Werbung

"Sie wird sich keinen Fehler erlauben dürfen": Welches Risiko geht Bundesinnenministerin Faeser mit ihrer Kandidatur in Hessen ein?

Das Bundesinnenministerium in Berlin führen und gleichzeitig Wahlkampf in Hessen machen: Das würde auf Nancy Faeser (SPD) zukommen, wenn sie in Hessen als Ministerpräsidentin kandidiert. - Copyright: picture alliance / photothek | Florian Gaertner
Das Bundesinnenministerium in Berlin führen und gleichzeitig Wahlkampf in Hessen machen: Das würde auf Nancy Faeser (SPD) zukommen, wenn sie in Hessen als Ministerpräsidentin kandidiert. - Copyright: picture alliance / photothek | Florian Gaertner

Als Bundesinnenministerin ist Nancy Faeser (SPD) für eines der wichtigsten Themen im Land zuständig: die innere Sicherheit der Bundesrepublik. Doch nun will sie auch als SPD-Ministerpräsidentin bei der kommenden hessischen Landtagswahl im Oktober kandidieren – und gleichzeitig als Ministerin in Berlin weitermachen. "Ich bin die erste Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums – und ich möchte die erste Ministerpräsidentin in Hessen sein", sagte sie im Spiegel-Interview.

Schon jetzt warnen CDU, FDP und Grüne allerdings vor einer solchen Doppelrolle und bringen Faesers Rücktritt ins Spiel. "Ein Landtagswahlkampf als Spitzenkandidatin fordert die ganze Person, genauso wie das Amt der Bundesinnenministerin – gerade in diesen Zeiten", sagte etwa Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize. Alexander Throm (CDU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, ging noch weiter: "In diesen herausfordernden Zeiten, wo in Europa Krieg herrscht, wo die Sicherheitsbehörden mit Reichsbürgern, Rechtsextremisten und vereitelten Terroranschlägen alle Hände voll zu tun haben, wäre es unverantwortlich, neben einem Wahlkampf auch das Innenministerium führen zu wollen", sagte er. Und: "Deshalb fordere ich sie, wenn sie Spitzenkandidatin wird, zum Rücktritt auf."

Doch muss Faeser wirklich als Bundesinnenministerin zurücktreten oder lässt sich die große Aufgabe als Bundesinnenministerin mit dem Wahlkampf in Hessen vereinen?

Politologin Münch: "Im Ministerium wird man es nicht gerne sehen"

Tatsächlich sind schon vor Nancy Faeser prominente Politiker an dieser Doppelrolle gescheitert. Darunter der ehemalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der als CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen ins Rennen zog. Er verlor die Landtagswahl 2012 und musste später unter Druck der Ex-Kanzlerin Angela Merkel auch seinen Posten als Umweltminister abgeben.

Hinzukommt für Faeser: Die innenpolitischen Herausforderungen sind groß und könnten in der Wahlkampfzeit noch zunehmen – steigende Geflüchtetenzahlen, zuletzt eine Messerattacke in Brokstedt – und der anhaltende Ukraine-Krieg. "Natürlich macht sich die Bevölkerung Sorgen, dass sich Nancy Faeser mit einer Doppelrolle in diesen Krisenzeiten nicht genügend um die innere Sicherheit Deutschlands kümmern kann", sagt Politologin Ursula Münch im Gespräch mit Business Insider.

Doch nicht nur in der Bevölkerung könnte die Doppelrolle von Nancy Faeser umstritten sein: "Im Ministerium wird man es nicht gern sehen, dass die Amtsinhaberin im Grunde eine andere Aufgabe übernimmt", sagt Politologin Münch. Andererseits würde sie ihre hessische Landespartei im Stich lassen, wenn Faeser nicht als Spitzenkandidatin antrete. Es sei deshalb auch ein Pflichtbewusstsein ihrerseits.

Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer schätzt die Reaktion im Ministerium anders ein: "In der Regel ist die Leitungsebene loyal genug, um eine Entscheidung wie die von Faeser mitzutragen. Offen ist jedoch, wie groß das Interesse ist, die Ministerin stolpern zu lassen. Immerhin war das Bundesinnenministerium größtenteils unter CDU/CSU-Führung", sagt er.

Bundesinnenministerin Faeser bringt den Kanzler in eine Zwickmühle

Doch anders als Norbert Röttgen scheint Faeser Rückhalt in den eigenen Reihen zu haben. Sie soll sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darauf verständigt haben, dass sie im Fall einer SPD-Spitzenkandidatur in Hessen erst einmal Bundesinnenministerin bleiben werde, berichtete die "Süddeutsche Zeitung".

Trotzdem bringt Faeser den Kanzler mit ihren Ministerpräsidentinnen-Ambitionen in eine schwierige Situation: "Scholz steckt in einer Zwickmühle", sagt Politikwissenschaftler Neugebauer. Einerseits würde er Faeser auch deshalb unterstützen, weil er froh sein werde, wenn ihn in bestimmten Fällen eine weitere SPD-Ministerpräsidentin im Bundesrat unterstützen könnte. Andererseits, so Neugebauer, würde er sich im Falle ihres Verbleibs im Amt freuen, weil er das dann nicht neu besetzen müsse. Es dürfte in seinem Interesse liegen, im Kabinett jetzt keine größeren Veränderungen vorzunehmen. Immerhin hatte der Kanzler mit Ex-Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) und Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) schon zwei Abgänge in seiner Legislaturperiode.

"Landesverband muss sie unterstützen"

Unabhängig von der Unterstützung durch Kanzler Scholz trauen Politikexperten Faeser die Doppelrolle aber zu: "Sie kann die Rolle gut ausfüllen, wenn der Landesverband sie so unterstützt, dass sie nicht an jeder Ecke Zettel verteilen muss", sagt Politikwissenschaftler Neugebauer. Die SPD-Hessen müsse ihr nur genügend Zeit für die Ministerinnen-Arbeit einräumen.

Politologin Münch teilt diese Einschätzung: "Die Doppelrolle ist machbar, wenn auch nur mit einem hohen persönlichen Aufwand der Ministerin", sagt sie. Im schlimmsten Fall schade sie damit nur sich selbst, weil sie sich überarbeite. Allerdings, fügt Münch an, werde die Ministerin genau darauf achten, nicht zu wenig Zeit für das Bundesinnenministerium zu haben. "Sie wird sich keinen Fehler erlauben dürfen, weil sie unter Beobachtung der Öffentlichkeit und der Opposition steht", so Münch.

Auch Faeser selbst hat keine Zweifel daran, dass sie Ministerin und Wahlkämpferin in Hessen sein kann: Denn wie sie im "Spiegel-Interview" betont, will sie auf den regulären Wahlkampf verzichten: "Wir haben einen furchtbaren Krieg in Europa, die Bedrohungslagen sind groß", sagt sie. Zudem würden die Menschen in Hessen sie kennen, weil sie 18 Jahre lang Landespolitik gemacht hätte. Ihrem Ministerium versichert die SPD-Politikerin außerdem in einem Brief, dass sich weiter der ganzen Bandbreite der BMI-Aufgaben widmen werde. "Darauf werde ich mich weiter konzentrieren", schreibt sie. Außerdem will sie im Amt bleiben, wenn sie den Wahlkampf in Hessen verliert.

Sollte Faeser SPD-Spitzenkandidatin werden, gäbe es einen Dreikampf der bekanntesten hessischen Politiker bei der Landtagswahl am 8. Oktober: Denn neben ihr treten auch der amtierende Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und der Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) an. Dass die frühere SPD-Fraktionsvorsitzende bei einer Wahlniederlage der Sozialdemokraten nur Juniorpartnerin in einer Landesregierung wird oder erneut auf die harte Oppositionsbank im hessischen Landtag zurückkehrt, gilt als schwer vorstellbar.

Mit Material der DPA

Dieser Artikel wurde am 3.2.2023 aktualisiert und erschien erstmalig am 2.2.2023.