ist meine Antriebsfeder. Genau dafür trete ich an.“

Nach den Reden lässt sich beim Publikum noch kein Favorit ausmachen. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Kandidaten inhaltlich kaum unterscheiden wollen, setzen sie doch auf die Mitte. Gleich werden sie zwei Stunden lang versuchen, die Fragen der Mitglieder zu beantworten.

Angela Merkel fehlt heute. Die Bundeskanzlerin und scheidende Parteivorsitzende hat tagsüber mit ihrem Kabinett in Potsdam getagt und die Zukunft des Landes in den Blick genommen. Schließlich ist „Digitalisierung entscheidend für den Wohlstand von morgen“, wie sie hinterher sagte. Aber natürlich solle bei der Digitalstrategie der Regierung „der Mensch im Mittelpunkt“ stehen, eine Erkenntnis aus den Verlusten bei der Bundestagswahl, weil die Menschen doch eher Angst vor dem haben, was da kommt, als dass sie sich freuen über den Kollegen Roboter.

Nach der Angst fragen auch Mitglieder. Spahn hat an der Digitalklausur teilgenommen. Er referiert, dass mit der Digitalisierung 1,6 Millionen Jobs weggefallen, aber 2,3 Millionen entstanden seien. Ganz richtig ist es nicht: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte die Zahlen als Prognose bis 2025 genannt, also fallen erst noch viele Jobs weg. Spahn ist ein Fan der Digitalisierung und will sie „aktiv gestalten“.

Merz will den Mittelstand an die Hand nehmen, um die Vernetzung der Produktion voranzutreiben, nennt sonst „alles richtig“, was Spahn gesagt hat und warnt vor China. Kramp-Karrenbauer wirbt für den Zusammenhalt und Geld für Forschung und Entwicklung. Bei allem, was geforscht werde, frage sie immer: Wem nützt es? Nur wenn es dem Menschen etwas bringe, mache es Sinn. Es reiße sie „nicht vom Hocker“, wenn das Auto allein fahre. Aber auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto entstünden viele Assistenzsysteme, die dem Menschen helfen, länger selbstständig zu sein.

Da kommt es zur einzigen Intervention an diesem Abend. Er wolle „Lust aufs autonome Fahren machen“, sagt der junge Spahn. Es sei kein eigenes Auto mehr nötig, es komme einfach und hole einen ab. „Es wird passieren“, sagt er. Und es helfe, die eigene Autoindustrie in die Zukunft zu führen. „Wir müssen Digital-Weltmeister sein“, fordert er.

„Demokratie erleben. Zukunft gestalten“, steht an der hellgrauen Rückwand auf der Bühne. Das Rednerpult und der Diskussionsstuhl mit den drei Barhockern sind in Schwarz-Rot-Gold getaucht. Merz steht links, Kramp-Karrenbauer in der Mitte und Spahn rechts.

Die Mitglieder wollen wissen, welche Rolle sie und die Vereinigungen in der Partei in Zukunft spielen. Die Kandidaten wollen sie alle stärken. Vor allem sollen Beschlüsse nicht „im Giftschrank verschwinden, wenn die Beschlüsse dem Parteivorsitzenden nicht gefallen.“ Kramp-Karrenbauer weiß als Dritte kaum „noch etwas Kluges zu sagen“, erklärt sie. Die Kandidaten sind sich auch hier einig.

Die Basis hat sich lange nach innerparteilicher Demokratie gesehnt. Die Gänge sind voll bis nach hinten. Vornehmlich Ältere sind da, was dem Altersdurchschnitt von 60 Jahren entspricht. Eines der vielen Probleme der CDU. Wer keinen der weißen Stühle ergattern konnte, muss sich in der Vorhalle mit einer Sitzgelegenheit begnügen und über einen der Bildschirme die innerparteiliche Demokratie verfolgen. Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler muss bereits für die Veranstaltung in Mainz eine größere Halle suchen.

Sie alle wollen mehr Debatten. Erst müsse die Partei diskutieren, dann die Fraktion, dann die Regierung umsetzten, sagt Kramp-Karrenbauer. Dies sei „die demokratische Reihenfolge“. In der Vergangenheit sei es andersherum gewesen, was alle nur zu gut wissen. Auch Merz fordert eine bessere Diskussion von unten nach oben in einer „Bürgerpartei“. Spahn wünscht sich die „Mitmach-Partei“.

An diesem Abend geht es um die vielen Staus im Berufsverkehr, um Wohnungsbau, Mittelstand und Fachkräfte, um die Bundeswehr. Merz referiert als erfahrener Wirtschaftsanwalt über den Mittelstand und die überbordende Bürokratie. „Da müssen wir mehr tun“, sagt er und fordert gleich noch eine Vereinfachung des Steuersystems. Die Zeit sei über den Leipziger Parteitag 2003 hinweggezogen, als er seine Bierdeckel-Reform vorschlug und dem neoliberalen Zeitgeist folgte. Nun setzt er auf eine Unternehmens- und eine Gewerbesteuerreform.

Auf eine Steuerreform setzen auch Spahn und Kramp-Karrenbauer. „Dann halten wir schon mal als Beschluss von Lübeck fest: Wir wollen die Steuern senken“, sagt Spahn und fügt gleich noch hinzu, den Soli und die Grunderwerbsteuer beim ersten Kauf einer Immobilie abschaffen. Merz hingegen kann mit seinem Spezialthema als ehemaliger Finanzexperte der Fraktion punkten, was Kramp-Karrenbauer nutzt, indem sie sofort vorschlägt, seine Expertise nutzen zu wollen.

Die Kandidaten notieren sich die Fragen und Antworten bei jedem folgenden Themenblock. Irgendwann schlägt Merz vor, dass nur einer eine Frage beantwortet. Es herrscht zu viel Einigkeit, soll doch er über Amerika reden, Kramp-Karrenbauer über China und Spahn über Plastikmüll.

Später geht es noch kurz um die Flüchtlingspolitik, bei der Merz punktet. Er spricht von den „Maßstäben, nach denen wir zusammenleben. Wir sind kein Multikulti-Land.“ Es dürfe auch keine Parallelwelten geben. Es klingt nach seiner Leitkultur, die er einst einforderte. Der Applaus ist ihm gewiss und die Zustimmung Kramp-Karrenbauers ebenso. Sie fordert Regeln, „ob man das Leitkultur nennt oder anders“. Sie lehnt jede „kulturelle Selbstverzwergung ab“, was immer wieder gut ankommt.

Zur Frage, wie sie es mit der Kanzlerin halten, spricht aber jeder für sich. Spahn erklärt, dass er mit der Kanzlerin gut zusammenarbeite, auch wenn es mal Dissens gebe. Merz gelobt Zusammenarbeit und betont den Respekt vor Staatsamt und Leistung. Und Kramp-Karrenbauer betont, dass die Partei es wert sei, gut geführt zu werden, bevor man über die Kanzlerschaft rede.

Kurz vor Schluss fragt jemand die Kandidaten nach ihren Unterschieden und beklagt zu viel Einigkeit, was die anderen Zuhörer mit Applaus bestätigen. Merz stellt klar: „Diesen Spaß werde ich ihnen nicht machen.“ Die Delegierten in Hamburg müssten sich selbst entscheiden. „Wir haben verabredet, dass wir nur gut übereinander sprechen.“

Kramp-Karrenbauer sagt: „Es ist sehr deutlich geworden, dass hier drei Kandidaten stehen, die die große Wertebasis der Union miteinander teilen.“ Jens Spahn indes hebt sich ab: „Natürlich gibt es in der Sache Unterschiede.“ Dazu gehöre die Bewertung der Ehe für alle, die ihm als Homosexueller sehr wichtig sei. Auch die Migrationsfrage sei aus seiner Sicht noch nicht geklärt.

Nach zwanzig Fragen und drei Stunden endet die Runde. Bleibt eine Frage: Bleibt es bei den drei Kandidaten? Andreas Ritzenhoff, Unternehmer aus Hessen, ist extra angereist und läuft durch die Reihen, um Zettel mit seinen Positionen zu verteilen. „Kandidat ohne Rederecht“ sei er, sagt er.

Er hat bis heute keinen Kreisverband gefunden, der ihn nominiert. Nur dann hätte er Rederecht auf dieser und den anderen Regionalkonferenzen. Er hofft noch, dass ein Delegierter ihn auf dem Parteitag vorschlagen wird, damit er kandidieren kann. Heute darf er nur Fragen wie die anderen stellen. Dabei verzettelt er sich und sagt etwas, was wieder Ängste bestätigt. Obwohl er seine Produktion automatisiert habe, unterböten ihn Chinesen. „Was wollen Sie dagegen tun?“, fragt er. Eine klare Antwort gibt es nicht von den drei Kandidaten, wohl aber einen Hinweis: Europa muss mit einer Stimme sprechen. Es ist das, was Kanzlerin Angela Merkel auch seit vielen Jahren predigt.