Klimawandel gefährdet die Versorgung - Starköche schlagen Alarm: Was wir tun müssen, um die Bratkartoffel zu retten
Der Klimawandel bedroht die deutsche Bratkartoffel. Denn Hitze, Dürre und Extremregen gefährdet die Produktion wichtiger Lebensmittel, unter anderem der Kartoffel. In einem ungewöhnlichen Schritt verbünden sich daher nun Wissenschaftler mit prominenten Chefköchen - und nehmen vor allem die EU in die Pflicht.
Keine Bratkartoffel auf deutschen Speisekarten. Kein Baguette an der Seine in Paris. Kein spanisches Omelett beim nächsten Trip nach Barcelona - und keine Lasagne zu später Stunde in Rom.
Ein undenkbares Szenario, vor dem Chefköche, Wissenschaftlerinnen und NGOs aus ganz Europa warnen. Damit nationale Gerichte nicht von den Speisekarten verschwinden, und mit ihnen das kulinarische Erbe, sind laut einem neuen Bericht dringend Maßnahmen zum europäischen Naturschutz nötig.
Die Analyse des europäischen Think Tanks Institute for European Environmental Policy (IEEP) hat offenbart, dass die Produktion von Oliven, Kartoffeln und Weizen in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien zurückgeht - und die Nahrungsmittel infolgedessen viel teurer werden. Die Experten führen dies auf die Folgen des Klimawandels und die nicht nachhaltigen Anbaumethoden der europäischen Landwirtschaft zurück.
Klimawandel bedroht Anbau von Reis, Weizen, Kartoffel und Oliven
Vor allem steigende Temperaturen, Trockenheit und extreme Regenfälle würden die Ernten beeinträchtigen. Konventionelle landwirtschaftliche Praktiken würden wichtige Grundnahrungsmittel der mediterranen und europäischen Ernährung wie Reis, Weizen, Kartoffeln und Oliven anfälliger für Schäden machen und die Ökosysteme schwächen, so die Expertinnen und Experten im Bericht. Und das ist längst kein abstraktes Zukunftsszenario mehr: Auf dem Weltmarkt sind die Preise für Kakaobohnen wegen des Klimawandels bereits in die Höhe geschossen.
„Die Gastronomie ist ein starker Träger von Kultur und Tradition, vor allem in Deutschland, wo wir so viel Regionalität und kulinarische Vielfalt haben", sagt der Küchenchef und Kochbuch-Autor Stevan Paul. "Das alles beginnt mit der Natur, die uns die Notwendigkeit zeigt, unsere Böden mit einem Verständnis für die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Natur, Ernährung und Kultur zu erhalten und zu regenerieren. Wir müssen dieses Gut für künftige Generationen bewahren.“
Bis zu 21 Prozent weniger Weizen ohne Maßnahmen
Wie ernst diese Bedrohung für die deutsche Küche sein kann, zeigt der erwartete Rückgang der europäischen Weizenproduktion: In den kommenden Jahrzehnten könnte knapp 21 Prozent weniger Weizen produziert werden, wenn keine Anpassungsmaßnahmen in der Landwirtschaft erfolgen. Das hätte daher Folgen für deutsches Brot, Knödel oder Hefeweizen.
Auch die (Brat-)Kartoffel ist bedroht: In Nordostniedersachsen könnten die Kartoffelerträge in einem Szenario mit hohen Emissionen und ohne zusätzliche Bewässerung bis 2050 um durchschnittlich 18 Prozent zurückgehen.
„Auch wenn das genaue Ausmaß der zu erwartenden Ernteverluste nicht sicher prognostizierbar ist, so ist doch eines ganz klar: Die Verluste könnten geringer ausfallen und durch Anpassungsmaßnahmen sogar verhindert werden“, sagt Melanie Muro, Senior Policy Analyst bei IEEP.
Experten fordern Verabschiedung von größtem Umwelt-Gesetz der EU
Deshalb fordern die Expertinnen und Köche schnellstmögliche Maßnahmen zum Schutz der regionalen Lebensmittel. „Damit für die deutsche Küche notwendige Produkte weiterhin geerntet und hergestellt werden können, sind wir auf gesunde Ökosysteme und geschützte Naturräume angewiesen", erklärt die Fernsehmoderatorin Madita van Hülsen. "Das Renaturierungsgesetz der EU ist unerlässlich, um unser kulturelles Erbe durch unsere heimischen Lebensmittel auch in Zukunft zu sichern“,
Das Renaturierungsgesetz der EU ist das größte Umweltgesetz auf EU-Ebene seit Jahrzehnten. Im EU-Parlament ist es im Februar angenommen worden, noch steht aber die Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Rat der Umweltminister aus. Weil es seitens einiger Mitgliedsstaaten noch Vorbehalte gibt, hatte sich die Abstimmung über das Gesetz immer wieder verschoben. Noch diesen Monat soll ein neuer Anlauf folgen.
Das Gesetz schreibt unter anderem verpflichtende Quoten vor, um geschädigte Lebensräume wie Flüsse und Wälder wiederherzustellen. Bis 2050 sollen 90 Prozent aller Ökosysteme "renaturiert" sein. Expertinnen und Experten, aber auch die Wirtschaft haben sich mit großer Mehrheit für das Gesetz ausgesprochen. Widerstand gibt es vor allem von konservativen und rechten Parteien sowie von Interessensvertretungen der Landwirtschaft.