Karl-Theodor zu Guttenberg - Trump? „Er ist ein veritabler Drecksack, aber wenigstens ein authentischer Drecksack“
Es vergeht keine Stunde, in der uns nicht der erstaunliche Charakter Donald Trumps in den schillerndsten Farben gezeichnet wird - und ich schaue zu. Ist es die Faszination des Tabubruchs? Des Vulgären?
Ich will es mir nicht eingestehen, aber Donald Trump degradiert mich zum Voyeur. Über Jahre habe ich es nicht geschafft, mich der Versuchung zu entziehen, charakterliche Abgründe zu betrachten. Wieder und wieder.
Ist es die Faszination des Tabubruchs? Des Vulgären?
Wollte ich zählen, wieviele Stunden meines Alltags er mir seit 2016 geraubt, vielleicht sogar vergiftet hat, käme ich auf eine erkleckliche Zahl.
Oder reizt mich die Authentizität? Trump verstellt sich nicht.
Trump auf allen Kanälen: Aufmerksamkeit für Narzissten
Mir sagte einmal ein amerikanischer Bekannter, ein Anhänger der republikanischen Partei, als ich ihn fragte, wie man allen Ernstes für einen solchen Menschen – nicht den Politiker – stimmen könnte: „Er ist zwar ein veritabler Drecksack, aber im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens ein authentischer Drecksack. Und damit ungewöhnlich durchsetzungsstark.“
Ich laufe in die Falle einer perfiden Strategie, die auf Aufmerksamkeitsmaximierung ausgerichtet ist. Auf die Erlangung der Schlagzeilenhoheit, die politischen Anstand und gepflegte Debatten ins Schattenreich der Langeweile bugsiert. Gleichzeitig hat er den politischen Skandal durch seine Inflationierung entwertet. Mit der Folge einer nahezu schicksalsergebenen Passivität vieler Betrachter.
Indirekt betreibe ich sein Geschäft. Mit der gezielten Wahrnehmung jeder Grenzüberschreitung.
Ich beklage die Aufmerksamkeit, die er für jede Ausfälligkeit erhält und schenke ihm dieselbe.
Gewiss, die Atemlosigkeit angesichts seines Erscheinens auf der politischen Bühne ist einer gewissen Routine gewichen. Dabei wäre es angebracht, den Blick auf uns selbst zu richten. Auf die Gesellschaft und Medienlandschaft. Es vergeht kein Tag, keine Stunde, in der uns nicht der erstaunliche Charakter Trumps in den schillerndsten Farben gezeichnet wird.
Viele Medien beklagen die Verrohung der Gesellschaft. Einen Präsidentschaftskandidaten, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Zu Recht. Und müssen sich fragen lassen, inwieweit die konstante Berichterstattung jeder Verfehlung Trumps nicht auch von kommerziellem Interesse getragen ist. Die Schutzmauern gesellschaftlicher Verantwortung werden nicht selten durch die Sehnsucht nach Klickzahlen gesprengt.
Derjenige, den sie bekämpfen, sichert ihnen Einkommen. Nicht zufällig brachen nach seiner Abwahl 2020 zahlreiche liberale Medien mit ihren Geschäftsmodellen ein.
Trumps Erfolg begründet sich auch im Verhalten seiner Gegner
Trumps Erfolg begründet sich auch im Verhalten seiner Gegner. Man könnte ihn auch ignorieren. Beginnt doch die Entzauberung eines Narzissten in seiner Vernachlässigung.
Bis dahin bedient er eigentlich einen umgekehrten Voyeurismus. Man betrachtet nicht jemanden, der sich nackt macht, sondern er entblättert uns, entblößt unsere niederen Instinkte und betrachtet es genüsslich.
Der Kaiser ohne Kleider sind plötzlich wir.
Wenn Sie nun sagen, das treffe auf Sie keineswegs zu, so haben Sie doch diesen Artikel gelesen.
Vielleicht ist Trump bald Geschichte. Eine Gesellschaft, deren Symptom er ist, wäre es wohl noch lange nicht.