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Kaum noch Munition, Streit um Panzer- und Kampfjet-Lieferungen: Kann die Ukraine Russlands Angriffskrieg noch gewinnen?

Aus Solidarität für die Opfer des russischen Angriffkriegs hängt in Dublin nun eine Zähluhr, die die Todeszahlen anzeigt. Das Foto zeigt den Stand vom 25. Januar. - Copyright: picture alliance/empics/Brian Lawless
Aus Solidarität für die Opfer des russischen Angriffkriegs hängt in Dublin nun eine Zähluhr, die die Todeszahlen anzeigt. Das Foto zeigt den Stand vom 25. Januar. - Copyright: picture alliance/empics/Brian Lawless

Die Ukraine braucht dringend Munition und Panzer, um gegen den russischen Angriffskrieg bestehen zu können – da sind sich die Experten einig. Außerdem hofft Kiew auf die Lieferung von Kampfjets, was die Washington und Paris nicht ausgeschlossen haben. Warschau erwägt, Kiew mit MiG-29-Kampfjets auszustatten, wobei Deutschland hier ein Veto einlegen könnte.

Würden Kampfjets wirklich helfen?

Polens Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, sagte dazu am Montag: "Was die Frage nach Kampfflugzeugen betrifft, so möchte Polen hier keinen Alleingang unternehmen, sondern wir denken, diese Entscheidung sollte einvernehmlich von den westlichen Verbündeten getroffen werden." Nach seinen Worten könnte die Entscheidung über diese Lieferungen durch die Staats- und Regierungschefs auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom 17. bis 19. Februar getroffen werden. Es ist die erste Sicherheitskonferenz seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Aus der Ukraine werden Außenminister Dmytro Kuleba und Verteidigungsminister Olexij Resnikow in München erwartet.

Eine Politik des Zögerns und Zauderns sei wie im Falle der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine kontraproduktiv, sagte Botschafter Pawlos dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Ob Kampfjets strategisch wirklich einen Unterschied machen würden, ist jedoch umstritten. Kiew hat eine eigene Luftwaffe, deren Flugzeuge zum Teil von den Amerikanern so umgebaut wurden, dass sie US-Raketen verschießen und so russische Radaranlagen zerstören können. Der Sicherheitsexperte Christian Mölling etwa ist aus militärischer Sicht eher skeptisch, ob es Sinn ergeben würde, Kampfjets zu liefern. In der Wartung seien diese wesentlich kosten- und zeitintensiver als zum Beispiel Panzer: Es bräuchte eine Landebahn im Westen des Landes, sehr viel Personal und Material, dass man zu den Jets bringen müsste, erklärte er in seinem Podcast "Ukraine: Die Lage".

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich betonte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin": "Die rote Linie ist natürlich, dass Waffen geliefert werden, die sehr stark auch auf russisches Gebiet einwirken können." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte eine Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine abgelehnt. Mölling dazu: "Deutschland ist in dieser Frage fein raus, weil das, was wir liefern können, möchte man der Ukraine nicht wünschen – also dass sie unsere Tornado-Flugzeuge bekommen. Das sind eher Segelflugzeuge, die politische Platzhalter sind, bis wir die neuen, amerikanischen S-35 bekommen, die dann wirklich wieder fliegen können."

Alexander Butenko vermittelt ukrainische Geflüchtete nach Deutschland in Schwarzarbeit.
Alexander Butenko vermittelt ukrainische Geflüchtete nach Deutschland in Schwarzarbeit.

Wie wichtig sind die Panzer-Lieferungen?

Vergangene Woche wurde aber bekannt: Die Ukraine wird voraussichtlich deutlich mehr deutsche Leopard-Kampfpanzer erhalten als bisher erwartet. Nach der Zusage von 14 Leopard 2 der Bundeswehr gab die Bundesregierung am Freitag auch für den Export von Panzern des älteren Typs Leopard 1 aus Industriebeständen grünes Licht. Wie Business Insider erfuhr, soll es sich um 187 Stück handeln. 88 Leopard 1 kommen von Rheinmetall, 99 von der Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft (FFG). Die Zahlen sollen nach Informationen von Business Insider am Dienstag offiziell werden.

Kurz nach der deutschen Entscheidung Ende Januar gaben auch die USA bekannt, der Ukraine 31 Kampfpanzer vom Typ M1 "Abrams" zu liefern. Weitere Panzer sollen aus Finnland, Norwegen und den Niederlanden kommen. Tschechien kündigte an, auf Leopard-2-Panzer, die Deutschland im Zuge eines Ringtausches angeboten hatte, zu verzichten. Zudem kündigten das US-Verteidigungsministerium und die Europäische Union am Freitag weitere Hilfsgeldzahlungen für Kiew an.

"Es wird ein sehr schwerer Frühling"

Laut dem Sicherheitsexperten Christian Mölling werden die Panzer-Lieferungen den Krieg verkürzen. Die Entscheidung komme allerdings zu spät: "Es gibt den bitteren Beigeschmack, dass wir mit der Zeit, die wir verloren haben, auf der einen Seite die Möglichkeit zumindest geschmälert haben, erfolgreich die Frühjahrsoffensive der Ukraine zu unterstützen." In dieser Zeit seien auch Menschenleben verloren worden, was, wenn man früher gehandelt hätte, vielleicht nicht geschehen wäre, sagte der Experte im Podcast.

Der Militärexperte Gustav Gressel vom Europeam Council of Foreign Affairs sieht das ähnlich: "Die Zögerlichkeit des Westens rächt sich bitter. Es ist, war und wird eine Illusion bleiben, den Krieg so steuern zu können, dass er genau auf einer gewissen, für den Westen angenehmen Eskalationsstufe bleibt. Das ganze Gerede vom 'boiling the frog' ist Unfug und soll nur Rat- und Mutlosigkeit überdecken. Es wird für die Ukraine jetzt ein sehr schwerer Frühling."

Es fehlt an Munition – und Brasilien will nicht einspringen

Jetzt, da die Panzer-Lieferung beschlossen ist, steht die westlichen Partner jedoch vor einem anderen Problem: Es fehlt der Ukraine an Munition. Eine Hoffnung von Bundeskanzler Scholz zerstreute sich vergangene Woche. Bei seinem Besuch in Brasilia hatte er den Staatspräsidenten um Munition für den in der Ukraine eingesetzten Flugabwehrpanzer Gepard gebeten – was Lula, der enge Beziehungen zu Moskau pflegt, ablehnte.

Dass sich die Munition für viele Waffensysteme nur mehr "in homöopathischen Dosen" zu bekommen sei, sei schon länger bekannt, sagte Gressel Business Insider. Inzwischen seien aber in den USA, Nord- und Osteuropa, aber auch in Frankreich und ein wenig in Deutschland Maßnahmen zur Ankurbelung der Munitionsproduktion unternommen worden, deren Effekt dieses Jahr spürbar sein werde. So entsteht derzeit eine neue Fabrik des Rüstungsunternehmens Rheinmetall für die Herstellung von Munition in Niedersachsen; die Fertigung soll aber erst im Juni beginnen. Gressel: "Es dauert neue Produktionsstraßen zu bauen. Aber es wird besser werden – je weiter das Jahr voranschreitet."

Was heißt "gewinnen"?

Nach der Definition des ukrainischen Präsidenten Selensky ist der Krieg dann gewonnen, wenn der letzte russische Soldat verdrängt und alle von Russland annektieren Gebiete zurückerobert sind. Das halten Experten derzeit für eher unrealistisch: Die russische Armee hält aktuell 18 Prozent des ukrainischen Gebietes – und kämpft um jeden Meter. "Es ist ein zähes Hin und Her, bei dem es quasi um jeden Meter und um jedes Dorf und jede Dorfmitte geht", beschreibt Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, die aktuelle Lage.

Die Ukrainerinnen Tania (rechts), Anya (Mitte), mit ihren beiden Söhnen, und Julia (rechts) sind nach ihrer Flucht nach Deutschland wieder ihre Heimatorte in der Nähe von Kiew zurückgekehrt.
Die Ukrainerinnen Tania (rechts), Anya (Mitte), mit ihren beiden Söhnen, und Julia (rechts) sind nach ihrer Flucht nach Deutschland wieder ihre Heimatorte in der Nähe von Kiew zurückgekehrt.

Die öffentliche Wahrnehmung über den Kriegsverlauf sei sehr dominiert von großen Ereignissen, "die das Gefühl vermitteln: Oh, das hätten wir von den Ukrainern gar nicht erwartet". Trotz gegenteiliger Ankündigungen der russischen Seite ist der Ukraine seit der Invasion vor fast einem Jahr immer wieder erfolgreich gelungen, Gebiete zurückzuerobern. Inzwischen habe sich die Lage jedoch verändert, so Yusupov, was auch mit der veränderten Taktik auf der russischen Seite zu tun habe, bei der immer breiter Drohnen eingesetzt werden.

Probleme hat Russland vielmehr bei der Mobilmachung, so Gressel: "Es strömen mehr und mehr Soldaten in die Ukraine, hier zeigt sich jedoch: Man kann zwar jungen Menschen ein Gewehr umhängen und sie schnell zu Soldaten machen, aber an Offizieren und Spezialisten fehlt es jetzt schon. Diese auszubilden, dauert länger als ihre Lebenszeit im Krieg. Trotz Nachschub aus der Rüstungsindustrie geht mehr verloren als gebaut wird."

Wie geht es weiter?

Verhandlungen mit Putin um einen Waffenstillstand hält Yusupov derzeit für unwahrscheinlich: "Der russisch-ukrainische Krieg befindet sich in einer Pattsituation – was Moskau auch recht klar sieht. Die außen- und sicherheitspolitischen Berater der russischen Regierung verstehen, dass es keinen maximal Sieg geben kann. Auf der anderen Seite ist es auch unisono klar, dass – so lange Wladimir Putin im Kreml sitzt – die Aufgabe der territorialen Ansprüche, die durch die Okkupation und die Annexion zur Geltung gebracht worden sind, kein politisches Outcome aus diesem Krieg sein können."

Gressels Prognose ist ebenfalls düster, aber mit Unterstützung ihrer Partner könne es noch gut ausgehen für die Ukraine. Den Westen ruft er dazu auf, sich von der Illusion zu lösen, auf eine russische Verhandlungsbereitschaft oder einen Wandel Russlands von innen zu warten: "Putin spielt auf Sieg. Er will den Waffenstillstand höchstens an der polnischen Grenze."

Optimistisch sind die Experten jedoch, dass Kiew mit den nun zugesagten Lieferungen aus dem Westen imstande sein wird, den Status in diesem Jahr stabil zu halten. Yusupov: "Die offene Frage ist, ob es der Ukraine gelingt, die selbst definierten Ziele der weiteren Befreiung von besetzten Gebieten bis zum maximalen Sieg zu erreichen. Dieses Ziel, scheint mir, Stand jetzt, unrealistisch. Denn auch die russische Seite wird nachziehen und hat alles, was sie braucht, um den Krieg am Laufen zu halten."