Knappe Fristen, leere Kassen - „Rücksichtsloses Machtspiel“: Früher Wahltermin bedroht Existenz einiger Parteien
CDU-Chef Merz und eine Mehrheit der Bürger will schnelle Neuwahlen. Zwar scheint ein Termin im Januar jetzt vom Tisch. Aber trotzdem befürchten kleine und junge Parteien, dass eine baldige Wahl sie in Existenznot bringen könnte. Sie wittern rücksichtslose Machtspiele der etablierten Parteien.
Die Debatte um einen Neuwahl-Termin versetzt die Parteien in Aufregung – aber nicht nur, weil manche Politiker unlauteres Spiel von Kanzler Scholz und seiner SPD vermuten. Denn je früher die Wahl, desto weniger Zeit bleibt ihnen, den Wahlkampf zu organisieren. Dieses Argument hat auch Bundeswahlleiterin Ruth Brand in ihrem Brief an Scholz aufgegriffen. Sie verweist besonders auf nicht etablierte und junge Parteien.
Das BSW um Parteichefin Sahra Wagenknecht steht zum Beispiel vor der Herausforderung, erst noch vier Landesverbände gründen zu müssen. In Bayern soll es am 16. November so weit sein, außerdem fehlen noch Parteigliederungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Ohne diese kann es in den Bundesländern auch keine Listenaufstellung geben.
„Keine Partei wird bei ihren Machtspielen Rücksicht nehmen“
„Klar ist, dass vorgezogene Neuwahlen mit sehr kurzer Frist für das BSW eine größere Herausforderung sind als für etablierte Parteien, die über mehr Personal, Geld und gewachsene Strukturen verfügen“, erklärt BSW-Generalsekretär Christian Leye im Gespräch mit FOCUS online. „In Berlin wird keine der anderen Parteien bei ihren Machtspielen um den Wahltermin darauf Rücksicht nehmen“, beklagt der Bundestagsabgeordnete.
Trotz der Herausforderungen bei einem kurzen Wahlkampf hatte Wagenknecht für eine schnelle Vertrauensfrage plädiert und Scholz „politische Insolvenzverschleppung“ vorgeworfen. Generalsekretär Leye blickt gelassen auf die nächsten Monate: „Egal wann nun die Vertrauensfrage genau gestellt wird, für uns als BSW zählt, dass die Bevölkerung die Vertrauensfrage bereits beantwortet hat und seit Monaten fertig ist mit der Bundesregierung.“
Leye gibt sich optimistisch: „Wir werden als BSW bereit sein für diesen Wahlkampf und ihn genauso professionell durchziehen wie alle anderen Wahlen in diesem Jahr.“ Laut einer Parteisprecherin war man ohnehin schon dabei, das Bundestagswahlprogramm mithilfe von Expertenräten zu schreiben.
Keine Räume, wenig Zeit, ausgelastete Ehrenamtliche
Neu gegründet ist die Piratenpartei zwar nicht. Sie war zuletzt aber weder im Bundestag noch in Landtagen vertreten – muss also zunächst Unterschriften sammeln, um bei der Neuwahl antreten zu dürfen: „Eine Wahl im Januar stellt uns wie alle anderen Kleinparteien auch vor große Herausforderungen“, sagte der Bundesvorsitzende Borys Sobieski zu FOCUS online.
Sogar schon vor der Unterschriftensammlung begännen die Probleme: So sei zum Beispiel das Aufstellen von Landeslisten erschwert, weil man kurzfristig nur schwer Räumlichkeiten für die entsprechenden Versammlungen finden würde. „Nach einer erfolgreichen Aufstellung sind dann die Unterstützungsunterschriften in voller Höhe, aber in einem drastisch verkürzten Zeitraum zu sammeln“, so Sobieski. In der kalten Jahreszeit seien zudem „ehrenamtlich sammelnde Mitglieder auch familiär stark eingebunden“.
Der Chef-Pirat stellt sich deshalb gegen CDU-Chef Friedrich Merz, der schnelle Neuwahlen fordert. „Das schwächt unsere Demokratie, mit bis jetzt nicht absehbaren Folgen.“ Sobieski fürchtet, dass die politischen Ränder gestärkt werden könnten, sollten in manchen Bundesländern Parteien auf den Wahlzetteln fehlen.
Schnelle Neuwahlen: „Gefährliches Spiel mit unserer Demokratie“
Ins selbe Horn stößt Maral Koohestanian. Sie ist bei Volt engagiert und für die Partei Stadträtin in Wiesbaden. „Der Ruf nach schnellen Neuwahlen im Januar ist ein gefährliches Spiel mit unserer Demokratie“, warnt sie. „Wenn am Ende in manchen Bundesländern bestimmte Parteien gar nicht zur Wahl stehen können, weil die Zeit für Unterschriften und Formalitäten nicht gereicht hat, ist das ein massiver Eingriff in die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger.“
Tatsächlich haben bei der vergangenen Bundestagswahl 2021 mehr als zwei Millionen Menschen für kleine und nicht etablierte Parteien gestimmt, die nun mit Problemen zu kämpfen haben. Stehen einige von ihnen bei der Neuwahl nicht auf den Zetteln, könnte dadurch die Wahlbeteiligung und Demokratiezufriedenheit sinken. Bei den Kleinparteien geht es bei der Bundestagswahl realistischerweise zwar nicht um den Einzug ins Parlament. Vom Wahlergebnis hängt aber auch die staatliche Parteienfinanzierung ab. Diese würde eingeschränkt werden, wenn die Parteien wegen der kurzen Frist zur Nominierung und Unterschriftensammlung gar nicht antreten können.
„Hauruckaktion nützt nur den etablierten Parteien“
Volt-Politikerin Koohestanian plädiert deshalb für einen Wahltermin im März. „Das würde den demokratischen Wettbewerb stärken und gleichzeitig sicherstellen, dass die Wahl ohne organisatorische Pannen über die Bühne geht. Die Demokratie braucht Zeit für einen echten politischen Diskurs – keine Hauruckaktion, die am Ende nur den etablierten Parteien nützt.“
Die Wiesbadener Kommunalpolitikerin ist aber optimistisch, dass ihre Partei so oder so erfolgreich sein kann: „Eine Wahl im Januar wäre für Volt problemlos zu stemmen, da wir als Partei so einen enormen Zulauf an Mitgliedern sowie von Unterstützerinnen und Unterstützern haben.“ Bei noch kleineren Parteien sei die enorme Belastung aber tatsächlich nicht zu stemmen, fürchtet sie.