Ketten-Betreiber im Interview - Currywurst-Boss nervt „Gejammer“ der Gastro-Kollegen: „Sturheit ist Ursache der Krise“
Mathias Wolf (45) betreibt eine der größten Currywurst-Ketten Berlins. Der „Curry-Wolf“ kann das „Gejammer“ seiner Kollegen über die Gastro-Krise nicht mehr hören. Für ihn ist sie hausgemacht.
Sie betreiben mit fünf Standorten die größte Currywurst-Kette in Berlin. Zuletzt haben Sie mit einigen steilen Thesen zur Gastro-Krise auf sich aufmerksam gemacht. Nicht nur dass Sie behaupten, Sie seien von der Krise nicht betroffen…
Mathias Wolf: … nein, überhaupt nicht. Das Geschäft läuft. Wo es anderswo Schließungen gibt oder aufgrund von Personalmangel reduzierte Öffnungszeiten eingeführt werden, machen wir genau das Gegenteil. Wir packen zum Beispiel noch Events drauf.
Die Gastro-Krise sei hausgemacht, sagen Sie. Und geben sich genervt vom „Gejammer“ der Kollegen.
Wolf: Stimmt, ich kann es wirklich nicht mehr hören. Ja, die Krise ist hausgemacht.
Das müssen Sie erklären.
Wolf: Nehmen wir die Schweiz, da läuft es für mich vorbildlich. Die Branche hat hier noch ein vernünftiges Ansehen. Keiner grämt und schämt sich, in der Gastro zu arbeiten.
Ist das denn so in Deutschland?
Wolf: Definitiv. Und was machst du so? Wenn als Antwort auf die Frage sowas wie Köchin, Verkäufer im Backshop oder auch Currywurstbudenbetreiber kommt, kommt einfach keine Wertschätzung zurück. Nicht das Oh und Ah, das Ärzte, Juristen oder auch der Typ mit der eigenen Tischlerei ernten. Das Image der Branche hat in den letzten 20 Jahren sehr gelitten. Die Beschäftigten wurden ausgequetscht wie Zitronen. Manches hat fast den Touch von Leibeigenschaft, von moderner Sklaverei. Ich habe das selbst erlebt.
Was genau haben Sie erlebt?
Wolf: Während meiner Ausbildung zum Restaurantfachmann damals in einem Fünf-Sterne-Hotel in Berlin waren 17-Stunden-Schichten keine Seltenheit. In den Neunzigern war das. Seitdem ist es immer schlimmer geworden. Überspitzt sage ich manchmal: Man muss Sklavenhandel mögen, wenn man in die Branche geht. Es gibt viele Kollegen, die sich über junge Angestellte aufregen, die einen geregelten Feierabend wollen.
Was sagen Sie denen?
Wolf: Dass sie sich lieber freuen sollen, wenn der eine vielleicht am Mittwochabend früher gehen will, weil er Fußballtraining hat und die andere jeden Sonntag frei braucht, weil sie alleinerziehend ist und das Kind am Wochenende im Wechsel mit dem Ex-Partner betreut wird. Letzteres ist übrigens häufig der Fall, das betrifft den wohl größten Teil meiner Mitarbeiter. Ich verstehe nicht, wo das Problem ist. Dann arbeitet der eine eben den einen Sonntag und ein anderer den anderen. Ich verstehe nicht, dass viele Gastronomen so stur sind und so tun, als wäre es dem Chef gegenüber Majestätsbeleidigung oder sowas, am Wochenende frei haben zu wollen. Sturheit ist für mich eine der Hauptursachen der Gastro-Krise.
Sturheit in Sachen Arbeitszeitmodelle?
Wolf: Und auch sonst. Viele Gastronomen weigern sich hartnäckig, die moderne Technik zu nutzen. Für Dienstprogramme zum Beispiel. Da werden Tabellen noch mit dem Lineal gezogen. Dabei gibt es wunderbare digitale Personalmanagement-Tools, die sogar Kosten einsparen würden. Und bei den Arbeitszeiten, wieso nehmen die Leute das nicht spielerischer? Die einen wollen Frühschicht, andere lieber Spätschicht. Noch mal, wo ist das Problem? Mitarbeiter sind definitiv deutlich weniger krank, wenn man ihre individuellen Arbeitszeiten berücksichtigt. Das spart viel Geld.
Aber will die Masse nicht Montag bis Freitag von acht bis 16 Uhr in den Job?
Wolf: Das stimmt schon. Aber wenn dem so ist, dann muss ich eben die unbeliebteren Schichten attraktiver machen. Wer in der Nacht arbeitet, muss belohnt werden. Anders findet man keine Leute. Apropos: Ganz schlimm ist auch die Art und Weise, wie Personal gesucht wird. Schon, wie die Anzeigen formuliert sind, ist oft eine Katastrophe.
Was läuft da aus Ihrer Sicht falsch?
Wolf: Suche Mitarbeitenden für Restaurant. Punkt. Das ist oft schon alles. Ehrlich gesagt, da würde ich mich auch nicht bewerben wollen. Ich will doch wissen, worauf ich mich einlasse, wem ich meine Arbeitskraft anbiete. Wo genau befindet sich der Arbeitsplatz? Was wird von mir erwartet? Muss ich da auch sauber machen? Muss ich die Uniform, die ich trage, waschen? Oder übernimmt das eine Reinigungsfirma? Je mehr Informationen, desto besser. Und: Je mehr Wertschätzung zum Ausdruck kommt, desto größer ist natürlich die Chance, dass sich jemand meldet. Klar schreiben wir mit in unsere Anzeigen, dass unsere Leute Abos für den öffentlichen Nahverkehr bekommen. Ich weiß schon, was jetzt gleich kommt… das kommt immer, gerade von Kollegen. Man muss sich sowas aber leisten können…
Was sagen Sie dann?
Wolf: Ich stelle die Gegenfrage: Warum können so viele Gastronomen das wohl nicht bezahlen?
Und? Warum?
Wolf: Weil es ein Überangebot an Restaurationsbetrieben gibt, die zum großen Teil sehr bargeldintensiv arbeiten, ohne Registrierkasse.
Heißt im Klartext?
Wolf: Da läuft ganz viel über Schwarzgeld. Gehen Sie doch mal durch Berlin durch gewisse Straßenzüge. Ich frage mich: Wie viele Leute müssen kommen, um das alles – sorry - aufzufressen? Hier brauchen wir tatsächlich dringend die Unterstützung der Politik. Eine Registrierkassenpflicht würde Wunder bewirken. Kürzlich habe ich die Senatsverwaltung angeschrieben. Einmal den Senat für Finanzen, einmal den für Wirtschaft. „Wir haben hier in Berlin unglaublich viele Sommerfeste, Fanfeste, Jahrmärkte, Weihnachtsmärkte... und fast nirgends werden Registrierkassen geführt“, habe ich geschrieben. Hat der Betreiber nun 1000 Würste verkauft? Oder doch nur 500? Die Angaben sind ziemlich beliebig.
Erklären Sie uns bitte, inwiefern die fehlenden Kassen ein Problem für die Branche darstellen.
Wolf: Es ist doch ganz einfach: Wenn ich illegal Ware kaufe und verkaufe, muss ich auch meine Mitarbeitenden illegal beschäftigen. Das ist ein ziemlicher Rattenschwanz, an dessen Ende meist eine fragwürdige Qualität steht und der dem Image der Branche schadet. Stellen sie sich vor, man würde diese fehlenden Steuereinnahmen für Kitas oder die Schulverpflegung nutzen, statt wie in Berlin diskutiert, diese zu kürzen. Das wäre doch wunderbar.
Was hat die Senatsverwaltung auf Ihre Schreiben geantwortet?
Wolf: Man sei nicht zuständig. Der Senat für Finanzen hat auf den Senat für Wirtschaft verwiesen. Und der Senat für Wirtschaft? Raten Sie mal.
Auf den Senat für Finanzen?
Wolf: Richtig. Man war mal wieder nicht zuständig. Ich habe mich dann an den Regierenden Bürgermeister gewandt. Es hieß, man würde sich bei mir melden. Im Moment warte ich noch.
Inwieweit könnte die verpflichtende Einführung von Registrierkassen die Gastroszene sanieren?
Wolf: Das Überangebot würde ganz schnell eingebremst. Und damit all die defizitären Geschäftsmodelle - die würden ruckzuck über die Wupper gehen. Es käme zu einer Bereinigung. Die Qualität würde steigen. Mitarbeiter würden mehr verdienen und das Ansehen der Branche deutlich zunehmen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich selbst bin in den Neunzigern aufgewachsen und meine Eltern sind nicht jede Woche mit uns essen gewesen. Das war was Besonderes!
Und das ist es aus Ihrer Sicht heute nicht mehr?
Wolf: Nicht wirklich. Also, der Restaurantbesuch muss aufgewertet werden! Wer nichts wird, wird Wirt? So jedenfalls bitte nicht. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn sich das Geschehen auf weniger, aber dafür gute Standorte reduziert. Die schwarzen Schafe müssen verschwinden. Schon allein durch den höheren Durchlauf würden wesentliche Prozesse angeschoben.
Was meinen Sie mit „Durchlauf“?
Wolf: Nun, wenn in einem Restaurant nur alle drei Tage jemand an den Tisch kommt, würde ich nicht unbedingt davon ausgehen, dass ich hier ein ordentliches, frisches Essen bekomme. Bei einer Zapfanlage, durch die nur sehr wenig Bier fließt, wäre ich persönlich vorsichtig… Stichwort Hygiene…
Was raten Sie den jammernden Kollegen? Was sollen sie stattdessen tun?
Wolf: Sich zuerst an die eigene Nase fassen. Auf moderne Technik zurückgreifen. Arbeitsprozesse sinnvoll gestalten und sich in Verbänden wie dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e.V (DeHoGa) oder dem BEN – Berlin Event Network - zusammenschließen. Im Wesentlichen geht es darum, die eigene Sturheit abzulegen. Die Leute sollen sich bitte mal fragen, was für ein Image sie sich für die Branche wünschen. Ein Schmuddel-Schwarzgeld-Image? Oder dass man endlich wieder mit Freude sagen kann, welchen Beruf man macht? Ich für meinen Teil liebe es, Gastronom zu sein. Vielleicht, weil ich meine Rolle verstanden habe.
Was ist denn die Rolle eines Gastronomen?
Wolf: Man ist Gastgeber. Für die eigenen Mitarbeiter und in meinem Fall der Stadt Berlin. Es ist doch toll, wenn Besucher von überall in der Welt sich bei uns wohlfühlen und ich dafür im Zweifel auch mal die Extrameile mehr gehe, statt - wie in der Branche leider üblich - immer gleich den Stift fallen zu lassen. So als wäre das nicht etwas ganz Wunderbares, was wir Gastronomen da grundsätzlich leisten.
Nämlich?
Wolf: Na, wir tun nichts Geringeres, als uns um das leibliche wie fürs seelische Wohl der Menschen zu kümmern. Schauen Sie, manche Gastronomiebetriebe sind sowas wie das Wohnzimmer der Anwohner. Kurz gesagt: Ist der Mitarbeiter zufrieden, ist es auch der Gast. Und dann ist auch der Chef zufrieden. Ist es andersherum, braucht man sich nicht zu wundern.