Kolumne von Franca Bauernfeind - Beim Wahlkampf für die CDU merke ich, wie zerrüttet Thüringen wirklich ist
Die Landtagswahlen in Thüringen haben ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die AfD triumphiert, die CDU steht vor einem Scherbenhaufen und trägt - wieder einmal - die ganze Last der Verantwortung. Jetzt sind wir Bürger gefragt.
Thüringen hat gewählt. Bereits in den Wochen vor der Landtagswahl war das Medieninteresse groß. Größer als es normalerweise üblich wäre. Denn Thüringen hat nur 1,6 Millionen Wahlberechtigte; eine vergleichsweise unbedeutende Zahl im bundesweiten Schnitt. Und doch war und ist das Interesse so riesig.
Der Grund: die AfD. Sie ist nicht nur in Thüringen, sondern auch in Sachsen auf über 30 Prozent geklettert – in Windeseile tat es ihr das BSW gleich. Die neue Partei in Kinderschuhen hob sich von null auf 16 Prozent in Thüringen und auf 12 Prozent in Sachsen empor.
Wieder einmal ist Thüringen im Fokus der Berichterstattung und damit eine Lage, die komplizierter und unangenehmer kaum sein könnte. Wie regieren? Mit wem regieren und wie eine stabile Situation schaffen, die vor allem den Bürgern im Freistaat gerecht wird?
Wahl in Thüringen: Bereits 2017 wurde ich von Höfen und Haustüren verjagt
Schon Wochen vorher zeichnete sich diese schwierige Lage ab. Fernab des Medienrummels lief der Wahlkampf in den Städten und Gemeinden. Auch ich war für die CDU, Mario Voigt und unsere Direktkandidaten in den Straßen und auf den Plätzen unterwegs. Bereits im Bundestagswahlkampf 2017 wurde ich in den Dörfern rund um Erfurt von Höfen und Haustüren verjagt.
Damals – ich war gerade 19 Jahre alt geworden – waren es vor allem Sätze wie „Ihr Verräter habt hier nichts verloren, wir wählen nur noch AfD“, die mir entgegengeworfen wurden. Einmal musste ich vor einem Herren wegrennen, der nicht ertragen konnte, dass ein CDU-Flyer in seinem Briefkasten landete und mir daher physisch signalisierte, schleunigst abzuhauen.
An diesen Szenen hat sich auch heute nichts geändert. Stattdessen wurde es schlimmer. Nachdem die letzte Landtagswahl 2019 für die CDU so krachend gescheitert war und auch die Kemmerich-Wahl ihre Spuren im Land hinterlassen hat, nimmt man auf den Straßen immer mehr eine Verachtung für den jeweils anderen wahr als die Suche nach Gemeinsamkeiten.
Ein Beispiel: Vor ein paar Wochen machte ich mich in meinem Wohnviertel mit meiner CDU-Cap auf dem Kopf und einer Tasche voll mit Flyern auf den Weg, um für unseren Direktkandidaten von Tür zu Tür zu gehen. Klassischerweise wird hier eher links gewählt; es ist ein stadtnahes und eher alternatives Viertel.
Plötzlich kommt mir eine Frau entgegen, mittleres Alter, lockerer Kleidungsstil. Sie sieht mich und beginnt mich sofort auf das Übelste zu beschimpfen: „Du hässliches Stück Scheiße“ war ihre genaue Wortwahl. Die CDU sei ebenso „widerlich“ wie ich. Als ich ihr diplomatisch sagte, dass ich sie, wenn sie mich noch einmal beleidigte, bei der Polizei anzeigen werde, lief sie schnell mit den Worten weiter: „Hol doch die Bullenschweine, das ist mir scheißegal“.
Gesellschaft ist stark polarisiert, alle Seiten schotten sich ab
Die Gesellschaft ist stark polarisiert, alle Seiten schotten sich ab. Das eigene Wahlverhalten kann Freundschaften zerbrechen lassen oder wüste Beschimpfungen auf offener Straße nach sich ziehen.
Man hat das Gefühl, es geht symbolhaft um Leben und Tod, nicht mehr um einen fairen, streitigen Wettbewerb um Ämter und Mandate, um Positionen und Visionen für Land und Leute. Zu dieser desaströsen Stimmungslage kommt eine einseitige Berichterstattung hinzu, die Thüringen zum Höcke-Land ohne jegliche Perspektive degradiert.
Auch das Wahlwochenende in Erfurt hatte es in sich. Ich helfe in einem Café in der Innenstadt aus – eine Goldgrube dafür, sich einen Eindruck über die Stimmungs- und Gefühlslage der Bevölkerung zu machen. Mit meinen Stammgästen, die von links bis rechts wählen, diskutiere ich gern. Jeder noch so kleine Protestmarsch kommt am Café vorbei – in der Landeshauptstadt seit einigen Jahren eine Alltäglichkeit.
Als ich am Samstag vor der Wahl mit der Straßenbahn in die Stadt fuhr, brauchte diese dreimal so lange wie sonst: Mehrere Demonstrationen und Kundgebungen besiegelten in der Erfurter Innenstadt das Ende dieses so hart und emotional geführten Landtagswahlkampfs.
AfD hatte ihre Versammlung begonnen
Bereits am Mittag postierten sich die „Omas gegen Rechts“ unweit des Cafés – deren Stammplatz. Währenddessen versammelten sich auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Hauptbahnhof mehrere Tausend Menschen, um unter dem Motto „Solidarisch gegen rechte Hetze“ gegen die AfD zu protestieren.
Gemeinsam zogen sie durch die Innenstadt zum Domplatz. Auf ihrem Weg kamen die Demonstranten am Anger vorbei, wo die eine Kundgebung der MLPD „für Palästina und gegen Rechts“ stattfand.
In der Nähe vor der Staatskanzlei hatte die AfD unterdessen ihre Versammlung begonnen. Die Teilnehmer protestierten gegen die Politik der Regierung – vor allem gegen die Migrationspolitik – und zogen anschließend, angeführt von den fünf Chefs der ostdeutschen Landesverbände, ebenfalls gen Domplatz.
Begleitet von ständigem Aufheulen von Polizeisirenen und Polizeiautos, die durch die verkehrsberuhigte Innenstadt rasten, gelangten die Demonstrationszüge schließlich auf den Domplatz, wo die AfD ihre Wahlkampfabschlusskundgebung abhielt.
Zusätzlich zu den Protestmärschen, Bühnen auf allen Plätzen, im Stau stehenden Straßenbahnen und dem großen Polizeiaufgebot komplettierten an diesem Samstag Unmengen an Kamerateams das Stadtbild. Sie zogen hektisch von einem Ort zum nächsten, um das Geschehen in Bild und Ton einzufangen. Nicht nur regionale, vor allem auch nationale und internationale Journalistentrupps waren unterwegs.
Horrorszenario für jeden Christdemokraten
Auch am Wahlsonntag fiel die Medienpräsenz in Erfurt nicht ab. Selbst vor meinem Wahllokal in Erfurt war ein dreiköpfiges Team mit Kamera postiert. Das Ergebnis, welches dann um 18 Uhr feststand, war sicher für die ganze Republik schockierend.
So viel steht fest, lässt man die Talkshows und TV-Runden von diesem Abend auf sich wirken. Mich überraschte es nicht, spiegelt es doch den gesamten Wahlkampf und die Stimmung in Thüringen wider: Ein zersplittertes, polarisiertes und gegensätzliches Bild, das sich nun auch eins zu eins im Plenarsaal wiederfindet.
Die Folgen dieses Ergebnisses werden ganz neue Formen der Regierungsbildung sein. Der Wahlsieger in Thüringen, die AfD, wird nicht an die Macht kommen. Keiner wird mit ihr koalieren. Ohne die CDU wird keine Regierung zustande kommen.
Die Auswahl für mögliche Partner wird sich zwischen Pest und Cholera bewegen: Eine marginalisierte SPD, die es mit sechs Prozent gerade noch so in den Landtag geschafft hat. Eine vollkommen zurechtgestutzte Linke, die das Erbe des „real existierenden Sozialismus“ in sich trägt.
Und eine der Christdemokratie inhaltlich ebenso diametral gegenüberstehende Partei, die von Sahra Wagenknecht persönlich aus dem Saarland heraus Anweisungen bekommt, was sie zu tun und zu lassen hat.
Wenn eine Mehrheit im Landtag gefunden werden will, so muss die CDU mit allen drei Parteien sprechen – ein Horrorszenario für jeden Christdemokraten.
Ganze Last der Verantwortung ruht wieder einmal auf den Schultern der CDU
Wie bereits vor fünf Jahren wird in Thüringen nicht der Wahlabend selbst der entscheidende Tag sein. Es werden die kommenden Wochen und Monate zeigen, wie es weitergeht. Klar ist: Die ganze Last der Verantwortung ruht wieder einmal auf den Schultern der CDU.
Die Landtagswahl in Thüringen bleibt darüber hinaus ein Abbild der Gesellschaft. Wollen wir in Zukunft einen anderen Wahlausgang, müssen wir nach den Ursachen für die offenkundige Unzufriedenheit der Menschen suchen und diese ernsthaft (!) angehen.
Und auch wir Bürger haben eine Aufgabe: Wollen wir, dass sich etwas ändert, hilft es nicht, Wahlkämpfer auf offener Straße zu beschimpfen oder vom Hof zu verjagen. Wer möchte, dass Politik weniger Worthülsen-Gelaber, mehr Problem-Löser ist, muss sich artikulieren, nicht rumpöbeln. Das ist mein großer Wunsch für uns in Thüringen – in den kommenden Wochen und für die fernere Zukunft.