„Ich kenne den Kanzler besser“ - Mehr Überheblichkeit gegenüber den Wählern als Lauterbach bei „hart aber fair“ geht kaum
Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind für die SPD grandios verloren. Doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lobt Olaf Scholz voller Überschwang. Schließlich kennt er den Kanzler ja – ganz im Gegensatz zu den Wählern. Wer Gründe für Politikverdrossenheit sucht, sollte sich dieses „Hart aber fair“ anschauen.
Es gibt ja ganz viele Möglichkeiten, nach einer verlorenen Wahl „weiter so“ zu sagen. Karl Lauterbach wählt die wahrscheinlich verblüffendste Form. „Ich finde, dass Olaf Scholz ein sehr guter Bundeskanzler ist“, sagt der SPD-Gesundheitsminister am Montag nach diesem so besonderen Sonntag. Seine Begründung: „weil er mit Bedacht und Vorsicht Probleme angeht“. So viel Lob für den SPD-Bundeskanzler nach so desaströsen Wahlergebnissen für seine Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen? Das bringt sogar den oft eher sedierten Moderator Louis Klamroth in Fahrt.
Mehr Überheblichkeit gegenüber den Wählern geht kaum
In seinem ARD-Talk „Hart aber fair“ hält der Moderator Lauterbach aktuelle Umfrageergebnisse vor. Danach sind 74 Prozent der Sachsen überzeugt: Scholz wird seiner Führungsverantwortung nicht gerecht. Und wie reagiert Gesundheitsminister Karl Lauterbach? Tatsächlich sagt Lauterbach: „Ich glaube schon, dass ich den Kanzler häufiger sehe und besser kenne.“ Noch mehr Überheblichkeit gegenüber den Wählern in Sachsen und Thüringen geht kaum. Da muss sich der Bundesgesundheitsminister noch in der laufenden Sendung die Frage gefallen lassen, ob er nicht selbst inzwischen legalisierte Kräuter nutzt. Lauterbach übrigens schmunzelt, als ihm das vorgehalten wird.
Nein, Lauterbach ist nicht lustig. Er ist noch nicht einmal mehr komisch. Da setzt sich ein Regierungsmitglied allen Ernstes vor die öffentlich-rechtlichen Fernsehkameras – und erzählt den Zuschauern, also: den Wählern, dass sie zu unwissend sind, um die Regierungspolitik zu beurteilen.
Es wird in diesen Tagen viel darüber gestritten, was demokratiefeindlich ist. Ganz sicher undemokratisch ist es, wenn ein amtierender Minister den Wählern sagt, dass sie schlicht zu doof sind. Sonst könnte ja gleich der ach so umfassend informierte Karl Lauterbach die Landesparlamente in Sachsen und Thüringen nach seinem persönlichen Wissensstand zusammensetzen. Mir fällt an dieser Stelle an diesem Abend nur noch der Schriftsteller Erich Kästner ein: „Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“ Wer Gründe für Politikverdruss sucht, der sollte sich dieses „Hart aber fair“ anschauen.
Die AfD profitiert, als sie schon nicht mehr mitredet
Es ist schon verblüffend, wie sehr die AfD dank Lauterbach von diesem ARD-Talk profitiert, als Beatrix von Storch schon aus der Diskussionsrunde ausgeschlossen ist. Einen merkwürdigen Aufbau für diesen Abend hat sich Louis Klamroth mit seinem Team ausgedacht. „Hart aber fair“ beginnt mit einem Duell, so muss man sich das wohl überlegt haben. Der stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion setzt man zum Zwiegespräch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm gegenüber.
Es werden die erwartbaren Positionen ausgetauscht. Thema Fachkräfte: „Die Hochqualifizierten, die wir brauchen, kommen nicht, weil wir Steuer- und Abgabenweltmeister sind“, befindet Beatrix von Storch, „und die, die kommen, brauchen wir nicht.“ Und die Wirtschaftsweise Grimm gibt zur Antwort: „Die Positionierungen der AfD bringen keine Lösungen. Man muss eigentlich eine Willkommenskultur entwickeln – da braucht es Fachkräfte.“
„Unvereinbarkeit“? Alles im Fluss…
Die meiste Strahlkraft für die AfD bringt da noch der leuchtendgrüne Blazer der Beatrix von Storch mit. Die meisten Pluspunkte macht sie, als sie schon nicht mehr an der Diskussion teilnimmt. Da bekommt der Zuschauer eben von Lauterbach erzählt, dass nur er den Bundeskanzler wirklich kennt und nur er seine Politik beurteilen kann. Das ist ein Desaster für die SPD.
Aber auch die CDU kommt an diesem Montag in der ARD nicht gut weg. „Hart aber fair“ spielt den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ein. Der hält zwar irgendwie am Unvereinbarkeitsbeschluss fest, nicht mit der Linke koalieren zu wollen. Einerseits. Anderseits sei „alles im Fluss“. Und er wolle „Thüringen nicht vorgreifen“.
Wird gerade ein Abgeordneter der Linken abgeworben?
Wie viel, sagen wir: Beweglichkeit, das erfordert, zeigt bei „Hart aber fair“ der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion. Thorsten Frei spricht von staatspolitischer Verantwortung – „und auf der anderen Seite haben wir Grundsätze und Werte“. Keine Lösung im Patt von 44 zu 44 Sitzen? Frei bringt eine sehr spezielle Lösung ins Spiel. „Wir hatten immer wieder Übertritte von der Linke zum BSW“, sagt der CDU-Politiker. Und er orakelt noch dazu: „Das kann es geben.“ Gibt es also schon Gespräche, um einen Linke-Abgeordneten zum Seitenwechsel zum Bündnis Sahra Wagenknecht zu überreden? „Das würde mich auch interessieren“, staunt da BSW-Generalsekretär Christian Leye, „nach meinem Wissen ist da nichts im Fluss.“
Der 43-Jährige fügt noch einen Appell hinzu: „Vielleicht wäre es nach so einem Wahltag sinnvoll, den Wählerwillen ernst zu nehmen.“ Und CDU-Mann Frei erkennt: „Extremisten werden dort gewählt, wo die Menschen unzufrieden sind.“ Es steht zu befürchten, dass an diesem Fernsehabend in der ARD noch mehr Menschen unzufrieden geworden sind.