Der Anruf, der ein Jahrhundert-Fiasko verhinderte
Die internationale Politik hat einen ihrer bedeutsamsten und umstrittensten Strippenzieher verloren - der auch bei einem der größten Sportereignisse des vergangenen Jahrhunderts eine maßgebliche Rolle gespielt hat.
Henry Kissinger, im Alter von 100 Jahren verstorbener Ex-Außenminister der USA, war einst der Mann, der das legendäre WM-Duell der Schachgroßmeister Bobby Fischer und Boris Spasski möglich gemacht hatte - nach das exzentrische US-Genie Fischer den Wettstreit mit seinem sowjetischen Rivalen beinahe hätte platzen lassen.
Bobby Fischer vs. Boris Spasski: Schach-WM wäre fast geplatzt
Zur Erinnerung: Fischer hatte sich im „Match des Jahrhunderts“, das am 1. September 1972 sein Ende fand, in der isländischen Hauptstadt Reykjavik als erster US-Amerikaner zum Schach-Weltmeister gekrönt - nachdem der Titel zuvor Jahrzehnte lang in den Händen des kommunistischen Klassenfeinds gelegen hatte.
Der Zweikampf wurde 1972 inmitten des Kalten Kriegs wurde zum Duell der Systeme stilisiert und zog weltweit Menschen in seinen Bann, die sich ansonsten wenig für Schach interessierten.
Ein Garant für die große Aufmerksamkeit war die zwiespältige Persönlichkeit des in Chicago geborenen Fischer - der schon vorab die Schlagzeilen an sich gerissen hatte.
Der damals 29 Jahre alte Fischer lieferte sich mit dem Weltverband FIDE zähe Verhandlungen, es ging ums Preisgeld, seinen Anteil an den Einnahmen der TV-Übertragung und andere Details. Fischer trieb es so weit, dass er die Anreise nach Island so lange verweigerte, dass sogar die Eröffnungsfeier der WM ohne ihn stattfand. Der Beginn der Matchserie wurde um zwei Tage verschoben, weil keine Lösung gefunden wurde. Anstelle eines Jahrhundert-Ereignisses drohte ein Jahrhundert-Fiasko.
Henry Kissinger schaltete sich per Telefon ein
Fischers als erratisch empfundenes Verhalten wurde auch in seiner Heimat zur Staatsaffäre, so dass am Ende auch Kissinger sich einschaltete, damals mächtiger nationaler Sicherheitsberater des ebenfalls berühmt-berüchtigten US-Präsidenten Richard Nixon.
Der in Fürth geborene Kissinger, selbst passionierter Schachspieler, ließ sich ein Telefonat mit Fischer vermitteln, als er nach eigenen Angaben „das Wohl der Nation“ in Gefahr sah. Der Legende nach meldete sich Krisendiplomat Kissinger - als Fan der SpVgg (Greuther) Fürth auch dem deutschen Fußball verbunden - mit den Worten: „Hier spricht der schlechteste Schachspieler der Welt und möchte den besten sprechen“.
Es folgten Appelle an die patriotischen Pflichten Fischers, die einen Beitrag dazu leisteten, dass Fischer umschwenkte. Einen weiteren Beitrag leistete der britische Investment-Banker Jim Slater, der das WM-Preisgeld verdoppelte.
Fischer reiste doch zum großen Duell der Systeme an und obwohl es noch diverse weitere Wirren gab, siegte Fischer am Ende nach unfassbaren 21 Partien mit 12 1/2 zu 8 1/2 - und schwang sich damit zum umjubelten Nationalhelden auf. Wobei sich im weiteren Verlauf der Geschichte zeigte, dass er für diesen Job nicht geschaffen war.
Fischer fiel nach dem Ende als Weltmeister tief
Fischer, der zu Jähzorn und Wutausbrüchen neigte, sollte seinen Titel niemals verteidigen und bekam ihn schließlich nach weiteren Streitigkeiten mit FIDE aberkannt, zog sich immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurück. Als er viele Jahre später dann wieder ins Scheinwerferlicht trat, wurde er endgültig zur tragischen Figur.
1992 trat Fischer auf der jugoslawischen Insel Sveti Stefan zu einem Rückkampf gegen Spasski an - inmitten des Bürgerkriegs und in einem offenen Verstoß gegen das von seiner Heimat verhängten Wirtschaftsembargo gegen Jugoslawien verstieß.
Fischer entzog sich der drohenden Verhaftung, indem er nicht mehr in die USA zurückreiste, er entwickelte sich zum geächteten Verschwörungstheoretiker, der den Holocaust leugnete, die Terroranschläge des 11. September guthieß und in seinen letzten Lebensjahren zunehmend verwirrt und verwahrlost wirkte.
Fischer starb am 17. Januar 2008 an den Folgen eines Nierenversagens.