Kolumne von Franca Bauernfeind - Debatte im Thüringer Landtag offenbart großen Fehler im Umgang mit der AfD
Eigentlich sollte sich am Donnerstag nur das Thüringer Parlament konstituieren. Doch es kam zu einer nervenaufreibenden Debatte. Sie ist womöglich ein Vorgeschmack darauf, was noch kommen könnte.
Jetzt ist es amtlich. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat der CDU-Landtagsfraktion Recht gegeben: Der Alterspräsident wurde dazu verpflichtet, die Anträge der Fraktionen der CDU und des BSW zur Änderung der Geschäftsordnung zur Abstimmung zu stellen, noch bevor ein neuer Landtagspräsident gewählt wird.
Das leite sich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Landtags ab, das nicht durch eine alte, nur übergangsweise geltende Geschäftsordnung oder aber einen nur übergangsweise amtierenden Alterspräsidenten eingeschränkt werden dürfe.
Der Freistaat stand damit am Donnerstag erneut im Scheinwerferlicht und lief Gefahr, im politischen Chaos zu versinken. Das erlebte ich hautnah mit.
Thüringen stand vor einer Furt, die unüberwindbar zu sein schien. Es wurde getrickst. Der Umgang miteinander war grässlich. Diesmal war es eine nicht ausgereifte Geschäftsordnung, die den Anstoß dazu gab.
Mitten in einem polarisierten Parteiensystem setzte eine destruktive AfD das unwürdige Schauspiel im Erfurter Landtag fort. Ich empfand das gleiche Unwohlsein wie 2020 bei der Kemmerich-Wahl. Nur, dass es diesmal um die Wahl eines Landtagspräsidenten ging.
„Warum ist Thüringen politisch so kaputt?“
Dazu kam es am Donnerstagmittag nicht. Der Tag fing schon so an. Das Wetter konnte sich nicht entscheiden. Würde es nun herbstlich nass werden oder sich doch noch ein warmer Spätsommertag durch die Wolkendecke Bahn brechen?
Ich fuhr mit der Straßenbahn Richtung Landtag. „Warum ist Thüringen politisch so kaputt?“ – zwei Jugendliche unterhielten sich. Es ging um die polarisierte Parteienlandschaft, die die Thüringer vor knapp einem Monat ins Parlament gewählt hatten.
Die beiden – ein Mädchen und ein Junge – fanden diese Situation abstrus, würden sich doch alle gegenseitig behindern und destruktiv arbeiten, so deren Vermutung. Sie debattierten aber auch darüber, was im Landtag an diesem Tag womöglich passieren würde.
CDU und BSW beantragten Änderung der Tagesordnung
Eigentlich sollte sich nur das Parlament konstituieren. Dieser Akt dauert normalerweise eine Stunde und ist mit der Wahl eines Landtagspräsidenten vollzogen.
Dazu stand in der bis dato geltenden Geschäftsordnung: „Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Präsidentin beziehungsweise zum Präsidenten vor.“ Ferner sei gewählt, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält.
Sofern sich keine solche Mehrheit ergibt, könnten für weitere Wahlgänge neue Bewerber vorgeschlagen werden, hieß es in jener Geschäftsordnung weiter.
Der Streit, der bereits seit einigen Wochen in den Gängen und Fluren des Thüringer Landtags zu hören war und der in der Sitzung am Donnerstag für alle Welt offen zur Schau gestellt wurde, zog sich entlang einer Interpretationsfrage: Hat immer nur die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht – nun also die AfD – oder können auch andere Fraktionen (nach erfolgloser Wahl) neue Kandidaten nominieren?
Um diesen Punkt klar zu regeln, hatten CDU und BSW eine Änderung der Tagesordnung beantragt. Sie wollten, bevor die Wahl beginnt, die Geschäftsordnung des Landtags in dieser Hinsicht spezifizieren, gleichzeitig aber dergestalt ändern, dass bereits im ersten Wahlgang alle Fraktionen ein Nominierungsrecht hätten.
Auch der Interpretationsstreit ist nicht eindeutig
Um 12 Uhr wurde die Sitzung eröffnet, geleitet von Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD). Der Nicht-Jurist hatte es sichtlich schwer, durch die Sitzung zu führen.
Freunde und Kollegen schilderten mir ihre Eindrücke: „Der weiß doch nicht mal, um was es gerade geht“, und: „Sein AfD-Skript von der Fraktion, das er vor sich liegen hat, richtet mehr Chaos an, als ohnehin schon existiert!“
Tatsächlich muss man festhalten, dass die mehr als vier Stunden andauernde erste Sitzung nichts für schwache Nerven war und jede Fraktion darauf bedacht war, juristisch das in ihren Augen Richtige zu tun.
Es waren komplexe Fragen, mit denen sich die Abgeordneten auseinandersetzen mussten. Bemerkenswert war auch, wie oft sich der parlamentarische Geschäftsführer der AfD von seinem Stuhl erheben musste, um seinem (im Amt eigentlich überparteilichen) Alterspräsidenten mit Rat und Tat zur Hilfe zu eilen. Das zeugt nicht unbedingt davon, dass im Präsidium jemand sitzt, der Ahnung hat.
Rede war nach drei Stunden offiziell beendet
Ganz nach AfD-Manier hielt der Alterspräsident seine Rede – die ihm qua Amt zusteht – außerordentlich parteiisch. Das wiederum provozierte die anderen Fraktionen: Schlagabtausche, Unterbrechungen und Zwischenrufe waren die Folge.
Die Rede war nach drei Stunden offiziell beendet. Dann sollte ein Geschäftsordnungsantrag behandelt werden, der vom Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, mehrfach gestellt wurde. Das verwehrte Treutler dem Parlamentarier.
Nach weiterem Hin und Her wurde die Sitzung unterbrochen und die CDU rief den Verfassungsgerichtshof in Weimar an. Sie wollte erreichen, dass der Alterspräsident unter anderem dazu verpflichtet wird, die Anträge der Fraktionen der CDU und des BSW zur Änderung der Geschäftsordnung zur Abstimmung zu stellen.
Dem wurde Freitagnacht stattgegeben und es ging in die zweite Sitzungsrunde am Samstag – eine Besserung im Umgang erwartete ich auch dann nicht.
Hochschulpolitik unterscheidet sich in einer Sache wesentlich von der Berufspolitik
„Das ist hier doch wie im StuRa“, dachte ich mir, als ich die Debatte am Donnerstag mitverfolgte. Im Studentenrat (StuRa), dem Vertretungsgremium aller Studenten einer Universität, streitet man sich oft auch stundenlang darum, welcher Geschäftsordnungsantrag als erster behandelt werden sollte.
Auch die Frage nach der Auslegung von der Satzung sind dort neben ideologischen Themen an der Tagesordnung, die politischen Lager sitzen sich unversöhnlich gegenüber.
Die Hochschulpolitik unterscheidet aber eine Sache wesentlich von der Berufspolitik im Landtag: Während hier Studenten sitzen, die bis in die Nacht hinein diskutieren, erreichen sie am Ende nicht nur den zweiten Tagesordnungspunkt, sondern zumeist sogar den letzten und das, ohne die universitäre Rechtsaufsicht zu befassen.
Dort jedoch sitzen Vollzeitpolitiker, die nicht einmal den ersten Punkt abhaken können, ohne das Verfassungsgericht anzurufen.
Thüringen ist wieder Negativ-Schlagzeilen-Favorit
Die primäre Aufgabe der gewählten Repräsentanten ist es, die Herausforderungen des Landes zu ordnen. Stattdessen herrscht nun wieder einmal Chaos.
Fernab dieser ganzen juristischen Auseinandersetzung kann es doch nicht sein, dass eine unsaubere Formulierung in der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags ein Szenario anrichtet, wie es die Parlamentarische Demokratie in Deutschland noch nicht gesehen hat. Thüringen ist wieder einmal Negativ-Schlagzeilen-Favorit, wieder einmal schreiben wir Geschichte.
Der Unterschied zu meinem StuRa besteht auch darin, dass jeder Tag, an dem der Landtag nicht entscheidungsfähig ist, ein verlorener Tag ist für Thüringen, es wird nicht gestaltet, sondern nur verwaltet.
Diese Situation gab es auch schon vor fünf Jahren, wo lange Zeit kein Ministerpräsident gewählt wurde. Nun kam es schon beim Landtagspräsidenten zum Stocken. In der Studentenpolitik kann man nicht so viel vor die Wand fahren – im Land dafür alles.
Wir dürfen uns nicht im Klein-Klein verlieren
Was ist zu tun? Dass man sich von der AfD die Butter nicht vom Brot nehmen lassen will, verstehe ich. Dazu gehört, auch mal kleinlich zu sein und juristische Feinheiten durchzukauen.
Dass der Alterspräsident seine Kompetenzen überschritten hatte, war eindeutig. Denn er hat eine lediglich protokollarische Funktion. Dieser Missbilligung der Landesverfassung Einhalt zu gebieten, ist ebenfalls verständlich.
Die fortgesetzte Sitzung am Samstag verlief zwar wesentlich harmonischer, ein neuer Landtagspräsident, Thaddäus König (CDU), wurde gewählt und alle hielten sich an Verfassung und Geschäftsordnung.
Wie aber geht es in den nächsten Wochen und Monaten weiter? Die nervenaufreibende Debatte am Donnerstag könnte einen Vorgeschmack darauf gegeben haben, was da noch kommen kann.
Was nicht mehr passieren darf ist, sich im Klein-Klein zu verlieren. Denn es kommt jetzt aufs große Ganze an. Dass eine Partei wie die AfD – das wurde wie bei der Kemmerich-Wahl auch jetzt wieder deutlich – Spaß daran hat, mit Tricks und Scharmützeln den parlamentarischen Prozess lahm zu legen, ist eine Sache.
Mehrheit der Abgeordneten wählt einen Landtagspräsidenten
Dass die CDU aktuell die einzige staatstragende Partei in diesem Parlament ist, ist die andere Sache. Diese Rolle muss die Partei in der Landeshauptstadt nun spielen.
Denn Erfurt trägt, wie viele andere Städte in Deutschland das Wort Furt im Namen, also die Stelle, an der ein Fluss überquert werden kann. Die Gera ist hier so seicht, dass man Kilometer-lang in ihr waten kann, beziehungsweise sie überwinden kann.
Deshalb muss es für die Menschen in Thüringen doch gerade hier im schönen Erfurt zu einer Lösung kommen. Die Mehrheit der Abgeordneten wählte einen Landtagspräsidenten.
Also wählt weiter und dann geht’s an die politische Arbeit! Genug zu tun gibt es allerhand, dafür hat die abgewählte Regierung unter Bodo Ramelow gesorgt…