Klima-Aktivist Arshak Makichyan im Yahoo-Interview: "Alle zehn Meter stand ein Polizist"

Er ist das Gesicht von Fridays for Future in Russland: Arshak Makichyan, 27, begann 2019 als erster mit einem Schulstreik auf dem Puschkin-Platz in Moskau. Damit inspirierte er viele weitere Klimaproteste in Russland, wurde mehrmals inhaftiert. Als Präsident Wladimir Putin im Februar die Ukraine überfallen ließ, demonstrierte er gegen diesen Angriffskrieg - und entschied sich ein paar Wochen später zur Ausreise. Nun überlegt Makichyan, wie es weitergehen soll: Mit den Klimaprotesten, mit der Opposition zu Putin. Mit seinem Leben.

Klimaktivist Arshak Makichyan protestiert gegen Energiekäufe Deutschlands von Russland
Klimaktivist Arshak Makichyan protestiert gegen Energiekäufe Deutschlands von Russland. (Bild: Instagram/Arshak Makichyan)

Ein Interview von Jan Rübel

Was tut der Krieg in der Ukraine dem Kampf gegen den Klimawandel an?

Arshak Makichyan: Die Situation war schon vorher sehr hart. Seit einem Jahr ist jeder Aktivismus für mehr Klimaschutz in Russland fast unmöglich gemacht worden. Viele haben aufgehört: Sie können dafür von den Universitäten exmatrikuliert oder verhaftet werden. Die ganze Familie kann Probleme kriegen. Jetzt, mit dem Krieg, ist alles noch einmal schlimmer geworden.

Warum?

Mein Land überfällt ein anderes und tötet Zivilisten. Wenn ich dann über Klimawandel rede, ist das komisch – angesichts der Massentötungen, Zerstörungen und Vergewaltigungen. Ich kann gerade nur schwer über die Zukunft reden, denn viele Menschen haben in diesen Tagen keine Gegenwart. Auch können wir unsere bisherigen Methoden des Klimaaktivismus nicht mehr anwenden: Der russische Staat hat die Sozialen Medien mit harten Restriktionen überzogen. Viele Leute kennen sich nicht mit privaten Kommunikationsnetzwerken (VPN) aus und haben deshalb keinen Zugang zu Instagram oder Facebook – wo wir aber normalerweise Infos verbreiten und mobilisieren.

Und nun?

Ich suche nach einer neuen Strategie. Die Leute haben eben Angst, offen zu demonstrieren – Schulstreik ist nicht mehr. Ich probierte es mit TikTok, aber auch diese Plattform ist so gut wie zu. Seit der Krieg begonnen hat, lebten wir in konstanter Angst, dass man uns sucht und verhaften will. Dass die Freunde gefoltert werden. Viele verließen auch das Land. Vor dem Krieg lebten wir in einer Art autoritärem Regime, Folterungen zum Beispiel gab es in Moskau nicht. Nun ist es eine Diktatur.

Sie sind auch geflüchtet…

…der Krieg begann an dem Tag, an dem meine Freundin und ich heiraten wollten. Die Feier fiel dann natürlich aus. Eine Pause entsteht. Wir hatten uns aus politischen Gründen zur Hochzeit entschieden, damit bei einer Verhaftung bessere Besuchsrechte für den Anderen bestehen. Die Wohnung meiner Freundin war von der Polizei belagert worden, und ich hatte ihr geholfen unterzutauchen. Dann, am ersten Kriegstag, war ich sprachlos. Mir fehlten die Worte. In den Tagen danach dachte ich, jemand würde Wladimir Putin töten. Wir waren ja seit Jahren gegen ihn gewesen, aber nun hat er seine eigenen Leute verraten: Allen wird es wirtschaftlich immer schlimmer ergehen, und das wegen ihm.

Hatten Sie einen Hochzeitsanzug?

Ja. Auf meinem Hemd stand "Fight the War". Auf die Flitterwochen verzichteten wir natürlich und machten mit Aktivismus weiter, intensivierten unsere Proteste auch, gingen auf die Antikriegsdemos. Ich machte Filme für Social Media und teilte meinen Instagram-Account mit einer ukrainischen Freundin von "Fridays for Future".

Putin lebt und scheint unangefochten zu herrschen.

Ja, die Massenproteste, die ich erwartet hatte, sind bisher ausgeblieben. Aber die Staatsgewalt ist auch enorm. Es gab viele Verhaftungen, auch Freunde von uns wanderten ins Gefängnis. In Moskauer Knästen wird übrigens jetzt gefoltert. Drei Wochen nach unserer Hochzeit wollten wir auf eine Demo, konnten aber die Menge nicht mehr finden, weil alle verhaftet worden waren, um die 16.000 Leute. Da wussten wir, dass wir uns etwas Neues einfallen müssen, um zu protestieren. Alle zehn Meter stand ein Polizist. Es war, als sei Moskau besetzt worden.

Wann sagten Sie sich: Wir können nicht mehr, wir müssen das Land verlassen?

Meine Frau sagte, dass sie freie Luft atmen müsse. Es wurde für sie in Russland untragbar, sie brauchte eine Pause. Ich selbst wusste nicht, was ich tun sollte. Aber dann sah ich ein, dass wir einen Neustart in unserem Aktivismus brauchen. Wir fuhren zuerst nach Belarus und dann mit einem Bus zur polnischen Grenze.

Ging alles glatt?

Nein, zuerst wurden alle Russen zurückgeschickt, und wir fürchteten schon, dass wir verhaftet werden, denn in Belarus herrscht auch ein mieses Regime. Doch beim zweiten Mal klappte es. Bei der Grenze wurden wir indes zwei Stunden lang verhört. Auch die Ukrainer. Ich war dabei, wie ein Mädchen erzählen musste, dass ihr Vater im eigenen Haus erschossen worden war. Das zu berichten hat sie womöglich ein zweites Mal traumatisiert. Es war schrecklich.

Ist es in diesen Kriegstagen ein Luxus, über das Klima nachzudenken?

Im Gegenteil. Wir werden diesen Sommer in Russland schlimme Feuer in den sibirischen Wäldern haben. Und die Leute, die früher diese Waldbrände bekämpften, kämpfen nun in der Ukraine. Man kümmert sich nicht mehr darum. Das russische Regime interessiert sich gerade überhaupt nicht für Klimaschutz, man erwägt sogar, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder auszusteigen. Und die Klimakrisen nehmen zu, das sieht man ja gerade beispielsweise in Afrika und in Indien. Klimaaktivismus ist wichtiger denn je.

Russland droht also beim Kampf gegen den Klimawandel auszufallen?

Ja. Was die Regierung seit Jahren propagiert, ist Atomkraft. Man hat ja diese Technologie, die aber alles andere als zukunftstauglich ist. Energiefragen sind für Putin Machtfragen. Umso dringender ist es, dass andere Länder ihre Bemühungen intensivieren. Die Energietransition weg von Öl und Gas muss beschleunigt werden – dann kann aus diesem Kriegsmist sogar eine Chance fürs Klima werden.

Deutschland bezieht noch viele fossile Energien aus Russland.

Das finde ich heuchlerisch. Man kritisiert das Regime in Moskau und proklamiert die Solidarität mit der Ukraine, aber durch die Energieimporte hilft Deutschland Russland mehr als der Ukraine. Das muss man sich mal klarmachen. Die Deutschen sollten praktischer denken und die Finanzierung dieser Kriegsmaschinerie beenden.

Sollte man in dieser Zeit überhaupt mit der russischen Regierung über Klimafragen reden?

Das macht gerade keinen Sinn. Stattdessen sollte man mit den Klimaaktivisten reden, mit der Zivilgesellschaft. Das tun die westlichen Politiker aber nicht. Ich bin seit zwei Monaten in Deutschland, aber seitdem haben wir keinen einzigen Politiker getroffen. Sie ignorieren uns und verhandeln lieber mit Putin.

Warum?

Ich verstehe es nicht. Gemeinsam mit polnischen, russischen und ukrainischen Aktivisten versuchten wir ein Treffen mit deutschen Politikern zu organisieren, aber sie sagten ab.

Wer?

Zum Beispiel Kanzler Olaf Scholz.

Was planen Sie nun? Denken Sie daran, irgendwann nach Russland zurückzukehren?

Es ist gerade kompliziert. Ich habe in Berlin meine Geige verkauft. Mit dem Geld wollen meine Frau und ich uns eine Auszeit nehmen und ein wenig herumreisen, bevor wir das endgültig entscheiden. Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Kehren wir zurück, bedeutet das auch einen Druck auf unsere Familien und auf unsere Freunde. Es ist ja okay, wenn man ins Gefängnis muss, auch für längere Zeit. Aber dort riskiert man seine Gesundheit, auch die geistige Gesundheit. Es ist schwierig.

Sie haben doch Geige an der Uni studiert. Und nun haben Sie Ihre Geige weggegeben?

Ja, ich hatte meinen Abschluss im Violinenspiel am Moskauer Konservatorium gemacht, aber seit drei Jahren spiele ich nicht mehr. Es hat sich mit dem Aktivismus nicht vertragen; beides verlangt sehr viel Kraft, Aufwand und Zeit. Meine Karriere als Violinist werde ich nicht fortsetzen. Ich habe mich für den Aktivismus entschieden. Sei es hier, anderswo oder in Russland.