Kino & TV - Olympiasiegerin Kristina Vogel: "Man kann nicht alles planen"
Was für ein Leben: Die ehemalige Bahnrad-Fahrerin Kristina Vogel hat bei zwei Olympischen Spielen Gold gewonnen. Dreimal wäre die heute 33-Jährige fast gestorben. Im Interview erzählt die ZDF-Olympia-Expertin, wie man diese Erfahrungen verdauen und das Beste aus seinem Leben machen kann.
Kristina Vogel gewann bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016 Gold im Bahnradfahren. Seit einem Trainingsunfall im Juni 2018 ist sie querschnittgelähmt. Jetzt kommentiert sie als ZDF-Expertin ihren Sport bei den Olympischen Bahnrad-Wettbewerben (ab Montag, 05.08.) von Paris. Dreimal wäre die mittlerweile 33-Jährige fast gestorben: bei einem Verkehrsunfall 2009, ihrem Trainingsunfall und vor wenigen Wochen, als sie eine Lungenembolie hatte. Wenige Wochen später sprudelt die Erfurterin, die auch als Trainerin arbeitet, geradezu vor Lebenslust und Optimismus. Wie macht sie das? Im Interview erklärt Kristina Vogel, warum Bahnrad eine Mischung aus Achterbahnfahrt und Schach ist, was Olympische Ringe mit dem eigenen Kopf machen und wie sie beim Frühstück mal einen Unbekannten in der Mensa des Olympischen Dorfs traf, der am Ende des Tages Olympiasieger war.
teleschau: Sie hatten eine lebensbedrohliche Lungenembolie im April. Wie geht es Ihnen heute?
Kristina Vogel: Mittlerweile wieder sehr gut. Ich hatte eine Lungenembolie mit vergrößertem Herz. Es war drastisch und hat sich auch sehr ernst angefühlt. Ich bin sofort ins Krankenhaus und habe mich gegen die konservative Behandlungsmethode entschieden, wo man über Monate in der Klinik blutverdünnende Mittel bekommt. Stattdessen wurde ich nach einer neuen Methode operiert, die erst etwa seit einem Jahr in der EU zugelassen ist. Man geht dabei mit einem Katheter über die Leiste in die Lunge und saugt die Thromben dort ab. Das hat gut funktioniert - es war aber auch höchste Zeit. Fast die gesamte rechte Lunge war schon zu, und links sah es auch nicht gut aus. Eine Stunde später wäre ich wahrscheinlich zu Hause am Herztod gestorben.
teleschau: Das hört sich an, als hätten Sie danach erst mal eine längere Reha einschieben müssen. Wie kommt es, dass Sie jetzt schon wieder bei Olympia fürs ZDF kommentieren?
Kristina Vogel: Ganz ehrlich, die OP hat so gut funktioniert, dass ich danach direkt dachte: "Ach, eigentlich fühle ich mich wieder ganz normal." Ich wollte nach Hause gehen. Aber klar, ich musste eine Woche im Krankenhaus bleiben. Man sollte darüber, was mir passiert ist, auch nicht scherzen. Nach einer Ruhephase mit einem Urlaub von drei Wochen fühle ich mich jetzt wieder wie ein junges Reh.
"Man erlebt G-Kräfte wie in der Achterbahn, nur dass man die Achterbahn selbst betreibt"
teleschau: Sie sind 33 Jahre jung und haben schon mehrere Momente im Leben hinter sich, in denen Sie hätten sterben können. Was macht das mit Ihnen?
Kristina Vogel: Ein befreundeter Journalist sagte mal zu mir, ich wäre wie eine Katze mit sieben Leben. Allerdings habe ich jetzt schon drei davon verbraucht. Dann hätte ich jetzt noch vier. Aber im Ernst: Ich will noch lange leben und sollte mal langsam anfangen, mir Leben aufzusparen (lacht). Andererseits waren all diese Momente, in denen es Spitz auf Knopf stand, von mir unverschuldete Ereignisse. Zuletzt hatte ich eine Gerinnungsstörung aufgrund eines Medikaments, das ich nicht vertragen habe. Davon wusste ich vorher nichts, jetzt achte ich darauf. Man kann nicht mehr tun als achtsam zu leben und gut mit sich umzugehen. Manchmal ist es eben, wie es ist. Man kann nicht alles planen und schon gar nicht: ein sicheres Leben.
teleschau: Haben Sie mehr Angst als früher?
Kristina Vogel: Nein, was ich eben gesagt habe, spiegelt schon auch meine Lebenseinstellung wider. Ich schaue immer zuversichtlich nach vorn, das ist meine Natur.
teleschau: Kommen wir zu Olympia, wo Sie die Bahnrad-Wettbewerbe kommentieren. Worin besteht die Faszination dieses Sports?
Kristina Vogel: Es ist die Geschwindigkeit. Frauen erreichen auf der Bahn über 70 Stundenkilometer. Männer kommen sogar auf über 80. Da werden im Schnitt 2000 Watt produziert, zum Betrieb eines Toasters würde das locker reichen. Zum Geschwindigkeitsrausch kommt noch Taktik hinzu, die fast ans Schachspielen erinnert. In der Kurve erlebt man G-Kräfte wie in der Achterbahn - nur dass man die Achterbahn selbst betreibt. Und nebenbei spielt man ein bisschen Schach. Für mich ist Bahnrad eine der komplexesten Sportarten der Welt.
"Außer Fußball und vielleicht noch Biathlon und Tennis sind alles andere Randsportarten"
teleschau: Warum ist der Sport dann nicht noch attraktiver im Sinne der Vermarktung?
Kristina Vogel: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn wer einmal in der Halle bei den Rennen dabei war, würde die Frage nicht stellen. Vor Ort ist die Faszination sofort spürbar. Aber es gibt natürlich auch Hürden, wenn man ins Thema reinkommen will. Das Regelwerk ist mitunter kompliziert, und es gibt viele unterschiedliche Disziplinen auf der Bahn, die man erst mal unterscheiden lernen muss. Aber dafür sitze ich ja am Mikrofon, um das zu erklären.
teleschau: Früher hatte Bahnrad ein höheres Standing in der deutschen Gesellschaft, da gab es die berühmten Sechstagerennen, das waren Publikumsmagneten. Was ist geschehen, dass Ihr Sport - abseits von Olympia - heute weniger Interesse weckt?
Kristina Vogel: Man kann sagen, dass in Deutschland abseits vom Fußball und vielleicht noch Biathlon und Tennis alles andere Randsportarten sind. Um Top-Leistungen zu bringen, für die man ein entsprechendes Leben führen muss, braucht es die Sportfördergruppen der Bundeswehr oder Polizei, um dem Job auf höchstem Niveau nachgehen zu können. Ich bin ja auch bei der Bundespolizei. Trotzdem: Bahnradsport ist eines der Events - auch bei Olympia - das am schnellsten ausverkauft ist. Die Sportart ist hochattraktiv. Und bei den Großwettbewerben schauen in Deutschland schon mal 15 Millionen Menschen in der Spitze zu. Das ist natürlich ein überragender Wert.
teleschau: Weil es attraktiv für die Zuschauer ist?
Kristina Vogel: Ja, ich finde sogar, dass Bahnrad gegenüber Straßenradrennen deutliche Vorteile aufweist. Beim Straßenrennen stellt man sich an die Strecke und sieht die Fahrer einmal im Höllentempo vorbeihuschen. In der Halle sieht man das gesamte Feld die ganze Zeit mit den eigenen Augen und spürt die Geschwindigkeit. Ich kenne niemanden, der bei einem Bahnradrennen war, aus der Halle geht und sagt: "Das war langweilig." Stattdessen hört man es brettern übers Holz, spürt die Geschwindigkeit und ist davon ziemlich elektrisiert.
"Ich bin eben Bahnrad-verrückt, da sieht man wenig Tageslicht"
teleschau: Wie viele Groß-Events pro Jahr haben die Fahrerinnen und Fahrer?
Kristina Vogel: Man hat Olympia alle vier Jahre, Weltmeisterschaften finden jährlich statt, und dazu kommen mindestens drei Weltcup-Rennen pro Saison. Dann gibt es noch Sonder-Events wie den Großen Preis von Deutschland, der in diesem Frühjahr in Cottbus stattfand, danach gab es noch ein großes Rennen in Erfurt. Man findet auch in Deutschland ganzjährig international besetzte Turniere. Da sind dann vielleicht nicht 20 Nationen am Start wie bei einer WM, sondern fünf bis zehn Nationen. Die internationale Bahnrad-Gemeinde misst sich schon regelmäßig miteinander. Langweilig wird es einem als Aktiver oder Trainer in diesem Sport nicht. Nur - es berichtet eben kaum jemand von diesen Events.
teleschau: Die Bahnrad-Wettbewerbe füllen in Paris die zweite Olympia-Woche. Werden Sie Zeit finden, sich andere Sportarten anzuschauen?
Kristina Vogel: Ich fürchte, nein. Ich komme erst am Tag vor Wettbewerbsstart in Paris an. Dann habe ich kurz Zeit, um mich vorzubereiten, und es geht direkt los. Die Tage sind beim Bahnrad leider sehr lang, da gibt es für mich keine Freizeit. Sicher, natürlich berichtet auch die ARD, und an diesem Tagen bin ich nicht im linearen Fernsehen. Der ZDF-Live-Stream geht aber weiter - und da habe ich dann auch den ganzen Tag zu tun. Zumindest vier bis fünf Stunden täglich sind wir online drauf. Das ist eine hochintensive Arbeit, danach ist man fix und fertig. Ich fürchte, dass ich von anderen Wettbewerben oder Paris wenig sehen werde.
teleschau: Tut das nicht ein bisschen weh?
Kristina Vogel: Na ja, ein bisschen. Aber ich bin eben Bahnrad-verrückt, da sieht man wenig Tageslicht. Trotzdem glaube ich, dass ich ein bisschen was von Olympia mitbekommen werde, da ich ja in der Stadt bin. Außerdem läuft nebenbei der Live-Ticker von den anderen Events. Ich war schon zweimal bei Olympia als aktive Athletin. 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro. Das waren auf jeden Fall unvergessliche Wochen, gerade wegen der anderen Sportarten, die man da auf höchstem Niveau in sehr besonderer Atmosphäre verfolgen kann.
"Olympische Ringe sind wie ein wahr gewordenes Märchen"
teleschau: Wenn Sie sich drei Sportarten aussuchen könnten, für die Sie Zeit und Tickets bei Olympia bekommen würden, welche wären das?
Kristina Vogel: Ich mag Turnen sehr gerne und würde mir da die Wettbewerbe der Frauen aussuchen. Dann müsste ich mich vielleicht zwischen Rudern und Kanu entscheiden, das finde ich an der Strecke ebenfalls sehr faszinierend. Außerdem kenne ich einige aktive Athleten zum Beispiel aus dem Deutschland-Achter. Aber auch so jemanden wie Sebastian Brendel im Kanadier würde ich gerne mal sehen. Als dritte Sportart würde ich mir vielleicht mal das Speed-Klettern ansehen. Das ist hochattraktiv und total faszinierend, wie die Menschen da die Wände hochfliegen. Ich war mal live dabei im München bei so einem Wettbewerb - unglaublich. Aber es ist schon hart, nur drei Sachen nennen zu dürfen. Denn natürlich wäre ich auch mal gerne beim Handball oder Basketball.
teleschau: Wie unterscheidet sich Olympia atmosphärisch von andere großen Sportwettkämpfen - aus Sicht einer Aktiven?
Kristina Vogel: Es gibt da ganz klar einen Unterschied, obwohl der erst mal gar nicht so leicht zu greifen ist. Schließlich macht man das, was man immer macht: seinen Sport. Auch die anderen Personen, die man da trifft, sind meistens die gleichen. Doch die olympischen Ringe, die da auf der Tartanbahn aufgemalt sind, die du auch auf deiner Akkreditierung oder den Klamotten hast, die machen etwas mit dir. Alles ist größer, bedeutender, geiler. Olympische Ringe sind wie ein wahr gewordenes Märchen. Natürlich ist auch mehr Druck da, weil man sich auf diesen einen Moment ein Leben lang vorbereitet. Aber das Magische überwiegt.
teleschau: Das Leben im Olympischen Dorf stelle ich mir besonders vor. Läuft man da den ganzen Tag herum und hofft, den großen Stars am Tisch nebenan beim Frühstück zu begegnen?
Kristina Vogel: Das Leben im Dort ist besonders. Da gibt es ja immer eine Mensa, die ist so groß, dass man sich einen Raum dieser Größe eigentlich gar nicht vorstellen kann. Und trotzdem existiert dieses ungeschriebene Gesetz, dass man sich mit den anderen Olympioniken aus dem eigenen Land in einem Bereich oder einer Ecke zusammenfindet. Da sitzt man dann am Tisch und denkt: "Ach, der ist Deutsch - mit dem kann ich quatschen". So macht man die interessantesten Begegnungen. 2016 habe ich am Tisch jemanden kennengelernt, der war mir vorher unbekannt - und am Ende des Tages stelle ich fest: Er ist Olympiasieger im Diskus geworden (lacht). Es war Christoph Harting. So etwas passiert dir nur bei Olympia.