Kolumne von Franca Bauernfeind - Journalist fragt mich nach dem Leben im „Höcke-Land“ – mir fällt die Kinnlade runter

<span class="copyright">Franca Bauernfeind. Bodo Schackow/dpa</span>
Franca Bauernfeind. Bodo Schackow/dpa

Der Osten steht schon lange unter Generalverdacht. Aber nur weil dort populistische Parteien gewählt werden, ist er noch lange nicht undemokratisch. Demokratie ist mehr als nur die „richtige“ Partei zu wählen.

Immer wieder dieselbe Leier. Bereits 2016 waren Freunde und Bekannte enttäuscht, als ich meinen Umzug nach Erfurt bekannt gab. Bereits damals – noch vor Björn Höcke wohl aber während der Hochphase von „Pegida“ – galt der Osten als ein unliebsamer Ort.

Ob es aufgrund der Ressentiments gegen 40 Jahre DDR und den „realen Sozialismus“, aufgrund der Nachwehen der Kalten-Kriegs-Propaganda, aufgrund der gesellschaftlichen Gegensätze und der politischen Lage oder aufgrund der aus Sicht vieler Menschen im Westen als unschön anzuhören geltenden Dialekte war.

Heute, acht Jahre später, konfrontiert mich ein bayerischer Journalist fragend mit der Aussage: „Nun leben Sie mitten in Höcke-Land, in der AfD-Hochburg Thüringen. Wie fühlt sich das an?“ Mir fällt die Kinnlade innerlich herunter. Wie es sich anfühlt in Erfurt zu leben? Es lebt sich hier genauso wie in jeder anderen Stadt – was für eine dumme Frage, denke ich mir.

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Vor Kurzem dann eine weitere Begegnung außerhalb Thüringens: „Die Ossis sind einfach schlechte Demokraten.“ Der Satz fegt mir entgegen wie ein Hurrikan.

Die Frage nach dem besseren Demokraten

Wie es zu solchen Vermutungen, nach denen es anders sein müsste in einer ostdeutschen Stadt zu leben, kommt, und was dran ist an der Frage, wer nun der bessere Demokrat sei, weiß ich.

Rund einen Monat vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen schaut die Bundesrepublik gebannt auf die politische Großwetterlage in den beiden Freistaaten.

Umfragen werden ausgewertet und kommentiert, Überlegungen angestellt, welche Koalitionen es wohl geben könnte, und – nicht zu vergessen – das „problembehaftete“ ostdeutsche Wahlverhalten in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt. Denn gegenüber den alten Bundesländern wird hier mehr AfD und – gerade in Thüringen – das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gewählt.

Demokratie ist mehr als nur die „richtige“ Partei zu wählen

Hochnäsig wird davon die Demokratieunfähigkeit des Ostens abgeleitet. Was aber bedeutet es, ein Demokrat zu sein? Zunächst mal ist Demokratie ein Regierungssystem, in dem die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben; es ist das politische Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat.

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Was bedeutet es danach, sich demokratisch „korrekt“ zu verhalten? Salopp formuliert sollte man die Regierung im Blick behalten und am Wahltag überlegen, ob man sie wiederwählt oder ob man die aktuelle Politik abwählt. Selbstverständlich ist das verkürzt, politische Teilhabe und gesellschaftliches Engagement – ebenfalls wichtige Faktoren einer funktionierenden Demokratie – finden jeden Tag statt.

Letztlich ist Demokratie aber auch das Nicht-Wählen (außer man lebt beispielsweise in Belgien, dort gibt es eine Wahlpflicht) und das Nicht-Beteiligen.

Demokratie ist gerade nicht die Staatsform, die eine bestimmte politische Richtung vorschreibt, die Vorgabe erteilt, wer zu wählen ist und wer nicht. Das nennt man dann Diktatur. Die herrschte bis vor 35 Jahren in Erfurt, wo ich lebe.

Demokratische Regierungssysteme geben dagegen den Raum – bei uns in Deutschland stark ausgeprägt und geschützt – Parteien zu gründen, sich dort zu beteiligen bzw. diese zu wählen.

Ist der Osten wirklich undemokratisch, nur weil er anders wählt?

Klar ist: Der Osten wählt derzeit anders als der Westen. Er wählt populistische Parteien. Aber: Es wird gewählt, es passiert das, was Demokratie ausmacht.

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Was also ist am ostdeutschen Demokratieverhalten, wenn man es so abstrahieren mag, vermeintlich schlechter? So betrachtet gar nichts.

Gemeint ist mit der Aussage, hier seien die Menschen undemokratisch unterwegs, nicht die Tatsache, dass die Regierungspolitik nicht kritisch beobachtet würde, sondern dass die falschen Parteien gewählt werden. Nicht brav CDU oder SPD (einige auch FDP), wie das bei den Bundestagswahlen 1961 bis 1980 der Fall war.

Während die Grünen in ihren Anfangsjahren als Partei von vielen noch als Exoten und verrückte Anti-Atomkraft-Truppe wahrgenommen wurde, gelten auch sie spätestens seit Fridays-for-Future als akzeptierte und wählbare Partei – oft aus einer etwas privilegierteren und ideologischeren Richtung, aber immerhin.

Anders sieht es bei der AfD aus. Wer sie präferiert, der gilt der öffentlichen Meinung nach als Populisten- und teilweise Extremistenwähler.

Macht ein solches Wahlverhalten Menschen zu Nicht-Demokraten? Nein, denn sie machen das, was Demokratie ausmacht. Sie wählen.

Gewählt wird der, der am meisten Vertrauen in der Bevölkerung genießt

Seit den 1990er Jahren wird die Parteienlandschaft fragmentierter, das Leben schneller, die wirtschaftlichen Handelsbeziehungen komplizierter. Kurzum: Die zwei glorreichen Jahrzehnte, in denen es de facto nur drei Parteien auf der Bildfläche gab und die FDP der Swing State Deutschlands war, der Kanzler-Macher, sind vorbei. Dadurch hat sich nicht nur eine vielfältige Parteienlandschaft herauskristallisiert.

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Die Wählerbindung der ehemaligen Parteiendemokratie lässt im Westen radikal nach, im Osten existierte sie in dieser Form noch nie.

Durch den technologischen Fortschritt, Kabelfernsehen mit TV-Duells seit den 2000er Jahren und Instagram-Reels von Politikern heute, hat sich auch die Weise verändert, wie wir als Bürger Politik und die Performanz unserer Repräsentanten beobachten, konsumieren, kommentieren, reproduzieren etc.

In dieser erweiterten Publikumsdemokratie nach Bernard Manin wird nicht mehr derjenige gewählt, der einem bestimmten Milieu angehört oder seinen Vertretungsanspruch daran klarmacht. Es wird derjenige gewählt, der das meiste Vertrauen bei der Bevölkerung genießt, in einer Welt Politik zu machen, in der eine Krise die nächste jagt.

Warum die Unzufriedenheit mit Scholz und seiner Regierung kaum überrascht

Kurzum: Während es im Westen eine feste Wählerbindung gibt, die zwar weiter abnimmt, wohl aber noch existiert, beobachtet man im Osten viel genauer das Handeln unserer Politiker, um eine Wahlentscheidung zu treffen.

Dass die Ampel in Berlin nicht die Probleme löst, liegt auf der Hand. Der zögerliche Schlingerkurs des Kanzlers einerseits und die bevormundende Grünen-Politik andererseits tut Deutschland nicht gut.

Die Mehrheit von rund 79 Prozent der Befragten des ARD-Deutschlandtrends gab Anfang Juli 2024 an, weniger zufrieden oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung zu sein.

Rund 19 Prozent waren mit der politischen Leistung der Bundesregierung um Kanzler Olaf Scholz zufrieden, keiner der befragten Personen war mit der Arbeit der Bundesregierung sehr zufrieden.

Eine aktuelle Forsa-Umfrage unter SPD-Mitgliedern Ende Juli 2024 führt an, dass zwei Drittel Scholz nicht als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2025 wollen. Dass der Kanzler unbeliebt ist, gut geschenkt.

Desaströse Weg-Duck-Politik bringt das Fass zum Überlaufen

Im Osten, wo durch die Enteignungsmaschinerie der DDR immer noch weniger Kapital vorhanden ist als im Westen, führen allerdings Schattenhaushalte und Steuererhöhungen, Heizungsverbotspolitik oder die Subvention von E-Autos (die sich die Menschen hier ohnehin weniger leisten können) zu einer hohen Frustration.

Es geht sprichwörtlich in den Geldbeutel. Gepaart mit einer desaströsen Weg-Duck-Politik bei der schwelenden Migrationsfrage und den Kurzstreckenflügen einer Annalena Baerbock à la „Wasser predigen, Wein trinken“ bringt dies das Fass zum Überlaufen.

Ist die CDU unsere letzte Hoffnung gegen die AfD? Ich denke ja

Wünsche ich mir, dass die CDU die beiden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gewinnt? Natürlich. Sie ist die einzige Partei in der aktuellen Lage, die die Probleme lösen und der AfD gleichzeitig Paroli bieten kann.

Mario Voigt ist bei der „Welt“ gegen Björn Höcke in den Ring gestiegen, um ihn argumentativ zu stellen. Nur so kann Vertrauen und Glaubwürdigkeit erobert und bewiesen werden.

Macht eine Wahlentscheidung einer in beinahe allen Landesparlamenten vertretene Partei – auch wenn man sie und ihre Position ablehnen mag – Menschen zu schlechteren Demokraten? Niemals.

Sind skeptische Beobachter wie derzeit im Osten vielleicht sogar die besseren Demokraten?

Ich würde sagen: ja.