Klassische Täter-Opfer-Umkehr: Nach einem wahren Entführungsfall
2017 wurde das britische Model Chloe Ayling Opfer einer Entführung. Nach ihrer Freilassung äußerten die Medien Zweifel an ihren Aussagen, man warf ihr eine PR-Inszenierung vor. Die BBC-Miniserie beschreibt Aylings Perspektive und übt Kritik an jenen, die Menschen allzu schnell vorverurteilen.
Perfekt gestylt, in knappen Shorts und engem Top steht die 20-jährige Britin Chloe Ayling im Vorgarten ihrer Mutter und wirft sich für die Pressemeute hinter dem Zaun in Pose. Sieht so ein Opfer aus, eine junge Frau, die entführt, mehrere Tage von einem Mann festgehalten wurde und um ihr Leben fürchten musste, wie sie gerade in ihrem Statement verlesen hat? Offenbar nicht, wenn es nach den Medien geht, welche die junge Frau fortan als Lügnerin darstellen, die ihre Entführung aus PR-Gründen selbst inszeniert habe.
Die sehenswerte sechsteilige BBC-Serie "Kidnapped: The Chloe Ayling Story" (ab Montag, 4. November, ZDFmediathek) erzählt nun die wahre Geschichte der Britin aus deren Perspektive und versucht, mit anhaltenden Falschdarstellungen aufzuräumen, "weil viele Dinge von den Medien damals nicht erwähnt wurden", sagt Ayling. "Wichtige Merkmale und Teile der Geschichte wurden ausgelassen. Ich wollte, dass die Menschen alle Fakten kennen und sich dessen bewusst sind, und deshalb bin ich sehr froh, dass die Serie sie beinhaltet." Daher arbeitete Ayling eng mit der Drehbuchautorin Georgia Lester zusammen. Die dargestellten Ereignisse "basieren auf umfangreicher Recherche, Polizeivernehmungen, Gerichtsprotokollen und persönlichen Aussagen", heißt es zu Beginn jeder Episode. Einige Szenen und Charaktere seien aus dramaturgischen Gründen hinzugefügt worden.
Ein Fototermin entpuppt sich als Falle
Sommer 2017. Das Glamourmodel Chloe Ayling (toll: Nadia Parkes) wird für ein vermeintliches Fotoshooting nach Mailand eingeladen, am verabredeten Ort von zwei Männern überwältigt, betäubt und in ein abgelegenes Bauernhaus verschleppt. Dort wird sie von einem Mann, der sich MD (Julian Świeżewski) nennt, bewacht. Er behauptet, für die gefährliche Mafiabande "Black Death" zu arbeiten, die Chloe als Sexsklavin im Darknet versteigern werde. Doch Chloe könne sich für 300.000 Euro freikaufen. Wenn sie etwas sage, werde man ihrer Mutter und ihrem Kind etwas antun, "Black Death" überwache jeden ihrer Schritte.
Die völlig verängstigte Chloe glaubt MD. Als sie erkennt, dass er sich zu ihr hingezogen fühlt, spielt sie ihm ebenfalls Gefühle vor, in der Hoffnung, dass er ihr hilft. Auch das werden ihr die Medien nach ihrer Befreiung vorhalten, ebenso wie die Tatsache, dass sie nicht nach Hilfe rief, als sie mit MD im Ort Schuhe kaufen ging. Ein Vorwurf, den man übrigens auch anderen Entführungsopfern gerne macht, man erinnere sich an Natascha Kampusch.
Erst nach ihrer Freilassung erfährt Chloe: Alles was MD, der in Wahrheit Lukasz heißt, ihr erzählte, war eine Lüge. Er handelte aus eigenen Stücken, zusammen mit seinem Bruder. Beide werden 2018 zu mehreren Jahren Haft verurteilt.
Medienschelte und Einladung, "Vorurteile und Sexismen kritisch zu hinterfragen"
Zurück in England kommt es zur zu Beginn beschriebenen Szene im Vorgarten von Chloes Mutter. Ihre Freilassung liegt zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Wochen zurück, äußerlich hat sich die 20-Jährige erholt, wie es in ihrem Inneren aussieht, Details der Entführung interessieren die Sensationsreporter nicht, das Bild der Lügnerin wird immer weiter verbreitet. Warum glaubt man Chloe nicht? Weil sie ein hübsches Model ist, sich aufstylt und lächelt?
"'Kidnapped: The Chloe Ayling Story' beschäftigt sich mit patriarchaler Gewalt, Slutshaming und Täter-Opfer-Umkehr und hinterfragt zudem die Rolle der Medien im Umgang mit diesen Themen", sagt Hanna Lauwitz, stellvertretende Senderchefin von ZDFneo, wo die sechs Folgen ab Sonntag, 17. November, auch linear ausgestrahlt werden. Dadurch lade "die Serie auch dazu ein, eigene Vorurteile und Sexismen kritisch zu hinterfragen".