Machen Sie Ihr Kind mental stark! - 7 Eigenschaften brachten manche Kinder besser durch die Corona-Zeit als andere

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Getty Images/Udo Baer/Claus Koch/FOL

Die Corona-Zeit war für viele Kinder von Ängsten geprägt. Die Welt um sie herum verschwand wie hinter einem Vorhang. Viele litten unter psychischen und körperlichen Symptomen, die nicht allein auf die Krise zurückzuführen sind, sondern oft tiefe Wurzeln in der Kindheit haben. Ein Buchauszug.

Zweifellos ließen sich die Belastungen, denen sich nahezu alle Kinder und Jugendlichen während der Pandemie ausgesetzt sahen, individuell ganz unterschiedlich ertragen und bewältigen. Ihre Freundinnen und Freunde nicht mehr so häufig wie früher sehen zu können, die Schließung von Kitas und Schulen oder nur zeitweiliger Präsenzunterricht, um nur einige Belastungen während der Corona-Zeit zu nennen, machten manchen Kindern und Jugendlichen offensichtlich weniger aus als anderen.

Sie fühlten sich weniger einsam und zurückgelassen und auch weniger ängstlich. Sie suchten aktiv nach Möglichkeiten, die ungewohnte Beziehungsleere, die sie manchmal umgab, zu füllen, und ihre Eltern unterstützten sie dabei mit guten Ideen und Vorschlägen.

Andere aber kamen mit der neu entstandenen Situation weniger oder gar nicht gut zurecht. Sie begannen, an sich und ihren Fähigkeiten zu zweifeln, und die empfundene und auch real vorhandene Kontaktarmut brachte zum Vorschein, was sie schon vor der Pandemie beschäftigt hatte. Wie unter einem Brennglas verstärkte sich während der Pandemie ihr Eindruck, „übersehen“ und „überhört“ zu werden.

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Ohnmachtsgefühle wurden wachgerufen, gegen das Virus nichts ausrichten zu können und ihm hilflos ausgeliefert zu sein. Hierin aber spiegeln sich Beziehungsdefizite, die die meisten von ihnen schon vor der Pandemie erlebt hatten. Corona erweckte sie zu neuem Leben. Elementare Bedürfnisse, die jedes Kind von Geburt an hat, wurden tangiert und tauchten wieder auf, wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat, oft unter anderem und auf den ersten Blick gar nicht zu erkennendem Vorzeichen.

Die folgenden Abschnitte versuchen, den offensichtlich unterschiedlichen Verarbeitungsweisen der Pandemiefolgen von Kindern und Jugendlichen auf den Grund zu gehen. Im Vordergrund stehen dabei frühkindliche Bedürfnisse, die hauptsächlich auf der Beziehungsebene zwischen dem Kind und seinen Eltern Form annehmen und erfüllt werden wollen. Die Beziehungsdynamik, ob sich das Kind in der Welt sicher und gut aufgehoben fühlt, findet hier ihren Ausgangspunkt und hat viel damit zu tun, wie es sich während der Pandemie zurechtfand und wie es sich nach der Pandemie der ihm nun wieder vertraut werdenden Welt erneut öffnen wird.

Kinder brauchen Resonanz

Kinder kommen, wie die moderne Säuglingsforschung gezeigt hat, bereits als soziale Wesen zur Welt. Aktiv suchen sie schon kurz nach ihrer Geburt sozialen Kontakt. Ihre ersten Gesten und Blicke, ihr Lächeln und später ihre ersten Worte suchen die Bereitschaft ihrer Eltern, sie wohlwollend zu behandeln: „Ich brauche euch! Wenn ihr da seid, fühle ich mich sicher und kann die Welt erobern. Dafür suche ich Kontakt mit euch, wann immer es möglich ist.“

Und um diesen Kontakt mit seinen wichtigsten Bezugspersonen aufrechtzuerhalten, setzen Säugling und Kleinkind buchstäblich alle Mittel ein, die Kinder brauchen Resonanz ihnen zur Verfügung stehen: Säuglinge strecken ihre Ärmchen erwartungsvoll nach der Mutter oder dem Vater aus, wenn diese sich über sie beugen und suchen schon früh den Augenkontakt mit ihren Eltern. Sie lächeln sie an und, älter geworden, rufen und plappern sie mit ihren Eltern, um auf sich aufmerksam zu machen. Man muss keine Säuglingsforscherin sein, um das Kind als soziales Wesen zu begreifen. Nahezu alle Eltern wissen darum aus eigener Erfahrung.

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Auf alle seine Gesten, Blicke und Worte erwartet das Kind von seinen zu Beginn des Lebens wichtigsten Bezugspersonen eine Antwort. Was auch für seine weiteren Entwicklungsetappen gilt: Ein Kind will gesehen und gehört werden. Werden Kinder zu oft übersehen und überhört, verstummen oder rebellieren sie. Sie suchen dann nach anderen Wegen, sich bemerkbar zu machen. Jedes Kind sucht nach Resonanz und braucht sie.

Dass die Welt ihm antwortet, erscheint dem Kind zunächst als selbstverständlich, denn sein Überleben hängt in den ersten Lebensjahren und auch noch später davon ab, dass sich ihm nahe-stehende Menschen um es kümmern. Das Kind organisiert sein soziales Handeln aber nicht nur wirksam, sondern auch als wertvoll für den anderen oder die andere. Es versucht immer sein Bestes zu geben, um bei seinem Gegenüber eine positive Resonanz zu erzeugen. Diese Suche nach Resonanz endet nicht mit der Kindheit. Auch Jugendliche brauchen Resonanzerfahrungen, brauchen das Gefühl, gehört und gesehen zu werden. „Ich werde gehört und gesehen“ ist darüber hinaus für alle Menschen eine unmittelbare Erfahrung in der Suche nach ihrer Identität. Angenommen zu werden, wie sie sind.

Finden Kinder und Jugendliche keine Resonanz bei ihrem Gegenüber, vereinsamen sie. Darüber hinaus erzeugen fehlende Resonanzerfahrungen starke Verlustängste. Diese machen sich besonders dann bemerkbar, wenn die erfolgreiche Suche nach Menschen, die sich uns annehmen und unseren Gefühlen öffnen, ausbleibt und sich stattdessen Gefühle von Verlorensein, Einsamkeit und Leere erneut melden. Und genau diese oft schon in der frühen Kindheit entstandenen Gefühle rief die Pandemie bei Kindern und Jugendlichen wieder auf den Plan. Sie fühlten sich, mehr als andere, ihr ausgeliefert. Und gingen entsprechend anders damit um.

Über Urvertrauen und Einsamkeit

Ein Meilenstein in der Entwicklung eines Kindes ist die Fähigkeit, auf die unmittelbare Nähe seiner ihm wichtigsten Bezugspersonen verzichten zu können. Dieser Moment ergibt sich, wenn es nach Vollendung seines ersten Lebensjahres nach und nach den Mut besitzt, sich von Mutter oder Vater zu entfernen, sich etwa auf dem Spielplatz allein aufmacht, hinter einem Busch oder einem Spielgerät verschwindet und den unmittelbaren Blickkontakt zu ihnen verliert. Offensichtlich verfügt es jetzt über das, was die Bindungstheorie eine Art von „innerer Repräsentanz“ seiner Eltern nennt. Das meint nichts anderes, als dass es über ein inneres Bild einer genügend guten Mutter oder eines genügend guten Vaters verfügt, wie der Psychoanalytiker Donald Winnicott es ausgedrückt hat.

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Das Kind hat, gefestigt durch Wiederholungen, die positive Erfahrung gemacht, dass es sich seiner Bezugspersonen sicher sein kann. Nachdem es sich noch ein paar Mal nach ihnen umgedreht hat, vertraut es fest darauf, Mutter oder Vater dort wiederzufinden, wo es sie verlassen hat. Oder wenn sich seine Eltern von ihm vor der Krippe oder der Kita verabschieden, rechnet es fest damit, dass diese später wieder auftauchen und es abholen.

Dieses „Urvertrauen“ brauchen alle Kinder, um immer selbstständiger zu werden und die Welt voller Neugierde zu erobern. Vorangegangene Resonanzerfahrungen spielen dabei die wesentliche Rolle. Die Kinder haben sie für sich verinnerlicht, denn ihr unablässiger Beziehungswunsch wurde von ihrer nächsten Umgebung berücksichtigt.

Auch mit zunehmendem Alter suchen Kinder und Jugendliche noch nach Resonanzerfahrungen bei ihren Eltern oder bei Gleichaltrigen. So war es auch während der Pandemie, im Gespräch mit Eltern oder Freundinnen und Freunden. Solche Gespräche, bei denen man sich und seine Nöte angenommen fühlt, beruhigen. Dann wird das Gefühl, dem Virus hilflos ausgesetzt zu sein, schwächer.

Einsamkeit während der Corona-Zeit war nicht frei gewählt

Fehlende Resonanzerfahrungen aber machen immer einsam. Unerfüllte Beziehungswünsche in der Kindheit verstärken Ohnmachtsgefühle, und die Kinder und Jugendlichen fühlen sich dann, nur allein auf sich Kinder haben existenzielle Bedürfnisse gestellt, innerlich leer, verloren und hilflos. Sie haben viel größere Schwierigkeiten, die Folgen der Pandemie für sich aktiv und mit großer Zuversicht zu bewältigen. Stattdessen entwickeln sie starke Ängste, einer für sie ungewohnten Situation ausgeliefert zu sein, die sie aus eigenen Kräften nicht beenden können.

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Und genau dies unterscheidet die Einsamkeit eines Kindes oder Jugendlichen während der Pandemie von anderen Formen von Einsamkeit, die in manchen Lebenssituationen bewusst gesucht und als angenehm empfunden werden: Die empfundene Einsamkeit während der Corona-Zeit war nicht frei gewählt, sondern fühlte sich wie von außen aufgezwungen an, was sie ja auch war. Hinzu kommt aber wesentlich, dass Kinder und Jugendliche, die darunter besonders litten, dieses Gefühl bei sich schon lange kannten. Der Grund dafür liegt dann oft in der schon lange vor Corona von ihnen erlebten Beziehungsarmut.

Kinder haben existenzielle Bedürfnisse

Der Beziehungswunsch jedes Kindes begleitet alle seine grundlegenden Bedürfnisse, und zwar von frühester Kindheit an. Und tatsächlich hängt von der Berücksichtigung dieser Bedürfnisse vieles ab – eben auch, wie Kinder und Jugendliche mit den Folgen der Pandemie umgehen können. Wenn wir diese existenziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, wie auch immer sie sich bei ihnen ausdrücken, im Folgenden genauer beschreiben, wird ihre bedeutende Rolle im Umgang mit der Pandemie, die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen immer mitgedacht, offensichtlich.

Sieben frühkindliche Erfahrung von sicher gebundenen Kindern

  • (Ur-)Vertrauen: „Wenn ich mich an euch wende, seid ihr für mich da, kann ich mit euch rechnen.“

  • Geborgenheit und Sicherheit: „Hier und bei euch fühle ich mich gut aufgehoben. Die Welt ist für mich sicher.“

  • Anerkennung: „Ich werde gesehen und gehört, also bin ich.“

  • Resonanz: „Die Welt antwortet mir.“

  • Selbstgefühl (Authentizität): „So, wie ich bin, darf ich sein.“

  • Selbstwert: „Ich fühle mich wertvoll und angenommen, unabhängig davon, wie jemand gerade mit mir umgeht.“

  • Wirksamkeit: „Ich kann im Hinblick auf Dinge und Menschen etwas bewirken.“

Kinder, deren Bedürfnisse von diesen positiven Erfahrungen geprägt sind, zeichnen sich durch eine sichere Bindung an ihre bedeutendsten Bezugspersonen aus. Bindungstheoretische Studien haben ergeben, dass etwa Zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen von diesen und ähnlichen Erfahrungen geprägt sind. Was aber ist mit den Kindern, die derlei Erfahrungen nur ungenügend und im schlimmsten Falle gar nicht machen konnten? Spüren wir ihren Empfindungen noch einmal anhand der genannten Bedürfnisse nach.

Sieben frühkindliche Erfahrung von unsicher gebundenen Kindern

  • (Ur-)vertrauen: „Wenn ich euch brauche, finde ich euch nicht, bekomme keinen Zugang zu euch.“

  • Geborgenheit und Sicherheit: „Auf die Welt, in der ich lebe, kann ich mich nicht verlassen.“

  • Anerkennung: „Ich werde häufig übersehen und überhört, so als würde ich gar nicht existieren.“

  • Resonanz: „Die Welt antwortet mir nicht, ich greife immerzu ins Leere. Da ist kein Echo, das ich vernehme, wenn ich in sie hineinrufe. Sieht denn niemand, was gerade in mir vorgeht?“

  • Selbstgefühl (Authentizität): „Ich glaube, so wie ich bin, soll ich nicht sein. Gibt es denn niemand, der mich so mag, wie ich bin?“

  • Selbstwert: „Ich gebe mir doch immer Mühe, euch zu gefallen. Aber so, wie ich bin und behandelt werde, fühle ich mich immer unsicherer. Liegt es vielleicht an mir, wenn ich immer nur Vorschriften bekomme und keiner mich mag und niemand sieht, was in mir gerade vorgeht?“

  • Wirksamkeit: „Ich kann machen, was ich will, da passiert nichts.“

Als die Welt plötzlich unsicher wurde

Wird die Welt für Kinder plötzlich unsicher wie während der Pandemie, drängen sich ihre existenziellen Bedürfnisse wieder in den Vordergrund. Sie wollen sich weiterhin sicher und geborgen fühlen, sie brauchen Antworten auf ihre Fragen, wollen angenommen, gehört und gesehen werden, suchen nach Hilfe bei ihren wichtigsten Bezugspersonen, um mit einer von ihnen bisher nicht gekannten Situation besser umgehen zu können. Gerade weil die Corona-Zeit bei ihnen vorhandene Ängste, Unsicherheiten und ihr Bedürfnis nach Nähe wieder aufleben ließ.

Was das (Ur-)Vertrauen der Kinder in ihre Eltern betrifft, ihr Gefühl für Geborgenheit und Sicherheit, hatten die meisten Kinder und Jugendlichen vor der Pandemie das Gefühl, sich auf ihre Eltern im Großen und Ganzen verlassen zu können, manche mehr, manche weniger. Sicher gebundene Kinder haben in der Regel weniger Angst, sich auf neues und unbekanntes Terrain zu begeben. Sie vertrauen ihren Eltern, die sie anfangs genügend beschützt haben und, wenn sie älter werden, Ansprechpartner für ihre Probleme bleiben, um sie gemeinsam lösen zu können. Ihre sichere Bindung macht sie weltoffen und mutig. Genau davon profitierten sie schon vor, während und wohl auch noch nach der Pandemie. Sie profitieren von ihrer Selbstständigkeit und vom Vertrauen in sich selbst, auch mit schwierigen Situationen umgehen zu können – allein für sich und mit der Hilfe von anderen.

Auch diese Kinder haben Ängste empfunden, was die Krankheit mit ihnen und ihren Nächsten machen könnte, oder quälten sich manchmal mit dem Gedanken, selbst an Corona zu erkranken. Auch sie vermissten ihre Freundinnen und Freunde in der Kita und auf dem Schulhof, und häufig fanden sie dennoch eine Lösung, den Kontakt, so gut es ging, aufrechtzuerhalten. Auch wenn manchmal nur virtuell per Skype oder Zoom – man blieb zusammen und hielt die Beziehung am Leben. Das brachte Erleichterung und das gute Gefühl, in dieser Zeit nicht nur allein auf sich gestellt zu sein. Und ein guter Übergang in die „Nach-Corona-Zeit“ war auf diese Weise bereits angebahnt. Ihre Schulkameraden und Altersgenossen bleiben Gesprächspartner, mit denen sie ihre Erfahrungen in der Zeit von Corona auch später teilen können, und werden ihnen nach Ende der Pandemie endlich wieder ganz zur Verfügung stehen.

Andere Kinder, häufig solche mit unsicheren Bindungserfahrungen, deren elementare Bedürfnisse nach Zuwendung und Resonanz schon in ihrer frühen Kindheit zu oft enttäuscht wurden, trugen die Ängste, die Corona bei ihnen hervorbrachte, schon vor der Pandemie in sich. Besonders diese Kinder werden es nach Abklingen der Pandemie auch weiterhin deutlich schwerer haben, denn ihre Gefühle von Leere, Hilflosigkeit und Verlassensein, die sie schon vor der Corona-Zeit empfanden, wurden durch ihre Erfahrungen während der Pandemie erneut aufgerufen und reaktiviert.