Katharina Dröge im Interview - Fraktionschefin erklärt, warum es Grüne in Regierung braucht - und macht Söder-Ansage
Die Grünen gehören zu den Verlierern der Landtagswahlen im Osten, die auch von ihnen geführte Ampel-Regierung im Bund hat viel Vertrauen verloren. Trotzdem gibt sich ihre Fraktionschefin im Bundestag, Katharina Dröge, im Interview mit FOCUS online kämpferisch. Es braucht auch künftig Grüne in der Regierung, meint sie.
FOCUS online: Frau Dröge, welche Lehren müssen die Grünen aus den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ziehen?
Katharina Dröge: Ein Grund für die Ergebnisse ist, dass ein Teil der Grünen-Anhänger dieses Mal CDU gewählt hat – weil sie verhindern wollten, dass die rechtsextreme AfD stärkste Kraft wird. Das hat sich in den Nachwahlbefragungen gezeigt und erklärt ein Stück weit unser enttäuschendes Abschneiden. Natürlich hat aber auch die Bundespolitik im Wahlkampf eine große Rolle gespielt. Das Bild der Ampel, so zerstritten wie sie ist, hat nicht geholfen. Das muss sich ändern, Punkt. Die ewigen Appelle an die Koalitionspartner bringen nichts mehr. Sie sind schon zu oft nicht eingehalten worden. Unser Anspruch ist eine Koalition, die verlässlich, verbindlich und vertrauensvoll arbeitet.
Was lernen die Grünen aus dem Debakel? Wo gibt es Anlass zu Kurskorrekturen und Selbstkritik?
Wir schauen natürlich auch auf uns. Drei Punkte sind wichtig: Wir brauchen mehr Klarheit und mehr Offensive auch bei Themen, die für uns schwierig sind. Zum Beispiel in der Sicherheitspolitik. Nach dem Terror-Anschlag von Solingen haben wir als Grüne-Fraktion im Bundestag ein Konzept vorgelegt, wie man die innere Sicherheit, Terrorismus- und Islamismusbekämpfung stärken kann.
Zweitens: Der Alltag der Menschen gehört viel mehr in den Mittelpunkt unserer Politik. Wir haben als Grüne zu oft so gewirkt, als wären wir zu weit weg. Die Frage: Kommt bei mir im Dorf der Bus? Habe ich einen Pflegeplatz für meine Großmutter? Habe ich als alleinerziehende Mutter einen Kita-Platz? Das sind Fragen, die wir stärker thematisieren müssen. Drittes Thema ist natürlich der Klimaschutz – darum wählen uns die Menschen zuallererst. Wir wollen dafür wieder mehr Enthusiasmus und Aufbruchsstimmung wecken. Es gibt viele gute Ideen, mit Klimaschutz Geld zu sparen oder sogar verdienen!
„Grüne Regierungsbeteiligung enorm wichtig“
Ist es nicht grundfalsch, die Ampelkoalition fortzuführen, obwohl sich das Vertrauen der Menschen in die Regierung pulverisiert hat?
Es ist nicht grüne Haltung, davonzulaufen, wenn es schwierig ist. Im Gegenteil: Dann strengen wir uns doppelt an. Wenn ich auf das nächste Jahr schaue, halte ich ein grüne Regierungsbeteiligung für enorm wichtig. Wir stellen mit Annalena Baerbock eine Außenministerin, die international hohes Vertrauen genießt. Die Lage in Nahost ist zum Zerreißen gespannt, der Ausgang der Wahlen in den USA ist ungewiss, Putin führt einen brutalen Krieg gegen die Ukraine – da braucht es eine stabile deutsche Außenpolitik. Und die Wirtschaft ist dank der Arbeit von Robert Habeck besser durch die Energiekrise gekommen als erwartet
Aber wir sehen doch in Deutschland gerade eine große Wirtschaftskrise! Nullwachstum, Job-Angst bei zehntausenden Menschen, ganz akut bei VW. Der Wirtschaftsminister heißt Habeck.
Die Wirtschaft wächst leider nicht so schnell, wie es notwendig wäre. Auf der Ebene der Bundesregierung haben wir gerade ein großes Wachstumspaket verabredet. Das muss jetzt schnell durch den Bundestag, damit wir Wohlstand und Jobs sichern. Diese Woche hat das Kabinett als Teil davon steuerliche Anreize zur Unterstützung der Elektromobilität beschlossen. Vor dem Hintergrund der schwierigen Lage bei VW ist das wichtig.
„Es gibt natürlich reale Probleme bei der Migration“
Neben den Sorgen um den Arbeitsplatz treibt die Menschen in Deutschland vor allem das Thema Migration um. In Sachsen und Thüringen war es eines der Hauptargumente, die AfD zu wählen. Was sagt Ihnen das?
Es gibt natürlich reale Probleme bei der Migration. Städte und Kommunen fühlen sich nicht ausreichend unterstützt bei der Integration und Unterbringung von Geflüchteten. Darauf weisen wir Grünen immer wieder hin. Wir haben es auf europäischer Ebene auch nicht ausreichend geschafft, einen fairen Verteilungsschlüssel zu verabreden, der dazu führt, dass Flüchtlinge gerecht in Europa verteilt werden. Auch die eigentlichen Fluchtursachen werden nicht ausreichend bekämpft. Daran zu arbeiten, ist enorm wichtig. Denn niemand sollte den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer antreten müssen. Wir dürfen aber nicht in eine Debatte mit schrillen Tönen und nur scheinbaren Antworten abrutschen, wie Friedrich Merz es gerade macht. Seine Vorschläge fallen bei näherer Betrachtung in sich zusammen und funktionieren nicht. Das weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden können – und zerstört Vertrauen in die Politik.
Stichwort Vertrauenskrise: Sind bei den grünen Positionen zum Thema Migration nicht dringend Änderungen nötig?
Es gibt kein Thema, bei dem wir so weit über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinausgegangen sind wie bei der Migration. Wir Grüne haben schon weitreichende und für uns teilweise sehr schwierige Entscheidungen mitgetragen: die Reform des Europäischen Asylsystems, das Rückführungsverbesserungsgesetz, die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer, Regelungen bei der Bezahlkarte – man kann uns nicht vorwerfen, dass wir uns nicht bewegt hätten. Das Problem der aktuellen Debatte ist, dass sie sich nicht auf wirksame Lösungen konzentriert, sondern auf populistische Parolen.
„Wer immer überall nur spart, trägt an den Zuständen eine Mitverantwortung“
Noch einmal anders gefragt: Wo sehen Sie trotz des Grundrechts auf Asyl Potenzial für Verschärfungen?
Die bessere Durchsetzung von Recht ist ein wichtiges Thema. Insbesondere die Probleme im Fall Solingen haben gezeigt, dass die Verfahren für ausreisepflichtige Menschen besser und schneller funktionieren müssen. Der mutmaßliche Täter hätte Deutschland ja schon verlassen haben müssen, seine Abschiebung ist am schlechten Zusammenspiel der Behörden gescheitert. Davon gibt es zu viele Fälle in Deutschland.
Ich kann verstehen, wenn Menschen sagen: Ich erwarte von einem funktionierenden Staat, dass das so nicht vorkommt. Hier müssen Bund und Länder schnellstens Abhilfe schaffen. Dafür brauchen wir aber auch mehr Personal. Die Gerichte und Ausländerbehörden sind völlig überlastet. Wer immer überall nur spart, trägt an den Zuständen eine Mitverantwortung.
Sollten Sozialleistungen für ausreisepflichtige Ausländer komplett gestrichen werden?
Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass es um Menschen geht, die hier Schutz suchen vor Krieg, Vertreibung, Gewalt und Terror, und die zum weit überwiegenden Teil friedlich hier leben. Es ist richtig, und wir sind auch durch unsere Verfassung verpflichtet, denen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewähren. Auch das Bundesverfassungsgericht hat das in einem Urteil bestätigt.
Außerdem gibt es im bestehenden Asylrecht schon Möglichkeiten, für Menschen, die ausreisepflichtig sind, die Sozialleistungen zu reduzieren.
„Der hohe Zuspruch in der jungen Wählerschaft für die AfD alarmiert uns sehr“
Die älteren Wähler bleiben zunehmend weg, die Jungen fühlen sich von der Partei nicht mehr angezogen. Brauchen die Grünen nicht insgesamt tiefgreifende Veränderungen?
Wir haben uns das Ergebnis der Europawahl sehr selbstkritisch angeschaut. Unser Anspruch als Grüne ist Politik für das ganze Land zu machen. Großstadt und Land, jung und alt. Wir wollen alle Milieus wieder besser ansprechen. Dazu gibt es einen Beschluss des Bundesvorstands. Und wir beschäftigen uns auch damit, wie wir wieder mehr junge Wähler begeistern können.
Der hohe Zuspruch in der jungen Wählerschaft für die AfD alarmiert uns sehr. Wir werden darum auch unsere Präsenz auf Tiktok ausbauen. Da hat die AfD Reichweiten, die keine demokratische Partei derzeit hat. Trotz der berechtigen Bedenken um Datensicherheit und chinesische Einflussnahme können wir diese Plattform nicht allein der AfD überlassen.
Junge Menschen gehören aber auch inhaltlich wieder mehr in den Mittelpunkt der Politik – auch wegen einer bisher ausgebliebenen Aufarbeitung der Corona-Zeit, in der sie viele Opfer bringen mussten. Wir haben es verpasst, den jungen Leuten Danke zu sagen. Und heute sind sie in einer Situation, in der sie sich kein WG-Zimmer, keinen Kinobesuch mehr leisten können. Das wollen wir angehen.
Wie erklären sie sich die zum Teil hasserfüllte Stimmung gegen die Grünen im Netz und teilweise auf der Straße?
Es gibt einen Teil von Stimmung gegen Grüne, der sehr stark von rechten und rechtsextremen Kreisen geschürt wird – und auch, das darf man nicht unterschätzen, von russischer Desinformation. Wir Grüne sind für Moskau der Hauptgegner in der deutschen Regierung. Wir stellen die Außenministerin, wir sind die Partei, die am stärksten die Unterstützung der Ukraine im Bundestag vertritt. Wir erleben zunehmend, auch bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen, dass es eine gezielte Beeinflussung durch Desinformation gibt, die von russischen Bots in den sozialen Netzwerken ausgespielt wird und Stimmung gegen die Grünen macht. Das passiert insbesondere über die Telegram-Chats. Dort lassen sich etwa Narrative von „Russia Today“ verfolgen, die dann häufig von der AfD und sogar von der CDU aufgegriffen werden. Ein Beispiel waren die Berichte über Ukrainer, die angeblich nur als Sozialtouristen nach Deutschland kommen. Wir werden darum im Bundestag vorschlagen, eine gemeinsame Taskforce auf Bundes- und Länderebene zur Bekämpfung von Desinformation und Wahlmanipulation einzurichten.
Der Kampf gegen Desinformation und Fake-News ist das eine. Was aber wollen sie an der grünen Außendarstellung verändern?
Ich bin ein großer Fan von mehr Lockerheit und Leichtigkeit, auch in der Politik. Ich glaube, wir kamen zuletzt oft zu ernst rüber. Andererseits müssen wir die faktische Auseinandersetzung mit unseren politischen Mitbewerbern mit mehr Härte führen. Wenn die zum Beispiel behaupten, die Grünen wollten das Grillen verbieten, dann ist das offensichtlicher Schwachsinn, den wir klar und deutlich zurückweisen müssen. Sie werden es nicht glauben: Wir Grüne grillen auch sehr gerne.
Top-Grüne über kommende Ampel-Projekte
Zurück zur Ampel: Welche Themen wollen die Grünen denn noch unbedingt durchbringen?
Die Wachstumsinitiative, die unter Federführung von Robert Habeck als Wirtschaftsminister erarbeitet wurde, muss jetzt schnell kommen. Ebenfalls enorm wichtig: Die Kraftwerksstrategie muss beschlossen werden, damit neue Gaskraftwerke ausgeschrieben werden können, die wasserstofffähig sind. Für Versorgungssicherheit bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energie sind diese wichtig, zum Beispiel im Rheinischen Revier, wo der Kohleaussteig gerade vollzogen wird.
Im sozialen Bereich geht es um die Kindergrundsicherung zur Bekämpfung von Kinderarmut. Und ich erwarte, dass die Bundesregierung endlich die Vorhaben zum Thema Mieterschutz und Begrenzung steigender Mieten auf den Weg bringt, Da ist so gut wie noch nichts aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt worden. Gerade Familien, die in Ballungsräumen mit extrem stark steigenden Mieten leben, warten da zu Recht drauf.
Hält die Ampel bis September 2025?
Ja.
Dröge spricht über schwarz-grüne Koalitionen und über Söder
Wir sind gespannt! Wie auch immer: In Nordrhein-Westfalen regiert Schwarz-Grün. Kann das ein Vorbild für den Bund nach den nächsten Bundestagswahlen sein?
Ein Vorbild für den Bund ist auf jeden Fall die Art und Weise der Zusammenarbeit. Schöne Grüße an Markus Söder, der sich ja immer sehr in Rage redet, wenn es um uns Grüne geht: In NRW arbeiten die Grünen kollegialer und geräuschloser mit dem CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst zusammen, als Söder das mit Hubert Aiwanger in Bayern tut. Diese Art der vertrauensvollen und verlässlichen Zusammenarbeit stellen wir uns auch für unsere nächste Regierungsbildung vor. Wir sind in der Lage, mit allen demokratischen Parteien über eine stabile Koalition zu sprechen.
Friedrich Merz oder Hendrik Wüst – wen hätten sie denn lieber als potenziellen CDU-Partner?
Das wird die Union ja jetzt bald entscheiden. Der Spätsommer, von dem Merz immer als Zeitraum für die Beantwortung der Kanzlerkandidatenfrage gesprochen hat, geht zu Ende. Einen Vorschlag von mir werden Sie aber nicht hören, das wäre schlechter Stil.
Ist es angesichts der schlechten Umfragewerte für die Grünen noch sinnvoll, mit einem Kanzlerkandidaten Robert Habeck in die Bundestagswahl zu ziehen?
Ich finde eine grüne Kanzlerkandidatur sehr sinnvoll. Sollte sich Robert Habeck dafür entscheiden, hat er in jedem Fall meine Unterstützung. Ich bin sicher, dass er das sehr gut kann. Er hat in den letzten Jahren gezeigt, wie man ein Land in der Krise verlässlich führt. Er ist der Richtige dafür. Und was die Umfragen angeht: Die letzte Bundestagswahl hat gezeigt, dass derjenige, der als Dritter ins Rennen gestartet ist, am Ende Kanzler geworden ist. Deshalb sollten auch wir diesen Anspruch nicht aufgeben.