Karl-Theodor zu Guttenberg - Wegen meiner garstigen Tante: Schlechte Tischmanieren sind für mich ein Dealbreaker

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Karl-Theodor zu Guttenberg.Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

In meiner Kindheit gab es eine gefürchtete Großtante. Zweimal im Jahr schlug sie mit ihrem ockerfarbenen Citroen auf. Meistens auf Krawall gebürstet. Vor allem hielt sie die Erziehung ihrer Großneffen und Großnichten für gescheitert.

Wenn wir Sprösslinge uns in ihren Augen schlecht benahmen, zitierte sie leidenschaftlich - und regelmäßig falsch - Voltaire: „Gesellschaftlich ist kaum etwas so erfolgreich, wie Klugheit mit guten Manieren.“ Eine verbale Ohrfeige für zwei Generationen.

Vorwiegend wurden die Tiraden beim Essen zum Besten gegeben.

„Nimm die Ellbogen vom Tisch.“
„Sitz gerade.“
„Man spricht nur, wenn man gefragt wird.“
Und, an die jeweiligen Eltern gewandt: „Die Kinder müssen aufs Internat.“

Ich wusste damals noch nicht, was „antiautoritär“ bedeutet, aber die Großtante schien sich an den Methoden der Zwischengeneration zu reiben. Selber hielt sie es mit den Regeln nicht allzu genau, was irgendwann meiner damals 5-jährigen Cousine auffiel: „Ich kann Dich nicht verstehen, wenn Du mich mit vollem Mund erziehst.“ Während alle im Raum die Luft anhielten, wünschte die Kleine der alten Dame noch „Guten Appetit.“

Die Indizien desselben fielen meiner Großtante fast aus dem Mund. Meinem Vater ebenfalls - aber vor Lachen. Dabei fanden es auch meine Eltern immer furchtbar spießig, sich „Guten Appetit“ zu wünschen. „Den hat man oder nicht.“

Stattdessen sollte man auf ein Nicken der Gastgeberin warten oder auf den Moment, in dem diese nach dem Besteck greift. Interessanterweise gilt laut Knigge die Floskel heute als überholt, unelegant und, etwa bei Geschäftsessen oder offiziellen Anlässen, sogar als unhöflich. Säßen doch die Gäste meist nicht wegen ihres Appetits am Tisch.

Es ist bemerkenswert, wie elterliche Gewohnheiten und Marotten ein Leben prägen können. Proaktiv wünsche ich bis heute äußerst selten einen wie auch immer gearteten Appetit. Ungehörig wäre es aber, den Gruß nicht zu erwidern.

Während in dieser Situation meinem Vater maximal ein gebrummeltes „Ebenso“ dem Kehlkopf entwich (was bei meiner Großtante bereits Herzflimmern ausgelöst hätte), antworte ich in der Regel „das wünsche ich Ihnen auch“.

Selbst die garstige Tante hinterließ Spuren. Schlechte Tischmanieren sind für mich bei geschäftlichen Meetings oder Vorstellungsgesprächen zuweilen Dealbreaker.

Einige Jahre nach der vollmundigen Episode war unsere Anstands-Nemesis wieder zugegen. Ein etwas älterer Cousin kam aus dem Internat (sic!) und begrüßte die Runde mit einem schallenden „Mahlzeit!“

Die Großtante echauffierte sich wortreich. Wieder musste Voltaire herhalten. Unser Vetter war indes vorbereitet und zitierte die wenig subtile Boshaftigkeit des Aufklärers korrekt: „Gesellschaftlich ist kaum etwas so erfolgreich, wie Dummheit mit guten Manieren.“

Er durfte daraufhin den Raum verlassen. Aus Protest malte er mit einem Filzstift „Beendet die Tyrannei“ auf den (mittlerweile sehr klapprigen) Citroen. Er war lange unser Held. Aber das ist eine andere Geschichte.