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Kann Siggi Pop Kanzler?

Sehen wir hier den nächsten Kanzler Deutschlands? (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)
Sehen wir hier den nächsten Kanzler Deutschlands? (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)

Wer fordert Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2017 heraus? Die SPD hält sich bedeckt. Das macht wahrscheinlicher, dass Parteichef Sigmar Gabriel antritt. Er wird überraschen müssen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Bei der SPD gibt es einen Fahrplan, den will man sich nicht zerschießen lassen. Auf einer Klausurtagung Ende Januar 2017, so heißt es, wollen die Sozialdemokraten öffentlich beschließen, wer ihr Kanzlerkandidat wird.

Dieses Timing ruht auf Erfahrung. Die Kandidaten der vorherigen Wahlen, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier, wurden überstürzt präsentiert und wirkten verbraucht, bevor der Wahlkampf endete. Für den nationalen Urnengang im Herbst bildet Anfang Januar das Setting für einen stimmigen Startakkord.

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Wäre da nicht Hannelore Kraft. Die NRW-Ministerpräsidentin bangt um ihre Rot-grüne Koalition und um Gegenwind aus Berlin – wenn im bevölkerungsreichsten Bundesland im Mai gewählt wird, wünscht sie sich einen größtmöglichen zeitlichen Abstand zur offiziellen Kür des SPD-Kanzlerkandidaten; man kann ja nie wissen. Daher gab sie sich gegenüber Journalisten tief blickend, als sie gurrte, sie wisse, wer Kandidat werde, sage es aber nicht.

Seitdem dreht sich das SPD-Karussell schneller.

Drei Anwärter haben die größten Chancen. Da ist Sigmar Gabriel, der als Parteichef ein natürlicher Kandidat ist. Martin Schulz, der langjährige Europapolitiker, ist umtriebig, zielstrebig und beim Wahlvolk beliebt zugleich. Und da ist Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeister hält sich fein zurück, gibt den Elder Statesman und weiß: Seine Größe rührt von der Mischung aus politischer Erfahrung und Erfolgen; er wäre der weiße Ritter, wenn anderes nicht geht.

Aber so verfahren ist die Lage nicht.

Ein Bruder Leichtfuß fürs Kanzleramt?

Mit jedem neuen Tag drängt sich die Frage mehr auf, warum Gabriel eigentlich nicht Kandidat werden sollte. Zweifel an ihm gab es zwar immer, aber er ist einfach nicht weg, sondern immer da. Könnte er also Kanzler?

Man nennt ihn öfters einen Leichtfuß. Er ist ein talentierter Redner, er bringt die Menschen zum Zuhören. Aber zu viele Volten und Meinungsschwünge hat Gabriel in seinem politischen Leben vollzogen, er gilt als wankelmütig.

Das mag ungerecht sein, speist sich indes aus dem Auf und Ab seiner Karriere. Gabriel war junger Ministerpräsident Niedersachsens, Kronprinz von Gerhard Schröder, und scheiterte spektakulär. Als Tiefpunkt galt seine Ernennung als Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs der SPD, seitdem hatte er den Spitznamen weg: Siggi Pop. Darin spiegelte sich alles Flatterhafte, das man ihm anhing.

Aus der Jugendorganisation „Die Falken“ kommend, dem linkeren Verband als der Jusos, versuchte er allzu sehr den sozialistischen Stallgeruch weg zu balsamieren. Gibt sich gern als Manager verstehender Macher. So kassiert er als Wirtschaftsminister mitunter, was er als Umweltminister predigte.

Der Wahlkampf wird rau

Doch Gabriel bringt Eigenschaften mit, die ihn im kommenden Wahlkampf zum geeigneten Kandidaten machen: Er verweist auf langjährige Erfahrung in der Exekutive – regieren kann er. Der Wahlkampf 2017 wird eine Mischung aus Protest, Aufbegehren und Sehnsucht nach Bewährtem sein, alles drei kann Gabriel bedienen.

Protest: Wischiwaschi wird der Wahlkampf nicht. Im Gegenteil. Es wird scharfe Auseinandersetzungen geben. Eine Frontstellung ist die der Liberalen gegenüber Rechtskonservativen bis hin zu Rechtspopulisten. Es geht um die Frage, was faktisch und was postfaktisch ist. Der Ton wird rauer werden, dafür wird die AfD schon sorgen. Gabriel kann bellen. Schon allein aus seiner Auseinandersetzung mit seinem Nazi-Vater ist er sensibilisiert für nationalistische Tendenzen, bezieht Stellung und bleibt dabei.

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Aufbegehren: Der Wahlkampf wird auch wirtschaftspolitisch gesehen stärker voneinander abgegrenzte Lager vorweisen als bisher. Die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitslosen gegen die Entwicklungsforderungen der Arbeitgeber werden sich kantig gegenüber stehen. Es wird eine Unterscheidbarkeit geben wie lange nicht mehr. Es wird eine Art Klassenkampf geben. Gabriel kann den Arbeiterführer machen – er hat den Blick und die Erfahrung dafür.

Bewährtes: Gabriel hat sich nun mehrere Jahre an der Spitze der SPD gehalten, länger als seine Vorgänger; die Sozialdemokraten lieben es nämlich, ihre Häuptlinge kaputt zu reden. Gabriel steht für funktionierende Koalitionen, für Regieren in Krisenzeiten. Totale Unruhe löst er nicht aus. Man kennt ihn.

Sollte Gabriel Kanzlerkandidat werden, und das meiste spricht für ihn, wird er diese drei Kompetenzfelder voll ausschöpfen müssen. Und dabei das Experiment schaffen müssen, dennoch zu überraschen. Es ginge nicht darum, sich neu zu erfinden – sondern darum, das Leichtfußimage abzustreifen und im Gegenzug die Menschen in ihrer Verunsicherung anzusprechen, abzuholen und für sich zu gewinnen. Ein schwieriges Unterfangen. So wie vieles schwierig war in seinem Leben.

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