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Klaus Lemke war ein glückliches Flüchtlingskind

Klaus Lemke dreht weiter Filme. Foto: Ursula Düren

Eigenwillig und provokativ - seit einem halben Jahrhundert lenkt der Regisseur Klaus Lemke den Blick auf soziale Brennpunkte und kämpft gegen eingefahrene Strukturen im Filmgeschäft.

Ab Ende Oktober will er einen neuen Film drehen. «Über einen stark missbrauchsanfälligen Filmregisseur, der auf der Suche nach seiner verschollenen Tochter in der Karibik zum Voodoomonster LeCrit mutiert. Kafka reloaded», sagte Lemke, der am 13. Oktober 75 Jahre alt wird, in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Was bedeutet Ihnen die 75?

Antwort: Selbst nur hingelümmelt aufs Sprungbrett ins Nirvana kriegt man schon mit der Zeit mit, dass es im Leben mehr aufs Maul gibt als Küsse im Dunkeln. Mit so einer DNA im Kopf ist 75 kein Ding.

Frage: Was verändert sich im Leben im Vergleich zu früher?

Antwort: Ganz früher, Ende der Sechziger, als sich Regisseure noch für Film und Mädchen interessierten, waren wir in dasselbe verliebt: in uns selbst. Niemand konnte sich damals eine Welt vorstellen, in der wir nicht die Größten waren. Wir mussten nur so weiter rocken - dann würde uns das Leben lebenslang aus der Hand fressen. In den Achtzigern wurden wir dann selbst zum Futter. Ich habe Jahre gebraucht, um mich von dem Schock zu erholen.

Frage: Ihr neuester Film heißt «Unterwäschelügen». Worum geht es da?

Antwort: «Unterwäschelügen» habe ich in diesem Sommer in München gedreht als Co-Produktion mit dem ZDF: ein elektrifizierender Blick in die Darkrooms der Künstler und Banditen im Umkreis der Schwabinger Akademie der Schönen Künste. Mit Henning Gronkowski und Mela Feigenbaum - meine neueste Entdeckung von der Straße nach Iris Berben, Sylvie Winter, Cleo Kretschmer und Saralisa Volm.

Frage: Was denken Sie - als ehemaliges Flüchtlingskind und als filmischer Chronist Münchens - über den Umgang mit Flüchtlingen hier in München?

Antwort: Mein Vater war in Kriegsgefangenschaft. Meine Mutter flüchtete mit meiner kleinen Schwester und mir von Pommern in die Ostzone. Und noch gefährlicher dann von Gera in die BRD. Mein erstes Schulheft war ein handtellergroßes Stück Restschiefer aus einer zerbrochenen Schiefertafel. Wir hatten weniger als nix. Und es war eine der schönsten Zeiten meines Lebens, ich schwör's. Danke, Herne. Und danke, Heilsarmee.

Frage: Was ist Ihr nächstes Filmprojekt?

Antwort: Ab Ende Oktober dieses Jahres drehe ich auf Fuerteventura und den Bahamas «A Story from Hell». Ein haischwarzer Thriller über einen stark missbrauchsanfälligen Filmregisseur, der auf der Suche nach seiner verschollenen Tochter in der Karibik zum Vodoomonster LeCrit mutiert. Kafka reloaded. Mela Feigenbaum spielt die Tochter. Ich den Regisseur.

Frage: Im vergangenen Jahr haben Sie anlässlich des Münchner Filmfestes den deutschen Film in einem Interview scharf kritisiert. Hat sich die Situation Ihrer Ansicht nach seitdem verbessert?

Antwort: Würde man das Staatskino (= Filmförderung) aus Steuermitteln (= Euroschrott) über Nacht abschaffen: Wir wären in zwei Jahren das kreativste Filmland in Europa. Und eine Konkurrenz für Hollywood. So wie jetzt bleiben wir die Toplangweiler weltweit. Aber wenn er nicht gewollt hätte, dass sie geschoren werden, hätte der liebe Gott deutsche Filmregisseure nicht zu Schafen gemacht.

ZUR PERSON: Geboren am 13. Oktober 1940 in Landsberg/Warthe, kam Klaus Lemke als Flüchtlingskind in die Bundesrepublik. Seit den 60er Jahren arbeitet er als Regisseur und Drehbuchautor. Als Protagonisten engagiert er Laien von der Straße weg. Zu seinen bekanntesten Filme zählen «Brandstifter» (1969), «Rocker» (1972), «Sylvie» (1973) und «Teenagerliebe» (1975). Für «Schmutziger Süden» erhielt er 2010 den Münchner Filmpreis.