Kinderpsychologin gibt Tipps - Holländische Kinder sind glücklicher und selbstständiger – was ihre Eltern anders machen

Warum sind holländische Kinder so glücklich?<span class="copyright">Getty Images</span>
Warum sind holländische Kinder so glücklich?Getty Images

Eine Unicef-Studie belegt: Kinder in den Niederlanden sind glücklicher als alle anderen. Die Psychologin Veronique van der Kleij glaubt, dass das viel mit der Erziehung zu tun hat – und erklärt, was holländische Eltern anders machen.

Die glücklichsten Kinder Europas leben in den Niederlanden – gefolgt von Dänemark, Norwegen, der Schweiz und Finnland. Das geht aus einer Studie des Kinderhilfswerks Unicef im Jahr 2020 hervor. Deutschland landete mit dem 14. Platz im oberen Mittelfeld.

Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, wie es um die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden von Kindern in 41 Ländern der OECD und der Europäischen Union steht. In der Studie ging es um mentale und körperliche Gesundheit, sowie um soziale und intellektuelle Kompetenzen.

Was können wir von unseren Nachbarn lernen

90 Prozent der holländischen Kinder sind demnach zufrieden mit ihrem Leben. In Deutschland gilt das hingegen nur für 75 Prozent der Mädchen und Jungen. „75 Prozent ist einerseits ein guter Wert, man kann es aber auch umdrehen und sagen: Jedes vierte Kind ist nicht sehr zufrieden“, sagte der Sprecher von Unicef Deutschland in Köln, Rudi Tarneden. „Und das ist im internationalen Vergleich eben gar nicht so gut.“

Grund genug einmal einen Blick über die Grenze in Richtung Holland zu werfen: Was machen Eltern in unserem Nachbarland anders und was können wir daraus lernen?

Die Kinderpsychologin Veronique van der Kleij arbeitet unter anderem an der Internationalen Schule in Den Haag und hat durch den Kontakt mit Familien aus aller Welt einen besonderen Blick auf unterschiedliche Erziehungsansätze. Auf die Frage, warum holländische Kinder so glücklich sind, sagt van der Kleij im FOCUS-online-Gespräch:

„Ich denke, es ist ein recht komplexer Prozess und das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die dazu beitragen, dass niederländische Kinder zu den glücklichsten der Welt gehören. Einer der Faktoren, von denen ich glaube, dass sie einen Einfluss auf das Glück eines Kindes haben, ist die Art und Weise, wie es erzogen wird.“

Diese 6 Dinge machen Eltern in den Niederlanden anders, um glückliche und selbstständige Kinder zu erziehen:

1. Holländische Eltern erlauben ihren Kindern, auch mal zu fallen

„Was die Erziehung in den Niederlanden betrifft, denke ich, dass wir besonders gut darin sind, die Autonomie und Belastbarkeit unserer Kinder zu fördern“, sagt Psychologin van der Kleij.

Das könne man zum Beispiel auf Spielplätzen gut beobachten, wo es völlig normal sei, dass die Kinder frei herumlaufen, ohne allzu sehr überwacht zu werden.

„Auf Spielplätzen sieht man, dass niederländische Eltern im Allgemeinen ihre Kinder unabhängig mit anderen Kindern, oder auch allein, spielen lassen. Sie erlauben ihnen, auch mal zu fallen – damit sie lernen können, sich selbst wieder aufzuraffen.“

Im Allgemeinen würden Kinder in den Niederlanden eher aus der Ferne beaufsichtigt:

„Ein niederländischer Elternteil lässt seinem Kind möglicherweise mehr Zeit, ein Problem zunächst selbst zu lösen, bevor er einspringt, um ihm zu helfen. Wenn wir also auf das Beispiel des Spielplatzes zurückkommen, würde ich sagen, dass die meisten niederländischen Eltern beobachten, was ihre Kinder tun – von einer Bank aus mit einem Cappuccino in der Hand – und dass sie zuerst schauen, ob ihr Kind zum Beispiel einen Konflikt mit einem anderen Kind selbstständig lösen kann, oder ob es sich selbst nach einem Sturz aufrappeln kann, bevor sie zu Hilfe kommen.“

2. Holländische Eltern legen Wert Unabhängigkeit

„Die Niederländer legen in der Regel großen Wert auf Unabhängigkeit und fördern diese bei ihren Kindern, indem sie ihnen beispielsweise schon in jungen Jahren das selbstständige Radfahren beibringen“, sagt die Psychologin.

Die Fahrradkultur sei so tief verwurzelt, dass schon Babys, sobald sie sitzen können, mit dem Fahrrad transportiert werden – und das bei jedem Wetter.

Durch einen Regensturm zu radeln, selbstverständlich mit entsprechender Kleidung – würde Kindern die Haltung vermitteln, dass sie sich den Hindernissen im Leben stellen können, anstatt ihnen auszuweichen.

Viele Eltern würden ihren neun oder zehn Jahre alten Kindern erlauben, alleine mit dem Fahrrad zur Schule oder zu ihren Freunden zu fahren. Diese Freiheit und das Vertrauen der Eltern helfe den Kindern, sich zu autonomen, selbstständigen und selbstbewussten Erwachsenen zu entwickeln.

„Wir neigen auch dazu, unseren Kindern schon früh zu erlauben, altersgerechte Entscheidungen zu treffen, etwa, was ein Kind anziehen möchte oder wie es seine Haare frisiert, beispielsweise ab dem Alter von zwei oder drei Jahren“, ergänzt van der Kleij.

3. Holländische Eltern ermutigen Kinder, ihre Meinung zu sagen

In den Niederlanden beziehen Eltern ihre Kinder häufig in Entscheidungsprozesse ein, sobald die Kleinen in der Lage sind, das Thema zu erfassen und selbstständig zu kommunizieren. So können Kinder schon früh lernen, ihre persönlichen Grenzen zu setzen und zu verhandeln:

„Wir ermutigen unsere Kinder schon in jungen Jahren, ihre Meinung zu äußern und nehmen sie ernst, was sich positiv auf das Selbstwertgefühl und damit das Glück eines Kindes auswirkt“, erklärt die Psychologin.

Das bedeute nicht, dass holländische Eltern immer das tun, was ihre Kinder wollen – „aber im Großen und Ganzen lassen wir unsere Kinder wissen, dass sie gehört werden und ihre Meinung geschätzt wird.“

4. Holländische Eltern schaffen mit Struktur Sicherheit

Niederländischen Eltern wird geraten, ab der Geburt eines Kindes auf „Rust, Reinheid, Regelmaat“ zu achten, was so viel bedeutet wie „Ruhe, Sauberkeit und Struktur“. Das führt dazu, dass die meisten Kinder in Holland einen klaren Tagesplan haben, der eine gewisse Stabilität priorisiert und Berechenbarkeit ermöglicht.

„Niederländische Eltern sind in der Regel gut darin, für Struktur zu sorgen, in der sich alle Kinder wohlfühlen, weil sie Sicherheit für die Erkundung der Welt um sie herum schafft“, erklärt van der Kleij.

5. Holländische Eltern nehmen sich Zeit für ihre Kinder

„Fast 50 Prozent der Arbeitskräfte in den Niederlanden arbeitet in Teilzeit“ erklärt die Psychologin. „Für Eltern, die in Teilzeit arbeiten, bedeutet das, dass sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen können. Außerdem haben ihre Kinder so mehr Möglichkeiten für außerschulische Aktivitäten oder Spielverabredungen am Nachmittag.“

Teilzeitarbeit sei in den Niederlanden gesellschaftlich sehr akzeptiert. „Es ist ganz normal, dass ein Elternteil weniger arbeitet, wenn er Kinder hat. Ich muss sagen, dass es immer noch einen Unterschied zwischen Müttern und Vätern gibt – für Mütter ist es etwas akzeptabler, weniger zu arbeiten – aber dieser Unterschied scheint kleiner zu werden“, erklärt van der Kleij.

Niederländische Väter würden sich außerdem jede Woche mindestens einen Tag freinehmen – ihren „Papatag“ – um ihn mit ihren Kindern zu verbringen.

6. Holländische Eltern achten auf gemeinsame Mahlzeiten

Gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch haben in den Niederlanden einen hohen Stellenwert. Holländische Eltern achten daher darauf, dass sie mindestens eine Mahlzeit gemeinsam mit ihren Kindern einnehmen können. Diese gemeinsame Zeit stärkt die Bindung und fördert den Austausch zwischen Eltern und Kindern:

„Das Gefühl der Verbundenheit verbessert die psychische Gesundheit aller Familienmitglieder und trägt zu glücklicheren und emotional ausgeglicheneren Kindern bei.“

„Es kommt darauf an, die Balance zu finden“

Abschließend hat Psychologin van der Kleij noch einen wertvollen Gedanken. Was Eltern aus anderen Ländern von niederländischen Eltern lernen können? „Ich denke, wir können alle voneinander lernen. Die eine Möglichkeit ist nicht immer die beste, sie muss zu Ihnen als Eltern und als Familie passen. Und am Ende sage ich immer, es kommt darauf an, die Balance zu finden.“