Karl Lauterbach bei "Hart aber fair": "Gehen in fulminante dritte Welle rein"

Schlimmer hätte es kaum kommen können: Während vieles auf eine dritte Corona-Welle hinweist, wurde die Verabreichung des AstraZeneca-Wirkstoffs ausgesetzt. Frank Plasberg, der eigentlich über die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sprechen wollte, änderte kurzfristig Thema und Gästeliste seines "Hart aber fair"-Talks und fragte provokant: "Impfplan gescheitert?"

Karl Lauterbach, hart aber fair (Bild: ARD / WDR)
Karl Lauterbach sieht den Impf-Stopp mit dem AstraZeneca-Vakzin kritisch. Sollte er über die Prüfung hinaus gar nicht mehr verimpft werden, wäre das aus seiner Sicht "eine Katastrophe". (Bild: ARD / WDR)

"Es war wie ein Nackenschlag", befand Moderator Frank Plasberg eingangs der jüngsten "Hart aber fair"-Sendung, deren Thema kurzfristig an die brisante Nachrichtenlage vom Montagnachmittag angepasst worden war: Mitten in die Debatten um die sich anbahnende dritte Corona-Welle hierzulande platzte die Entscheidung der Bundesregierung, dass Deutschland das Impfen mit AstraZeneca vorsorglich aussetzt. Das Paul-Ehrlich-Institut hatte diesen Schritt empfohlen - nach etwa 1,6 Millionen Impfungen kam es bei sieben Fällen - sechs Frauen und einem Mann im Alter zwischen 24 und 58 Jahren - zu einer seltenen Thrombose in den Hirnvenen.

Unter dem Titel "Stopp für AstraZeneca: Impfplan gescheitert?" bemühte sich die Talk-Runde mit SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, den stellvertretenden "Welt"-Chefredakteur Robin Alexander sowie den Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, um Aufklärung. Dass Wahlkampf-Polemik und Parteipolitik diesmal keine Rolle spielten, tat der Sendung gut.

Internet-Nutzer fordern: Wir wollen Karl Lauterbach als Gesundheitsminister

Wie wichtig eine seriöse Einordnung ist, deutete sich bereits am späten Nachmittag an. Als die "Hart aber fair"-Redaktion die Themen-Neuansetzung auf Facebook ankündigte, kamen binnen weniger Stunden mehr als 3.700 Kommentare unter dem entsprechenden Aufruf an die User, man möge sich mit Fragen an der Diskussion beteiligen, zusammen - selbst für ein populäres ARD-Format wie "Hart aber fair" ein rekordverdächtiger Wert.

Lauterbach: Impfangebot für alle bis Ende September weiterhin möglich

"Uns interessiert Ihre Meinung zu dieser Entscheidung. Finden Sie die Aussetzung richtig? Machen Sie sich jetzt Sorgen, weil Sie den Impfstoff bereits bekommen haben? Wurden Sie erst kürzlich geimpft und fühlen sich jetzt krank? Oder halten Sie diese Entscheidung für falsch? Würden Sie sich trotzdem gerne impfen lassen?" - So hatten es die "Hart aber fair"-Macher formuliert, und aus den meisten Beiträgen der User sprach tatsächlich eine große allgemeine Verunsicherung, aber auch Verzweiflung und Wut brachen sich in der Kommentarspalte Bahn.

Karl Lauterbach: Kompletter AstraZeneca-Ausfall wäre "eine Katastrophe"

Ein Reizthema erster Güte, bei dem es natürlich auch bei dieser wohltuend um Ausgleich bemühten Talkshow-Besetzung nicht ganz ohne Kontroversen abging. Als etwa der zugeschaltete Orthopäde und Unfallchirurg Andreas Gassen auf "gewisse Vertrauensverluste" hinwies, betonte, dass die Bevölkerung "mürbe" sei und konstatierte: "Wir können ja nun nicht das nächste Halbjahr im Lockdown verbringen", blendete Moderator Frank Plasberg direkt zu seinem Studiogast Karl Lauterbach. Und der beharrlich mahnende SPD-Mann spielte mit: Er entgegnete zwar zunächst, dass dies nach seiner Auffassung so nicht passieren werde, aber er machte im Weiteren keinen Hehl daraus, dass ein kompletter Ausfall des AstraZeneca-Wirkstoffs eine "Katastrophe" wäre.

"Dann wären wir zurückgeworfen auf den Biontech- und Moderna-Impfstoff", erläuterte der Epidemiologe - und davon gibt es schlicht zu wenig in der momentanen kritischen Situation: "Wir hätten dann eine relativ schlechte Lage, weil wir gehen in eine fulminante dritte Welle rein, die wir nicht bremsen können", erklärte Lauterbach, der in der Sendung auch betonte, dass er als Gesundheitsminister anders entschieden hätte, als es nun Jens Spahn getan hat: Er hätte die AstraZeneca-Impfung nicht ausgesetzt, machte der Politiker Lauterbach deutlich. Allerdings halte er die Intervention seitens des Paul-Ehrlich-Instituts - aus wissenschaftlicher Sicht - für richtig. Wie er erklärte, gebe es normalerweise rund 50 solcher Thrombose-Fälle pro Jahr in Deutschland. Nun, da sieben Fälle unter 1,6 Millionen Geimpften verzeichnet wurden, sei die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang mit der AstraZeneca-Impfung "überwältigend hoch", so Lauterbach.

"Nicht völlig negativ"

Schärfer wurde es am Montagabend nicht. Für alle vier Gäste des kurzfristig anberaumten ARD-Talks ist es ohnehin gar keine Frage: Sie würden sich nach eigener Aussage nach wie vor mit AstraZeneca impfen lassen. Andreas Gassen meinte, es sei mittlerweile "unstrittig", dass die EU bei der Impfstoffbestellung "ziemlich dilettiert" habe. "Abhaken", sagte er und erläuterte, dass AstraZenaca beim angekündigten Impfkonzept hierzulande ja nicht die Hauptrolle spiele: 13 bis 15 Millionen von insgesamt rund 70 Dosen seien für das zweite Quartal avisiert worden.

Ranga Yogeshwar beeilte sich zudem, darauf zu verweisen, dass "noch neuere, alternative Impfstoffe" hinzukommen würden. Er würde die Situation "nicht völlig negativ" sehen. Die Impfrate sei "dabei, zu steigen". Die vorläufige Aussetzung des AstraZeneca-Vakzins bezeichnete er als richtig. "Mit bekannten Risiken weiter zu impfen, wäre eine Katastrophe", sagte der Wissenschaftsautor bei "Hart aber fair". Auch für den Bürger sorge die Aussetzung für "ein Stück Klarheit, denn es wird genau hingeschaut", so Yogeshwar.

Robin Alexander hatte hingegen weniger Lust, die Sendung allzu geschmeidig ausfaden zu lassen. Ohne, wie er betonte, EU-Bashing betreiben zu wollen, wurde er in seiner Kritik an der für die Impfstoffbeschaffung zuständigen EU-Kommission deutlich: "Die Idee der EU, eigentlich die ganze Welt zu impfen, ist krachend gescheitert."

"Haben alles auf die Impfung gesetzt"

Andreas Gassen machte indes deutlich, was inzwischen als Konsens durchgeht: Das Virus werde nicht mehr einfach so verschwinden. "Wir haben alles auf die Impfung gesetzt. Jetzt wird sichtbar, wie anfällig wir sind", sagte er. Es fehle an parallelen Strategien, nur mit einem Lockdown sei es nicht getan.

Auch Karl Lauterbach mahnte, die Lehren aus der Situation zu ziehen. "Wir müssen dringend eine bessere Vorbereitung für die nächste Impfrunde treffen." Origineller war die vorgelesene Frage eines Zuschauers zur ausgesetzten AstraZeneca-Impfung: "Wo kann ich unterschreiben, wenn ich trotzdem geimpft werden möchte?" - Die Antwort gab Karl Lauterbach prompt: "Zu diesem Zeitpunkt geht das schlicht nicht."

Im Video: Wirbel um AstraZeneca-Impfstoff - Worum geht es?