Klimaforscher im Interview - „Wie kann das sein?“ Experte Latif verzweifelt an Weltklimakonferenz

«Ich glaube, wir waren viel, viel zu sorglos was den Klimawandel angeht»: Mojib Latif.<span class="copyright">Sina Schuldt/dpa</span>
«Ich glaube, wir waren viel, viel zu sorglos was den Klimawandel angeht»: Mojib Latif.Sina Schuldt/dpa

Erst Trumps Wiederwahl, dann der Zerfall der Ampel: Kurz vor der Weltklimakonferenz muss der Klimaschutz große Rückschritte erleiden, mahnt der bekannte Experte Mojib Latif im Interview. Deutschlands nächste Regierung müsse mit entschlossener Führung die Klimakrise abwenden - allein aus wirtschaftlichen Gründen.

FOCUS online Earth: Herr Latif, kurz vor der Weltklimakonferenz offenbart ein neuer Bericht von Copernicus, dass die Welt das 1,5-Grad-Ziel überschreitet. Ausgerechnet jetzt wurde Donald Trump ins Weiße Haus gewählt und die Ampelkoalition in Berlin ist zerschellt. Welche Auswirkungen hätte das auf die internationale Klimapolitik und die globale Klimakrise?

Mojib Latif : Im Prinzip kommt die internationale Klimaschutzpolitik ohnehin nicht voran. Wie kann es sein, dass nach bald 29 Weltklimakonferenzen der Ausstoß von Treibhausgasen immer noch steigt? Seit Beginn dieser Konferenzen sind die Emissionen förmlich explodiert, was natürlich nichts mit den Konferenzen selbst zu tun hat. Es passiert aber nicht genug. Die COPs sollten eigentlich dazu beitragen, die Emissionen zu senken, doch das Gegenteil ist der Fall.

Deshalb muss man irgendwann überlegen, ob es nicht auch andere, zielführendere Wege gibt, um den Klimaschutz voranzubringen. Mehr bilaterale Zusammenarbeiten und Abkommen zwischen den Ländern, die für die meisten Emissionen verantwortlich sind: Die USA und China sind allein für fast die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Da würde dem Klima vielleicht schneller geholfen.

Allerdings wird der kommende US-Präsident wenig Interesse an Klimaschutz haben.

Latif: Absolut, Donald Trump ist natürlich jetzt ein weiterer Hemmschuh. Dabei haben wir eh schon so viele Hemmnisse. Durch die Krisen der letzten Jahre ist der Klimaschutz in den Hintergrund geraten. Auch im jüngsten FDP-Papier von Christian Lindner liest man sinngemäß: „Beim Klimaschutz müssen wir erstmal auf die Bremse treten."

Das suggeriert, Klimaschutz sei ein Luxus, den wir uns derzeit einfach leider nicht leisten können. Doch kein Klimaschutz wird am Ende viel teurer, das Problem haben wir schon heute – und die künftige Generation noch mehr.

Trump leugnet den Klimawandel und wird wieder stärker auf fossile Brennstoffe setzen. Daher werden die USA wohl als treibende Kraft im Klimaschutz ausfallen. Der Inflation Reduction Act unter Joe Biden hat etwas Momentum gebracht, aber das wird unter Trump wahrscheinlich wieder verloren gehen. All diese Faktoren schaffen schlechte Voraussetzungen für einen ambitionierten internationalen Klimaschutz.

Was bedeutet der Ampel-Bruch dann für Deutschlands Klimapolitik? Gerade jetzt, wo nach der Wahl von Trump ein starkes Profil wichtig wäre?

Latif: Es wäre jetzt besonders wichtig gewesen, ein starkes Deutschland und ein starkes Europa zu haben. Es war abzusehen, dass Trump gewinnt. Wir brauchen dringend Führungsstärke im Bereich Klimaschutz. Leider erscheint mir die Vision eines starken Europas inzwischen fast wie eine Illusion. Wir haben Viktor Orban, der mit Putin zusammenarbeitet und den Klimawandel leugnet. Immer mehr Autokraten kommen an die Macht und diese lehnen häufig den Klimaschutz ab.

Das sind schwere Zeiten für den Umweltschutz, sei es Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität oder der Schutz der Weltmeere. Beim Umweltschutz scheitert es meistens am Geld. Angeblich können wir es uns nicht leisten, aber die Kosten werden in Zukunft nur weiter steigen, wenn wir nichts unternehmen.

Ist eine neue Regierung also auch eine gute Chance für bessere Klimapolitik in Deutschland?

Latif: Die Beharrungskräfte in der Union sowie in der FDP aber auch in Teilen der SPD sind stark – Klimaschutz wird oft mit Wachstumsbremse gleichgesetzt. Vertreter der Union beispielsweise betonten in den letzten Monaten, dass es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wichtigere Dinge als Klimaschutz gibt. Es zeigt, dass das Verständnis fehlt, dass Wirtschaft und Klimaschutz zusammengehören. Es geht um Zukunftsfähigkeit.

Die Krise der deutschen Autoindustrie zeigt, dass wir nicht fit für die Zukunft sind: Während etwa China auf E-Mobilität und erneuerbare Energien setzt, verlieren wir den Anschluss. Deutschland hatte ein Geschäftsmodell, das uns Wohlstand gebracht hat, aber das funktioniert nicht mehr. Die billige Energie aus Russland ist nicht mehr verfügbar. Der Verbrenner-Absatz in China sinkt.

Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist riskant und der Ausbau erneuerbarer Energien notwendig – nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch für unsere Energiesicherheit. Fossile Energie wird immer teurer, und es drohen Strafzahlungen durch die EU. Die hat beschlossen, dass Wärme und Verkehr in den Emissionshandel einbezogen werden. Die Kosten könnten immens sein.

Ich verstehe nicht, wie man so am Status quo festhalten kann. Und jetzt erwägen Union und FDP die Rückkehr zur Atomkraft. Und die AfD ohnehin. Atomkraft ist teuer und nur durch massive Subventionen tragbar, und sie ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Wir müssen jetzt couragiert bei den Erneuerbaren Energien vorangehen, um zukunftsfähig zu bleiben.

Die Wirtschaft strauchelt bereits – und klagt, dass die Dekarbonisierung ohne die richtigen Rahmenbedingungen und Investitionen kaum funktionieren kann. Funktioniert das „grüne Wirtschaftswunder“ des Kanzlers mit der Schuldenbremse?

Latif: Natürlich müssen wir investieren, und zwar richtig viel, wie es andere Länder auch tun. Schauen Sie sich den Inflation Reduction Act in den USA an – da sind gigantische Summen im Spiel. Solche Investitionen brauchen wir auch hier. Unsere Infrastruktur, wie Brücken und Bahn, ist marode, und das bekommen wir nicht mit der strikten Schuldenbremse hin. Ich habe noch keinen Ökonomen getroffen, der sagt, dass wir unbedingt an der Schuldenbremse festhalten müssen. Andere Länder fragen sich, warum Deutschland nicht investiert, obwohl wir einen relativ niedrigen Schuldenstand haben. Ohne Investitionen werden wir unseren Wohlstand verlieren.

Wir führen die falschen Debatten. Wir brauchen gewaltige Investitionen in Infrastruktur, Verteidigung, die Transformation unserer Wirtschaft und in Bildung. Solche Summen können wir nicht mit vergleichsweise geringen Einsparungen etwa beim Bürgergeld aufbringen. Diese Debatten sind irreführend. Unsere Brücken werden nicht repariert, und die Bahn wird nicht pünktlich, nur weil wir ein paar Leute abschieben oder weniger Bürgergeld zahlen. Das sind im Vergleich zum Gesamthaushalt lächerlich kleine Summen.

Also braucht es ein Loslassen der strikten Schuldenbremse, um Deutschlands Klimapolitik wieder Schwung zu geben?

Latif: Es wird interessant sein zu sehen, wie die nächste Regierung damit umgeht. Die Union hat in der Vergangenheit dieses Horn der Schuldenbremse oft geblasen, obwohl es notwendig wäre, sie zu reformieren, was auch von einigen führenden Köpfen der Union zu hören ist. Natürlich kann man die Schuldenbremse nicht einfach abschaffen, da sie im Grundgesetz verankert ist, aber man könnte eine Notlage ausrufen. Wenn wir jetzt nicht in einer Notlage sind, wann dann? Wir haben den Krieg in der Ukraine, und dies in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und globaler Krisen wie die Klimakrise. Dazu kommt der Amtswechsel in den USA, der auf uns stärkere Lasten zukommen lässt.

Es bleibt abzuwarten, wie die nächste Regierung die Dinge angeht. Vielleicht wird sie endlich begreifen, was der Umbau unserer Wirtschaft in eine nachhaltige Ökonomie bedeutet – nicht nur kurzfristig, sondern vor allem langfristig, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Welche Maßnahmen sollte die neue Bundesregierung ergreifen, um Klimaschutz sozial gerecht und zukunftsfähig zu gestalten und die Wirtschaft umzubauen?

Latif: Die Vorzüge des Klimaschutzes müssen für die Menschen spürbar sein. Wenn die Bürger nur belastet werden, wird Klimaschutz schnell zu einem verhassten Reizwort. Ein Beispiel ist die Förderung von Eigenheimen mit Wallboxen für Elektroautos und eigener Stromproduktion – das können sich nur wenige leisten. Klimaschutz muss für die breite Masse zugänglich sein, sonst wenden sich die Menschen ab.

Ich selbst habe ein Elektroauto, erlebe aber täglich die Nachteile: eine schlechte Ladeinfrastruktur und hohe Kosten. Das muss sich ändern. Die Menschen müssen zumindest keine Nachteile haben, wenn sie sich für klimafreundliche Alternativen entscheiden. Es geht um unseren Wohlstand. Die neue Bundesregierung muss hier ansetzen, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Es geht nicht nur um Klimaschutz und Goodwill, sondern um die ökonomische Zukunft Deutschlands.